Gesine Lötzsch: "Kommunalpolitik ist das Herzstück"

Rede von Gesine Lötzsch bei den Roten Rathausgesprächen der LINKEN am 5. November 2010

08.11.2010

- Es gilt das gesprochene Wort -

Herzlich willkommen zu den Roten Rathausgesprächen, der inzwischen schon traditionellen Bürgermeisterkonferenz unserer Partei.

Ich freue mich, Euch alle hier begrüßen zu können und hoffe, Ihr werdet Gespräche führen, die Euch nicht nur nutzen, sondern auch dazu bringen zu sagen:

Es hat sich doch gelohnt, nach Berlin zu fahren.

Eine Vorbemerkung: Ich werde euch nicht erzählen, wie schwierig die finanzielle Situation der Kommunen und Gemeinden ist, das wisst ihr viel besser als ich.

Ich will mit euch über das Verhältnis von Kommunalpolitik und Partei sprechen.

Ich glaube, wir haben oft unterschätzt, wie schwierig es ist, unter ständig schlechter werdenden Bedingungen, linke Kommunalpolitik zu machen.

Vielleicht haben wir auch manchmal nicht genau genug hingeschaut und deshalb zu wenig die kleinen und großen Erfolge gewürdigt.

Die letzten Jahre war ich immer bei unseren Bürgermeisterkonferenzen dabei und habe daran sehr viele gute Erinnerungen!

Dass ich dieses Jahr wieder dabei bin, ist nicht der Macht der Gewohnheit geschuldet, sondern der Erkenntnis, dass gute linke Kommunalpolitik das Rückgrat der Partei ist!

Die Partei steht und fällt mit ihren Kommunalpolitikern.

Dort wo wir kommunalpolitisch fest verankert sind, dort werden wir immer wieder gewählt.

Darauf könnt ihr stolz sein, dafür möchte ich euch im Namen der ganzen Partei danken!

Für mich ist Kommunalpolitik Chefsache!

Das ist keine Selbstverständlichkeit und auch nicht nur so daher geredet.

Fragt meine Bürgermeisterin Christina Emmrich, die kann euch freudige und hoffentlich wenig leidvolle Geschichten erzählen.

Ich habe mich schon immer in die Kommunalpolitik eingemischt.

Als direkt gewählte Bundestagsabgeordnete aus Berlin-Lichtenberg habe ich nie eine Arbeitsteilung akzeptiert, die darauf hinausläuft, dass wir im Bundestag die Weltpolitik bestimmen oder wenigstens erklären und die Kommunalpolitiker sich mit den absurden Ergebnissen der Weltpolitik abfinden müssen.

Auf diese Arbeitsteilung werde ich mich nie einlassen, darauf dürfen wir uns als Partei nie einlassen!

Im Gegenteil, ich bin dafür, dass ihr euch viel mehr in die öffentliche Diskussion einmischt.

Maritta Böttcher sagte mir, dass auf der heutigen Konferenz 4 Landräte, 5 Oberbürgermeister/innen, 2 Senatoren, 2 Minister/innen

und 58 Bürgermeister und Beigeordnete anwesend sind.

Ich wünsche mir, dass ihr euch öfter zu Wort meldet, wenn es um die Zukunft unserer Partei geht.

Ich denke dabei z.B. an die Diskussion über unser Parteiprogramm.

Doch dazu später.

Es gibt immer wieder Stimmen, die eine Neuausrichtung der Partei fordern und neue „spannende“ Themen in die Diskussion einbringen wollen.

Ich sage nein! Wir haben von über 5 Millionen Menschen einen klaren Wählerauftrag erhalten.

Die Menschen wollen endlich Ergebnisse sehen.

Sie wollen einen gesetzlichen Mindestlohn, sie wollen eine armutsfeste Rente, sie wollen ein solidarisches Gesundheitssystem und sie wollen auch dann in Würde leben, wenn sie keine Arbeit haben. Hartz IV lässt das nicht zu!

