In Sachen Griechenland und Euroraum wird weiter auf primitive Weise agiert. Bei Politik und Medien. Gibt es dazu wirklich keine Alternative?

Von Albrecht Müller, Nachdenkseiten

04.03.2010 / www.nachdenkseiten.de

Nur noch mit Kopfschütteln kann man die Aktionen der Akteure wie auch die Mehrheit der Medienberichte und Kommentare verfolgen: Hier wird ohne gesamtwirtschaftliche Einsicht und ohne Verantwortungsbewusstsein operiert. Wir kommen deshalb noch einmal auf das Problem zurück: mit 16 Punkten zum Problem einschließlich der Diskussion von Lösungsvorschlägen und der Verwendung eines noch zu veröffentlichenden Artikels von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker.

Zunächst weisen wir auf zwei einschlägige Medienprodukte hin. Einschlägig in der Tonlage und Stoßrichtung.

Spiegel Online nennt das Ganze eine „Schuldenkrise“. Die Redakteure haben offensichtlich nichts verstanden vom wirklichen Problem, der Auseinanderentwicklung der Lohnstückkosten und der Wettbewerbsfähigkeit der Länder im Euroraum.

Die Süddeutsche Zeitung setzt in der Tonlage noch eins drauf „Rehn zieht Griechen die Daumenschrauben an – Die EU knöpft sich Griechenland vor: Währungskommissar Rehn pocht auf stärkere Sparbemühungen und Luxemburgs Ministerpräsident droht mit drastischen Worten.“

Bei Spiegel Online heißt es:

EU zwingt Griechenland zur Radikal-Sparkur
Brüssel erhöht den Druck auf die Regierung in Athen: EU-Währungskommissar Rehn verlangt von Griechenland, die Sparbemühungen zu verstärken. Finanzminister Papakonstantinou zeigt sich einsichtig – und kündigt harte Einschnitte für die Bevölkerung an. …
Experten von EU, EZB und IWF sind bei einem Kontrollbesuch nach Angaben aus informierten Kreisen in Athen zu dem Ergebnis gekommen, dass die bisherigen Sparmaßnahmen der Regierung nicht zur geforderten Defizitverringerung ausreichten. Nötig seien auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Erhöhung des Rentenalters sowie der Abbau von Sozialleistungen.“

Es ist erschreckend, welche Personen im Namen Europas unsere Geschicke leiten. Ich habe ausnahmsweise bei Wikipedia nach „Olli Rehn“, dem zuständigen Brüsseler Kommissar nachgeschaut. Offenbar ist dieser Mann für den komplizierten Job nicht ausgebildet. Das ist die beste Voraussetzung zur Übernahme, Weiterverbreitung und Durchsetzung der herrschenden Ideologie.

Einer unserer Leser macht darauf aufmerksam, dass hier wie so oft im neoliberalen Lager der Eindruck erweckt wird, es gelte TINA, there is no alternative. Und weiter schreibt er:

„Vermutlich entspricht dies auch alles der Wahrheit, denn Griechenland wird tatsächlich gezwungen, sich dem Diktat der EU zu unterwerfen – sonst gibt es halt keine Hilfen… Man sollte aber eine kritische Auseinandersetzung mit den Forderungen erwarten – beim Spiegel leider Fehlanzeige. Und ich stelle immer wieder fest, dass die Meisten, selbst die kritischen Menschen, die aktuelle Griechenland-Propaganda glauben. Diese induzierte und wahrgenommene Krise wird gerade wie im Bilderbuch ausgenutzt, um die Griechen auf Linie zu bringen und den Willen der Bevölkerung zu brechen.“

So ist es.

Ich habe mir noch ein paar Gedanken zu den Motiven der herrschenden Kreise im Umgang mit Griechenland und dem gesamteuropäischen Problem der divergierenden Entwicklung gemacht und verknüpfe dies mit ausführlichen Zitaten aus dem kommenden Artikel von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker.

