Griechenland war nur der Anfang
Der Schutzschirm für den Euro und seine reale Spannweite
Die europäische Schuldenkrise ist nach der Unterstützungsaktion für Griechenland nicht zu Ende. Die EU will mit einem gigantischen Schutzschirm für hochverschuldete Euro-Länder die Währungsunion vor dem Zerfall bewahren. Die Finanzminister der 27 EU-Länder beschlossen die Einrichtung eines Krisenfonds mit einem Kreditrahmen von insgesamt 500 Mrd. Euro.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) soll mit weiteren 250 Mrd. Euro beteiligt werden. Mit der Ankündigung dieses Krisenfonds soll der Euro gegen Spekulation geschützt werden. In den vergangenen Wochen hatten weltweit fallende Kurse und ein Abschmieren des Euro für große Nervosität gesorgt.
Der 750-Milliarden-Rettungsschirm für den Euro ist - so Bundeskanzlerin Angela Merkel - alternativlos. Das Paket sei notwendig, um die Zukunft des Euro zu sichern und das Geld der Menschen in Deutschland zu schützen. Zudem sei das Hilfspaket kein Blankoscheck. Jedes Land, das von ihm Gebrauch machen wolle, müsse ein ernstes Spar- und Konsolidierungsprogramm nachweisen.
Immerhin: Die Märkte reagierten positiv auf den EU-Beschluss, dem Rettungspaket für Griechenland auch noch einen Rettungsschirm für alle angeschlagenen Euro-Staaten folgen zu lassen. Vorschnell sprechen beteiligte Politiker vom Anfang des Endes der Spekulation.
Am Bollwerk zur Abwehr von spekulativen Attacken gegen den Euro ist auch die Europäische Zentralbank (EZB) beteiligt: Sie flankiert das Maßnahmenpaket in einer bisher einmaligen Aktion durch den Ankauf von Staatsanleihen und Geldmarktoptionen. Über den Umfang der Eingriffe, gegen den sich die EZB lange gewehrt hatte, wird der EZB-Rat noch entscheiden. Die beispiellose Krisenabwehr soll, nach dem gerade erst abgewendeten Kollaps Griechenlands, Spekulationen auf eine Zahlungsunfähigkeit weiterer verschuldeter Euro-Staaten - darunter des Schwergewichts Spanien - stoppen.
Die EU-Finanzminister haben sich darauf geeinigt, dass bei einem drohenden Staatsbankrott insgesamt 750 Mrd. Euro über Kredite an einzelne Mitgliedsländer gewährt werden können. Die Kreditvergabe ist an strenge Bedingungen zur Haushaltssanierung geknüpft. Deutschland hatte sich bisher für bilaterale Hilfen stark gemacht und ein gemeinschaftliches Instrument abgelehnt.
An den Finanzmärkten existiert nach wie vor die Befürchtung vor einer Ausbreitung der hellenischen Misere auf andere südeuropäische Länder wie Portugal und Spanien. Die Kurse der Staatsanleihen von Griechenland, Spanien und Portugal haben in den letzten Tagen deutlich nachgegeben. Mit dem jetzt errichteten Schutzwall können sicherlich kurzfristige Bewegungen von Geld- und Leihkapital abgewehrt werden. Die Gefahr der Zerstörung des Euro-Währungssystems ist allerdings erst dann gebannt, wenn für die kleineren Länder eine durchgreifende wirtschaftliche Erholung absehbar ist und für die große Mehrheit der EU-Länder ein realistischer Ansatz zur Sanierung der öffentlichen Finanzen existiert.
Angesichts der Sorge vor einer Ausbreitung der Schuldenkrise in Europa hat Portugal den Euro-Partnern versprochen, sein Haushaltsdefizit in diesem Jahr noch stärker zu bekämpfen. Es soll auf 7,3% verringert werden. Bisher war das Ziel eine Reduzierung des Defizits von 9,4% im vergangenen Jahr auf 8,3% in 2010.
Und auch für Spanien zeichnet sich eine Verschärfung des Kürzungsprogramms ab. Die Verschuldung liegt in Spanien mit 60% des Bruttoinlandprodukts (BIP) nur halb so hoch wie in Griechenland. Im laufenden Jahr erreicht das Staatsdefizit rund 10% des BIP - und muss durch neue Kredite finanziert werden. Nach dem Platzen des Immobilien-Booms ist Spanien in eine tiefe Krise geschlittert und die Arbeitslosenquote auf 20% geklettert.
Für kleinere Länder funktioniert die Logik des Rettungs- oder Abwehrschirms. Wenn aber Spanien oder Italien in den Strudel der Schuldenkrise hingerissen werden, sind auch Frankreich, Deutschland und der IMF überfordert.