Unsere Partei ist kein Revuetheater, das alle sechs Wochen das Programm ändert, nur weil die Kritiker die Themen nicht „spannend“ finden.

Sicherlich haben unsere Themen für einen gut bezahlten Journalisten bei der BILD-Zeitung oder der Süddeutschen Zeitung keinen hohen Unterhaltungswert.

Doch darum geht es uns allen doch nicht!

Politikverdrossenheit entsteht doch immer dann, wenn Menschen den Eindruck haben, dass Politik nur noch aus schlechtem Theater besteht und letztendlich für die Menschen nichts Nützliches herumkommt.

In dieser Woche haben Gregor Gysi, Klaus Ernst und ich der Presse ein Strategiepapier vorgestellt.

In dem Papier gibt es zwei schlichte Grundaussagen:

1. DIE LINKE will Motor für den Politikwechsel sein und

2. Rot-Rot-Grün ist 2013 machbar.

Ich bin der Auffassung, dass habe ich auch auf der Pressekonferenz gesagt, dass wir schon Motor sind und habe dabei an unsere 6000 Mandatsträger erinnert.

Keiner von euch hat sich auf vergangenen Wahlergebnissen ausgeruht.

Ihr seid bereits Motor und ihr bestimmt die Politik in euren Kommunen.

Dazu ein konkretes Beispiel aus Berlin-Lichtenberg: Jedes Kind, das in die Kita geht, erhält von der Musikschule kostenfreie musikalische Früherziehung.

Kein Kind muss zusehen, wie andere Kinder zu bezahlten Extrastunden aus der Gruppe gebeten werden und die anderen zurückbleiben.

Ich glaube, da können wir als Bundespartei und als Bundestagsfraktion noch einiges von euch lernen.

Ja, wir wollen die sogenannte christlich-liberale Koalition ablösen.

Sie darf nicht das letzte Wort der Geschichte sein.

Eine Koalition aus SPD, LINKEN und Grünen wäre eine mögliche Alternative.

2013, da bin ich mir ziemlich sicher, wird DIE LINKE das Zünglein an der Waage sein, egal wie heftig die grüne Spekulationsblase von den Umfrageinstituten aufgepumpt wird.

2013 werden SPD und Grüne Farbe bekennen müssen.

Hoffnungsvolle Zeichen gibt es bereits.

Auf Initiative des DGB gab es eine Pressekonferenz der Vorsitzenden von SPD, LINKE und Grüne, mit dem Ziel, gemeinsam gegen die Kopfpauschale, gegen die Zwei-Klassen-Medizin, gegen Praxisgebühr und Zuzahlungen zu kämpfen.

Wir wollen gemeinsam eine solidarische Bürgerversicherung!

Anita Tack, unsere Gesundheitsministerin aus Brandenburg hat jetzt vorgeschlagen, vor der Entscheidung im Bundesrat über die Veränderungen bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse die bereits eingereichte Massenpetition noch einmal deutlich zu unterstützen.

Damit der Petitionsausschuss eine öffentliche Anhörung durchführen MUSS, sind 50 000 Unterschriften erforderlich.

Die sind noch nicht erreicht.

Darum haben wir eine Postkartenaktion vorbereitet.

Die Karten werden am Sonntag auf dem Konvent zum Mitnehmen angeboten.

Konkret: Mit dieser Gesetzesänderung soll die Kopfpauschale durch die Hintertür eingeführt werden, alle Beitragserhöhungen einseitig auf die Versicherten abgewälzt und die Vorkasse beim Arzt eingeführt werden.

Das heißt: der Patient zahlt erst einmal und was ihm die Krankenkasse wirklich zurück erstattet – da zählt dann das Prinzip Hoffnung.

Ihr könnt euch jetzt schon ausrechnen, dass viele Bürgerinnen und Bürger ihre Kommunen in diesem Fall um weitere finanzielle Hilfe bitten müssten.

