In Erinnerung Jörg Huffschmid (19.2.1940-5.12.2009)

Nachruf: Redaktion Sozialismus, Team des VSA: Verlag, WISSENTransfer

06.12.2009

Jörg Huffschmid eröffnete seine lange, vielfältige und ertragreiche Publikationstätigkeit mit einer Studie zur "Politik des Kapitals: Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik" (1969), über die er als Assistent am Institut für Konzentrationsforschung der FU Berlin gearbeitet hatte.

Im Zentrum der empirisch-theoretischen Studie standen zwei Widersprüche. Zunächst: Das kapitalistische System beruht auf dem privaten Eigentum des Unternehmers an den Produktionsmitteln, also auf privater Verfügungsmacht. Zum andern verliert die Person des Unternehmers zunehmend an Bedeutung in der spätkapitalistischen Industriegesellschaft. "Die Lösung des Widerspruchs ist die Theorie des Kollektivkapitalismus".

Der zweite Widerspruch: Das System beansprucht, durch den Wettbewerb individuelle unternehmerische Freiheit zum Ausdruck zu bringen. In der Wirklichkeit ist der Wettbewerb in weiten Bereichen der Wirtschaft ganz oder teilweise ausgeschaltet. Konsequenz: Der Wettbewerb, einst koordinierender Freiheitsmechanismus, wird zum geplanten politischen Parameter unternehmerischer Gewinnmaximierung durch die Wirtschaftspolitik.

Dieser theoretische Bezugsrahmen wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten - Jörg Huffschmid arbeitete seit Mitte der 1973 an der neugegründeten Universität in Bremen - weiterentwickelt, so in dem gemeinsam mit Herbert Schui herausgegebenen "Handbuch zur Wirtschaftskrise 1973-76" unter dem Titel "Gesellschaft im Konkurs?", in Untersuchungen zu "Organisationsformen des Kapitals im staatsmonopolitischen Kapitalismus" und insbesondere in den 1980er Jahren in zahlreichen Studien zur Rüstungswirtschaft und notwendigen Rüstungskonversion.

Vor 35 Jahren gründete Jörg Huffschmid zusammen mit Rudolf Hickel und Herbert Schui die "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik". Seitdem wird jährlich die später neoliberal geprägte Wirtschaftspolitik einer grundsätzlichen wie empirischen Kritik unterzogen und realisierbare Alternativen skizziert. Die Aktivität war zugleich eingebettet in ein breites publizistisch-politisches Engagement: Jörg Huffschmid gehörte dem Beirat des Instituts für marxistische Studien und Forschungen an und war Mitglied des Parteivorstandes der DKP, wo er sich engagiert für eine Politik der "Reformalternative" einsetzte. Er war Mitherausgeber der politisch-wissenschaftlichen Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" und saß in den Beiräten von "Wissenschaft und Frieden", der "Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion", von "Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung" und des globalisierungskritischen Netzwerks Attac.

1995 war Huffschmid Gründungsmitglied und treibende Kraft der "Arbeitsgruppe European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe", die seither ein jährliches "Euro-Memorandum" herausbringt. Die Wirtschafts- und Währungsunion, die EU-Erweiterung und die Rolle der Europäischen Union in der kapitalistischen Triade waren zentrale Felder der wissenschaftlichen wie der politischen Auseinandersetzung.

In den 1990er Jahren rückt Jörg Huffschmid neben der europäischen Entwicklung auch mehr und mehr die Wirklichkeit des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus (FMK) ins Zentrum seiner wissenschaftlich-politischen Arbeit. Daraus resultierten wichtige Analysen und politische Schlussfolgerungen, zum Beispiel in seiner Studie "Politische Ökonomie der Finanzmärkte", die so etwas wie eine "Bibel" der globalisierungskritischen Bewegung Attac wurde.

Die finanzmarktgetriebene Kapitalakkumulation hatte sich seit drei Jahrzehnten als neues Entwicklungsmuster auch in Deutschland schleichend etabliert. Dieses Regime produziert zwar auch Finanzkrisen, aber das ist nicht sein Hauptkennzeichen. Viel wichtiger sind seine tiefen Eingriffe und Umgestaltungen in den Unternehmen, der Produktions- und der Arbeitswelt, seine Angriffe auf den demokratischen Sozialstaat und dessen Transformation in eine neoliberale Gesellschaft.

Die ökonomische Grundlage des FMK ist die enorme Anhäufung von Finanzvermögen in den Händen einer Minderheit der Gesellschaft, die ihren Reichtum immer weiter zu vermehren sucht. Diese Akkumulation ist vor allem Ergebnis einer langen Umverteilung von Einkommen und Vermögen von unten nach oben in allen Zentren des Kapitalismus. Sie hat Mitte der 1970er Jahre als Bestandteil einer globalen Gegenreform gegen die sozialen und demokratischen Fortschritte der Nachkriegszeit begonnen. Das weltweite Finanzvermögen ist zwischen 1980 und 2006 fast dreimal so schnell gewachsen wie das weltweite Sozialprodukt.

Diese ungleichmäßige Entwicklung hat auch die Funktionsmechanismen des Kapitalismus verändert und neue Leitfiguren hervorgebracht. Im fordistischen Kapitalismus waren die Unternehmer und Manager die entscheidenden Figuren, und die Finanzierung der reichlich vorhandenen Investitionsgelegenheiten stellten den Engpass der Entwicklung dar. Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt: Finanzmittel sind reichlich vorhanden - eben die akkumulierten Vermögen -, aber die Investitions- und Verwertungsgelegenheiten werden knapp. Unter diesen Umständen wird der Finanzinvestor zur neuen Leitfigur des Kapitalismus: als privater Dienstleister, der neue Renditequellen für die Vermögen der Reichen erschließt.

Finanzinvestoren konkurrieren untereinander um diese Vermögen, aus deren Vermehrung sie ihre Einkommen beziehen. Das wichtigste Mittel dieses Konkurrenzkampfes ist das Versprechen auf Höchstrenditen. Ein Versuch, diese Versprechen einzulösen und im Geschäft zu bleiben, ist die Finanzspekulation in immer abenteuerlicheren Bahnen - bis die Blase mit der Folge einer tiefen Weltwirtschaftskrise platzt.

Im Jahr 2000 wurde Jörg Huffschmid Mitglied der Enquête-Kommission "Globalisierung" des Bundestages. Er begleitet in den letzten Jahren die Entstehung der Partei DIE LINKE und engagiert sich höchst aktiv im Wissenschaftlichen Beirat und den Sommeruniversitäten von Attac. Mit seinem Tod verlieren wir einen der einflussreichsten Ökonomen der letzten Jahrzehnte.