16 Anmerkungen zu den Problemen des Euroraums und Griechenlands:

  1. In Sachen Griechenland beharren die europäischen Meinungsführer, die deutschen wie Issing, Weber, Merkel und die meisten europäischen in der EZB und der Europäischen Kommission deshalb auf der Fortsetzung des falschen Weges ihrer monetaristischen Politik und der Erfindung des Maastrichtweges. Andernfalls müssten sie zugestehen, welche verheerenden Folgen diese Politik hatte. Sie nutzen jetzt die Zahlungsbilanzprobleme Griechenlands, um das Scheitern ihrer vom Monetarismus geprägten Politik zuzudecken. In der Kommunikationswissenschaft spricht man von der Überwindung der kognitiven Dissonanz. Dieses Phänomen scheint auch hier vorzuliegen.
  2. Griechenland und andere Länder wie beispielsweise Spanien sind den Immer-Noch-Meinungsführern auch deshalb ein Dorn im Auge, weil sie bei den Löhnen und bei den sozialen Leistungen nicht in gleicher Weise restriktiv waren wie zum Beispiel Deutschland. Die Auseinanderentwicklung der Zahlungsbilanzen in Europa wird nun dazu benutzt, auch in Griechenland die Linie neoliberaler Reformen durchzusetzen: Entstaatlichung, runter mit den Löhnen und Lohnnebenkosten usw. Wir kennen das alles zur Genüge.
  3. Das ist ein Beleg mehr für die bittere Beobachtung, dass die Krise nicht dazu führt, die Verantwortlichen loszuwerden. Im Gegenteil: Sie nutzen sie zur Fortsetzung und zur Rechtfertigung ihrer wirtschafts-, währungs- und finanzpolitischen Linie, und damit verbunden auch ihrer ideologischen und gesellschaftspolitischen Linie.
  4. Jetzt zeigt sich wieder einmal deutlich die Fehlkonstruktion der Eurogruppe mit ihrer Staatsschuldenschlagseite. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker nennen es in ihrem Artikel, der demnächst im Wirtschaftsdienst erscheint, „Staatsschuldenbias“. Man hat die Maastricht-Kriterien festgelegt und dabei einseitig auf die Staatsschulden geschaut, statt sich um die viel wichtigeren Probleme der Zahlungsbilanz- und Wettbewerbsfähigkeitsungleichgewichte zu kümmern, so die beiden Autoren in ihrem Artikel.
  5. Aber selbst, wenn man einmal akzeptiert, dass das Kriterium Staatsverschuldung von Bedeutung sei, dann ist von der Sache her nicht einzusehen, warum Griechenland so sehr in den Mittelpunkt der Aggression gestellt wird. Der Schuldenstand (Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt) liegt in Italien mit 114 % noch ein bisschen höher als in Griechenland mit 112 %; in Japan wird mit 190 % schon fast das Doppelte der jährlichen Wirtschaftskraft erreicht. Auch die Veränderung der Staatsschulden ist in Griechenland nicht schlimmer als in anderen Ländern. Zwischen 2007 und 2009 hat sich das Staatsdefizit Griechenlands von 12 Milliarden auf 34 Milliarden ¤ fast verdreifacht, in Deutschland ist es in der gleichen Zeit um das 15 fache gestiegen und damit weit über dem Durchschnitt der Defizitentwicklung im gesamten Euroraum. Flassbeck und Spiecker weisen in diesem Zusammenhang auch noch darauf hin, dass anders als Deutschland die südeuropäischen Länder zwischen 1999 und 2007 Erfolge bei der Konsolidierung zu verzeichnen hatten.
  6. Die Aufschläge auf die Zinsen, die Griechenland auf Staatsschulden zahlen muss, sind allerdings exorbitant hoch. Das ist Zeichen und Folge der gegen das Land gestarteten Spekulation. Die maßgeblichen Kräfte in Europa akzeptieren das Ergebnis dieser Spekulationen und damit genau die Machenschaften jener, die uns mit den gleichen Methoden in die Finanzkrise geritten haben.
  7. Griechenland wird ähnlich wie andere südeuropäischen Länder seine Probleme der Verschuldung seiner Volkswirtschaft gegenüber dem Ausland auf Dauer nur lösen können, wenn es wettbewerbsfähig wird, wenn es also seine Produkte im Ausland verkaufen kann. Ob das gelingt, hängt in einem einheitlichen Währungsraum nicht nur von Griechenland ab sondern auch vor allem von uns. (Darauf hatten wir schon mehrmals hingewiesen.)

Ich zitiere im Folgenden weiter einige Passagen aus dem Artikel der beiden Autoren einschließlich der Erwägungen zur Lösung des Problems:

Korrektur 3.3.2010: Die hier folgenden Zitate aus dem Beitrag von Flassbeck und Spiecker haben wir vorerst wieder herausgenommen, weil der Beitrag im vorgesehenen Medium, dem „Wirtschaftsdienst“, noch nicht veröffentlicht ist.

Im Kern geht es zusammenfassend darum: Es steht nicht zu erwarten, dass die notwendigen Schritte zu einem Ausgleich der Wettbewerbsunterschiede unternommen werden und dass daher ein Südeuro, wie Flassbeck/Spiecker schreiben, ein pragmatischer Ausweg wären. Zwar auch verbunden mit einer Finanzkrise, aber sozusagen einer kontrollierten im Gegensatz zu einer durch weiter unbeaufsichtigtes Herumtreiben der Marktakteure völlig beliebig stark und zu einem beliebigen Zeitpunkt explodierenden Situation.