Gesundbeterei à la Schwarz-Gelb
Von Christa Luft, Neues Deutschland
Wir können beruhigt sein, die Krise ist ausgestanden. So jedenfalls lässt es die schwarz-gelbe Regierungskoalition vermelden: anziehendes Wirtschaftswachstum, ein dickes Auftragsplus im Maschinenbau, sinkende Arbeitslosigkeit, entspannte Lage im Finanzsektor, geringerer Rückgang der Steuereinnahmen als befürchtet. Alles in allem hätten sich die Maßnahmen der Regierung zur Finanzmarktstabilisierung und zur Konjunkturstützung bewährt.
Die Koalitionäre wollen sich aus der Krise jubeln – ein durchsichtiges Manöver. Für Überschwang ist kein Grund, auch wenn sich einige ökonomische Parameter günstiger entwickeln als zuvor erwartet, zumal diese nicht mit nachhaltigen sozialen Effekten einhergehen. Die wieder ansteigende deutsche Wirtschaftsleistung ist zuoberst der Nachfrage aus dem Ausland zu verdanken. Für die Zukunft ist das jedoch keine sichere Basis. In den USA beginnt das importgestützte Wachstum bereits zu stocken. Die meisten Euro-Länder werden ihre Einfuhren aus der Bundesrepublik drosseln, um die Verschuldung abzubauen. Ohne Stärkung des Binnenkonsums bleibt der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts fragil. Die für 2011 vorgesehene drastische Kürzung öffentlicher Ausgaben wirft ihre Schatten voraus.
Tatsächlich ist die offiziell ausgewiesene Arbeitslosigkeit im Juli 2010 auf 7,6 Prozent gegenüber 8,2 Prozent im Vorjahresmonat gesunken, die Kurzarbeit geht zurück. Tatsache ist ebenso, dass die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter abgenommen hat und Teilzeit sowie geringfügige Beschäftigung zunehmen. Real beläuft sich die Arbeitslosigkeit auf mindestens 4,33 Millionen, wenn die Quasi-Arbeitslosen mitgezählt werden. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten, die von ihrem Lohn nicht leben können und »aufstocken« müssen, steigt. Die Verrohung am Arbeitsmarkt verfestigt sich. Der Arbeitgeberverband besteht auf fortgesetzter Lohnzurückhaltung, »um den Aufschwung nicht zu gefährden«. Der FDP-Wirtschaftsminister sieht Vollbeschäftigung am Horizont, wenn die Belegschaften bescheiden bleiben. Brüderle sieht Arbeitskräftemangel drohen und will ausländische Fachleute mit Begrüßungsgeld locken. Das würde bedeuten, ganz FDP, die Unternehmen aus der Verantwortung zu entlassen, zunächst das im eigenen Land vorhandene Potenzial durch Investitionen in Aus- und Weiterbildung zu nutzen.
Einige abgeschwächte Symptome der Krise für deren Ende zu halten, ist fahrlässig. Die Schwarz-Gelben haben nichts getan, um die Kapitalkonzentration in den Händen weniger privater und institutioneller Anleger zu stoppen. Überakkumulation bleibt eine Krisenquelle, solange die Beschäftigten nicht erhalten, was ihnen von der Wertschöpfung zusteht, die Einkommensbesteuerung nicht nach der Leistungsfähigkeit erfolgt und die Privatisierung der Altersvorsorge sowie der öffentlichen Infrastruktur fortschreitet.
Immer noch fehlen angemessene Maßnahmen der Regierung, mit denen die Profiteure der Finanzmarktstabilisierung zur Kostendeckung herangezogen werden. Selbst die neoliberale »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« rechnet damit, dass die Rettung der deutschen Banken in Folge der Finanzkrise Bund und Länder voraussichtlich zwischen 34 und 52 Milliarden Euro kosten wird. Das ist gewiss noch schöngefärbt.
Mit Lobgesängen auf die eigene Politik will die Koalition von dringend notwendigem Umsteuern ablenken. Von einer »Ökonomie für den Menschen«, wie sie der indische Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen fordert, sind wir weiter denn je entfernt.
In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.
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