Je länger die sogenannte christlich-liberale Regierung regiert, desto größer werden die gemeinsamen Schnittmengen von SPD, Grüne und LINKE: Mindestlohn, Hartz IV, Rente, Atomausstieg, etc.

Doch niemand kann eine Wiederholung von Rot-Grün wollen.

Menschen verbinden damit den größten Niedriglohnsektor Europas, Rentenkürzungen, Hartz IV und völkerrechtswidrige Kriege.

Nur die LINKE verhindert eine einfache Wiederholung der Schröder-Fischer-Ära.

Wir erwarten, dass SPD und Grüne ihre Regierungsgeschichte aufarbeiten und Kurskorrekturen vornehmen.

Dabei ist zu beachten, dass die bisherigen Korrekturen nicht in Stein gemeißelt sind.

Erst wenn die SPD wirklich wieder etwas zu entscheiden hat, werden wir sehen, wie ernst sie es mit ihren Kurskorrekturen meint.

Bei der Entscheidung über die neuen Hartz-IV-Regelsätze werden wir sehen, wie sich die SPD verhalten wird.

Auf jeden Fall muss der Bund die Kommunen bei den Kosten der Unterkunft merklich entlasten.

Wenn jetzt in der Bundesregierung über Steuersenkungen diskutiert wird, dann kann ich nur den Kopf schütteln.

Sehen die Damen und Herren denn nicht die kommunale Finanznot?

Wir brauchen jetzt keine Steuersenkungen, sondern Steuererhöhungen für die Menschen und Unternehmen, die die Krise verursacht und von ihr profitiert haben!

Zurück zur Kooperation mit SPD und Grünen.

Mich interessiert natürlich, wie ihr auf der kommunalen Ebene mit den Mandatsträgern der anderen Parteien zusammenarbeitet.

Welche guten Beispiele gibt es in euren Kommunen, Landkreisen und Bundesländern in der Zusammenarbeit mit SPD und Grünen.

Welche Erfahrungen gibt es in der Zusammenarbeit mit anderen Parteien, aber auch mit Vertretern von Wählergemeinschaften?

Auch in der Frage hoffe ich, von euch etwas zu lernen.

Wenn ich das nächste mal mit Sigmar Gabriel telefoniere, würde ich mich freuen, wenn ich ihn auf gute Kooperationsbeispiele hinweisen könnte.

Vielleicht wird er dann auch mutiger, was die Zusammenarbeit mit der LINKEN auf der Bundesebene betrifft.

Im Augenblick versuchen SPD und Grüne möglichst alles ohne uns zu machen.

Ob es um den Atomkompromiss geht oder um Hartz IV.

SPD und Grüne glauben wirklich, dass sie es ohne uns schaffen werden.

Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache.

Der Politikwechsel ist nur mit der LINKEN möglich, das konnten wir in Thüringen, in Hessen, im Saarland und in NRW sehen.

Wenn es der SPD nur um die Macht und nicht um politische Veränderungen ging, dann haben sie sich für die CDU entschieden oder sind gescheitert.

Hannelore Kraft ist eine Schrittmacherin in der SPD.

Sie hat sich teilweise auf die LINKE eingelassen und konnte damit sofort ein Wahlziel umsetzen: Die Ablösung des von Unternehmen mietbaren Ministerpräsidenten Rüttgers.

Wenn Frau Kraft weiter Schrittmacherin bleiben will, dann muss sie auf unsere Fraktion im NRW-Landtag zugehen und mutig Beschlüsse fassen, wie z.B. die Abschaffung der Studiengebühren.

Ich hoffe nicht, dass Hannelore Kraft sich auf die guten Umfragen verlässt und Neuwahlen provoziert.

Es wäre fatal, wenn die kommerziellen Umfrageinstitute darüber bestimmen würden, wann in einem Bundesland gewählt wird.

Auch wenn wir SPD und Grüne zu Recht für ihre unsoziale Politik kritisieren, ist doch allen klar, dass unser Ziel die Ablösung dieser

CDU/CSU-FDP-Lobbyregierung ist.