Insgesamt müssen die Mitglieder der Euro-Zone in diesem Jahr noch rund 1.100 Mrd. Euro durch die Ausgabe neuer Staatsanleihen finanzieren. Bis Mitte Februar 2010 hatten sie bereits 223 Mrd. Euro aufgenommen. Im Jahr 2009 hatten die Länder deutlich unter 1 Bio. Euro auf den internationalen Finanzmärkten beansprucht. Vor diesem Hintergrund ist die Größenordnung des Krisennotfonds zur Rettung des Euro verständlich.
Wenn in den nächsten Tagen das Projekt des Euro-Schutzschirmes zügig umgesetzt wird, dürfte sich die bereits erkennbare Beruhigung auf den internationalen Finanzmärkten verfestigen. Faktisch verlief die Krisenreaktion nach dem bekannten Muster: Die Geldschleusen werden geöffnet und die EZB nimmt das Risiko des Zahlungsausfalls einiger EU-Staaten in die eigenen Bücher, was zweifellos eine Zeitlang überzeugt.
Die Europäer erhoffen sich vom Notfonds ein starkes Signal gegen Spekulanten und dieses Kalkül hat offensichtlich auch gegriffen. Allerdings müssen nach der Errichtung des Schutzschirmes weitere Schritte folgen. Letztlich können die kapitalistischen Länder nur dann die Herrschaft des Finanzkapitals beenden, wenn sie einen Ausweg aus der Schuldenkrise entwickeln und dieser Ausweg wird nicht ohne eine Neustrukturierung der Realökonomien zu haben sein.
Bisher verstehen die Regierungen und Notenbanken die Große Krise vorrangig als Finanzkrise und pumpen riesige Summen in die Stabilisierung des Kredit- und Bankensystems. Nur ein Bruchteil dieser Finanzmittel erreicht die reale Ökonomie. Ohne eine Rekonstruktion der Wertschöpfung und Verwertung kann es aber keinen Ausweg aus der Schuldenfalle geben. Das allgemeine Schuldenproblem, in dem alle kapitalistischen Länder tief verstrickt sind, wird entweder durch Bezahlung auf Grund von erwirtschafteten Überschüssen gelöst, durch eine naturwüchsige Vernichtung der Schulden oder aber eine weitreichende Umschuldung.
Zwar geht es zunächst vorrangig um den Euro, aber auch das britische Pfund und der US-Dollar befinden sich im Brennglas der Finanzmarktakteure. Die drängenden Probleme der Schuldenbekämpfung, der Re-Dimensionierung und Regulierung der Finanzsphäre sind eben nicht nur ein europäisches Problem. So beunruhigt die Krise des Euro auch die politische Führung in Japan. Obwohl Japan selbst stark verschuldet ist, gilt der Yen Anlegern trotz niedriger Zinsen als sicherer Fluchthafen für liquides Geldkapital.
Der Unterschied Japans zu den europäischen Staaten besteht darin, dass weit über 90% der Staatsanleihen von japanischen Anlegern gehalten werden. Sollte der Yen gegenüber dem Euro und dem Dollar aber weiter an Wert gewinnen, fürchtet Japans Regierung um den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, der bislang ausschließlich vom Export getrieben ist. Um die akute Sorge vor Liquiditätsengpässen zu dämpfen, pumpte die Bank von Japan rund 16,7 Mrd. Euro in die Märkte. Die Notenbank erhofft sich mit ihrer Entscheidung, die Börse indirekt zu stützen und den Anstieg des Yen in Schranken zu halten.
Sollte der gewünschte Effekt des Rettungsschirm nicht eintreten, werden die Regierungen und Notenbanken notfalls weitere Finanzspritzen setzen. Diese Maßnahmen mögen die Finanzmärkte beruhigen. Sie lösen aber die strukturellen und konjunkturellen Probleme nicht. Dabei stellen die kleineren Länder nur die Spitze des Problems dar.
Auch in anderen, gewichtigeren Ländern wie den USA und Großbritannien verschlechtert sich die Verschuldungssituation in raschem Tempo. Und für die meisten kapitalistischen Länder - einschließlich Deutschlands -- wird in diesem und im kommenden Jahr eine weitere Zunahme der Verschuldung erwartet. Das Verschuldungsproblem betrifft die gesamte Euro-Zone, die insgesamt mit einem Schuldenstand von über 80% deutlich über den Kriterien des in Maastricht vereinbarten Stabilitätspaktes liegt.
