ÖFFENTLICHE FINANZEN: Kommunalfinanzen in der Sackgasse
Böckler Impuls 09/2010
Die finanzielle Lage vieler Städte und Gemeinden ist dramatisch. In Nordrhein-Westfalen muss demnächst ein Drittel der Kommunen mit Nothaushalt arbeiten. Gemeinden in anderen Bundesländern könnte es bald ähnlich gehen.
Viele Städte und Gemeinden müssen einen Kredit nach dem anderen aufnehmen, weil ihre Einnahmen jedes Jahr wieder hinter den Ausgaben zurückbleiben. Der Professor für Politik und Verwaltung Lars Holtkamp hat empirisch untersucht, wie es um die finanzielle Situation der Kommunen in Nordrhein-Westfalen (NRW) steht. Diese hätten schon seit mehr als einem Jahrzehnt Erfahrungen mit einer prekären Finanzlage gesammelt, schreibt der Wissenschaftler. Und: Die NRW-Kommunen seien "Vorboten einer im Zuge der aktuellen Finanzkrise auch in anderen Bundesländern zu erwartenden defizitären Haushaltsentwicklung".
Die Verschuldung steigt. Der Anteil der Gemeinden an der gesamten öffentlichen Verschuldung in Deutschland beträgt mit gut 100 Milliarden Euro lediglich sieben Prozent. Der absolute Schuldenstand sei auf den ersten Blick nicht besonders besorgniserregend, so Holtkamp - zumindest im Vergleich zur Verschuldung von Bund und Ländern. Dieser Vergleich hinkt jedoch, erläutert der Forscher: Im Gegensatz zu den höheren föderalen Ebenen verbietet es das Haushaltsrecht den Gemeinden nämlich, sich dauerhaft zu verschulden. Erlaubt sind lediglich kurzfristige Kredite zur Liquiditätssicherung, Kommunen dürfen sich aber kein Geld leihen, um laufende Ausgaben zu decken.
Faktisch geschieht dies jedoch vielerorts. So wuchsen die Defizite vieler Städte und Gemeinden in der Vergangenheit rasant: Das Volumen dieser so genannten Kassenkredite, mit denen sie ihre Finanzlöcher stopfen, hat sich innerhalb von sieben Jahren vervierfacht: auf rund 28 Milliarden Euro im Jahr 2006. Und die Zahl dürfte weiter zügig steigen, erwartet der Wissenschaftler. Die Kredite wie vorgesehen nach kurzer Zeit wieder abzubauen, gelingt vielen Kommunen "schon seit Jahren nicht mehr und jedes Jahr kommen Kassenkredite zur Finanzierung der aktuellen Fehlbeträge und Zinsleistungen hinzu", so Holtkamp. In solchen Fällen wird die Kommunalaufsicht tätig und kann Sanktionen verhängen.
"Die Dramatik der Kassenkreditentwicklung ergibt sich ausschließlich aus den Besonderheiten des kommunalen Haushaltsrechts und den kommunalaufsichtlichen Eingriffen", erläutert der Forscher. Diese Besonderheiten machten die kommunale Haushaltskrise zu einem Spezialthema, das sowohl der Öffentlichkeit als auch den Abgeordneten des Bundestags schwer zu vermitteln sei. Wegen ihrer im Vergleich geringen Schuldenlast seien die Gemeinden von den verschiedenen Bundesregierungen lange als die "reichen Verwandten" angesehen worden.
Nothaushalt als Massenphänomen. Ende 2006 befanden sich von den 427 Kommunen Nordrhein-Westfalens bereits 196 in der "Haushaltssicherung". Das heißt, sie müssen sich verpflichten, die Schulden in einem bestimmten Zeitraum, meist fünf Jahre, abzubauen und der Kommunalaufsicht ein entsprechendes Finanzkonzept vorlegen. Genehmigt die Aufsichtsbehörde den Sanierungsplan nicht, greift das Nothaushaltsrecht: Die betroffenen Städte und Gemeinden dürfen nur noch einen Bruchteil der geplanten Investitionen durchführen und keine neuen freiwilligen Aufgaben übernehmen. Ende 2006 galt das für 114, also mehr als ein Viertel der Kommunen in NRW. In den Folgejahren liegt die Quote zwar etwas niedriger, dies ist Holtkamp zufolge aber lediglich auf die Einführung neuer Buchungstechniken zurückzuführen. 2010 dürfte fast ein Drittel der Kommunen ins Nothaushaltsrecht rutschen.
Doch auch Kommunalaufsicht und Nothaushalte lösen die Finanzprobleme oft nicht, wie sich in den untersuchten Gemeinden zeigt. Je mehr Kommunen betroffen sind, desto geringer ist die abschreckende Wirkung der von den Aufsichtsbehörden angedrohten Eingriffe in die finanzielle Selbstverwaltung der Gemeinden, hat der Wissenschaftler beobachtet. Zudem fällt es der Kommunalaufsicht bei der großen - und infolge rückläufiger Steuereinnahmen weiter steigenden - Fallzahl immer schwerer, die einzelnen Haushalte intensiv zu prüfen. Holtkamp spricht vom "stumpfen Schwert des Nothaushaltsrechts".
Skeptisch ist der Wissenschaftler zudem, was die Chancen betrifft, den Kommunen höhere Einnahmen zu verschaffen: Die Kommunen hätten im föderalen Verteilungskampf eine zu schwache Position, den höheren Verwaltungsebenen in nennenswertem Umfang zusätzliche Mittel abzutrotzen. Bund und Länder seien starke Vetospieler, die die Interessen der Kommunen nur "nachrangig" berücksichtigten. Beide hätten zunächst ihre eigenen, viel höheren Schuldenstände im Auge, gerade angesichts der Vorgaben durch die Schuldenbremse.
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