Griechenland und die anderen südeuropäischen Länder repräsentieren nur die zugespitzten Fälle der allgemeinen Schuldenkrise. Die Mitte 2007 ausgebrochene Große Krise hatte ihren Ausgangspunkt im Immobilien- und Hypothekenbereich. Unterliegend hatte sich über Jahre eine strukturelle Überakkumulationskrise aufgebaut. Durch die massive Ausweitung öffentlicher Kredite und der Bilanzen der Notenbanken wurde die Entwertung des Geld- und überschüssigen Realkapitals aufgehalten. Das Institut für Weltwirtschaft beschreibt diese Auffangoperation durch den globalen öffentlichen Kredit folgendermaßen:
"Weltweit werden etwa 3 Billionen Dollar staatlicher Hilfen ausgegeben, um den Absturz der Weltwirtschaft abzubremsen. Dieser Nachfrageschub von 4,7% des Welteinkommens hat zuallererst die Aufgabe, die Spirale gestrichener Investitionspläne, reduzierter Produktion, gesunkener Beschäftigung, gepaart mit schrumpfenden Einkommen und damit weiter sinkender Nachfrage zu stoppen. Gleichzeitig sollten die Programme aber die Weltwirtschaft nach der Krise wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad bringen... Größe und Ausrichtung der weltweiten Konjunkturprogramme variieren stark. Die größten Konjunkturpakete haben die USA und China aufgelegt, Europa hat nur einen Anteil von 15% an den weltweiten Maßnahmen. Auch gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung investiert die EU nur etwa 1,6% ihres Bruttoinlandsproduktes, während die USA etwa 7% und China etwa 14% ausgeben." (Pressemitteilung des IfW vom 1.4.2010)
In der weiteren Entwicklung hat sich der Krisenprozess in eine Schuldenkrise der öffentlichen Finanzen transformiert. Die strukturelle Überakkumulation wurde durch eine massive Expansion der Kredits überdeckt und nach dem Ausbruch der Finanz- und Bankenkrise erneut durch den öffentlichen Kredit aufgefangen. Die vorhandenen Möglichkeiten einer Verminderung der Schulden und damit des Volumens der Finanzsphäre wurden ausgeschlagen. Auch nach den Attacken auf das Euro-Währungssystem wurde über eine teilweise Entschuldung ("hair cuts") philosophiert. Letztlich aber wurde das Finanzsystem durch die Expansion des öffentlichen Kredits gestützt.
Trotz der massiven Ausweitung des öffentlichen Kredits und der Aufblähung der Bilanzen der Notenbanken liegen die Kreditzinsen auf niedrigstem Niveau. Dies ist einem reichlichen Angebot an Geld- und Leihkapital zu verdanken, das nach Anlagemöglichkeiten sucht. Durch die Stützungsmaßnahmen für Banken und Konjunktur haben viele Staaten ihre Haushalte stark aufgebläht. Gleichwohl ist noch keine Tendenz zu einer beschleunigten Preisbewegung erkennbar. Insgesamt kann diese Tendenz der Niedrigstzinsen auch als Indiz für die noch nicht aufgehobene Überakkumulationskrise gewertet werden.
Der 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm wird zwar die Märkte und Finanzmarktakteure beruhigen und Spekulationen gegen den Euro stoppen. Ob das Rettungspaket den Euro aber tatsächlich vor dem Scheitern bewahrt, hängt davon ab, wie nachhaltig die Defizitländer ihre Staatsfinanzen konsolidieren. Diese Konsolidierung ist allerdings durch einen brutalen Sparkurs nicht zu haben, denn durch die dadurch ausgelöste rezessive Entwicklung wird die gesellschaftliche Wertschöpfung weiter belastet. Ohne eine Erneuerung der realen Ökonomie, kombiniert mit einer Sanierung der öffentlichen Finanzen und damit einer fiskalischen Disziplin, wird die europäische Währungsunion letztlich doch an internen Widersprüchen zerbrechen.
Angesichts des massiven Schuldenberges der kapitalistischen Hauptländer warnt der US-Ökonom Nouriel Roubini vor Staatspleiten. "Heute machen sich die Märkte Sorgen um Griechenland, aber Griechenland ist nur die Spitze des Eisbergs, der Kanarienvogel in der Kohlemine, einer breiteren Palette an fiskalischen Problemen... Schließlich werden auch die fiskalischen Probleme der USA in den Vordergrund rücken." Das Risiko, "dass in den nächsten zwei oder drei Jahren in den USA etwas Ernstes passiert, ist erheblich, da es in Washington keine Bereitschaft gibt, etwas zu tun", falls die Kreditmärkte dies nicht erzwingen (Financial Times Deutschland vom 29.4.2010).
Das Sanierungsprogramm, das die Kreditgeber der EU-Länder und der IMF Griechenland verordnet haben, wird sich in eine schwere Wirtschaftskrise umsetzen, womit die Schuldenlasten drückender werden. Die Gefahr eines Staatsbankrotts oder gar die massive Beschädigung des Euro-Systems ist damit nicht gebannt. Die Finanz- und Wirtschaftskrise Griechenlands ist mit dem Überbrückungskrediten nicht überwunden, selbst wenn man, fast gegen besseres Wissen, annimmt, dass die Strukturreformen durchgesetzt werden können. In diesem Fall gilt die Einschätzung von Winston Churchils aus dem Jahr 1942: "Now this is not the end. It ist not even the beginning of the end. But it is, perhaps, the end of the beginning."
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