Am Samstag werden viele Genossinnen und Genossen im Wendland gegen die schwarz-gelbe Atompolitik demonstrieren.

Es entsteht immer mehr der Eindruck, dass Politik nicht mehr gewählt, sondern bestellt wird.

Der Lobbyismus hat alle Schranken der Demokratie gesprengt.

Ging der Streit früher zwischen Schröder und Fischer, wer Koch und wer Kellner ist, ist heute klar, dass der RWE-Vorstandsvorsitzende Großmann Koch und Frau Merkel Kellnerin ist.

Vier Großkonzerne machen Milliardenprofite und setzen dafür die Sicherheit von 80 Mio. Menschen aufs Spiel.

Damit wird die Bundesregierung selbst zum Sicherheitsrisiko.

Am Sonntag wird in Hannover ein Programmkonvent stattfinden.

Mein Ziel ist es, dass wir jetzt die 2. Stufe zünden.

Die interne Diskussion zum Parteiprogramm war nützlich, jetzt geht es darum, dass wir aus der geschlossenen Veranstaltung eine öffentliche machen.

Es geht nicht nur um eine interne Verständigung über unsere Ziele, es geht um eine gesellschaftliche Diskussion, die wir unbedingt führen müssen.

Wir sprechen in unserem Programmentwurf die brennenden Fragen unserer Zeit an.

Mit unseren Forderungen sind wir mitten im Leben!

Nur zwei Beispiele:

In den Zeitungen dieser Woche war zu lesen, dass Patienten in diesem Jahr keine Zahnarzttermine mehr bekommen.

Und, dass der Gesundheitsminister einen Gesetzesentwurf im nächsten Jahr vorlegen will, in dem er Vorschläge zur Bekämpfung des Ärztemangels auf dem Lande gesetzlich regeln will.

Das ist doch absurdes Theater!

Die gesamte Gesundheitsreform ist gescheitert und das wissen wir nicht erst seit dieser Woche.

Wir diskutieren in unserem Programmentwurf eine solidarische Bürgerversicherung.

Eine Versicherung, die garantiert, dass sich alle Gesundheit leisten können, weil alle in diese Versicherung einzahlen müssen.

Ich wünsche mir, dass sich unsere Gesundheitssenatorin, unsere Gesundheitsministerin, aber auch viele Bürgermeister sich in die Programmdiskussion um eine zukunftssichere Gesundheitspolitik einbringen.

Die Programmdiskussion ist keine Debatte, die auf Strömungen beschränkt werden soll.

Mal abgesehen davon, dass aus meiner Sicht die 6000 Mandatsträger in unserer Partei eigentlich die größte Strömung darstellen, erwarte ich von euch kräftige Impulse in der Programmdebatte.

Auch ihr habt vielleicht schon einmal die Erfahrung gemacht, dass ihr als Kommunalpolitiker als Oberrealos, als Regierungslinke, als Pragmatiker bezeichnet wurdet – was nicht immer freundlich gemeint war.

Ihr müsst häufig Entscheidungen treffen, wo ihr euch fragt, habe ich mit diesem Kompromiss eigentlich gegen meinen Willen eine Sache unterstützt, die ich eigentlich sogar nicht will.

Einige haben es vielleicht gehört. Am Wochenende haben wir auf der Sitzung des Parteivorstandes einen Antrag zur Bürgerarbeit sehr kontrovers diskutiert.

Einig waren wir uns in der Ablehnung der Bürgerarbeit. Ines Feierabend, Dezernentin in Berlin Treptow-Köpenick, fasste ihre Forderung zusammen: Öffentlicher Beschäftigungssektor statt Bürgerarbeit.

Kontroversen gab es um einen Zusatzantrag, der dann eine Mehrheit fand: „Der Parteivorstand ruft deshalb alle Funktionsträger/innen der LINKEN dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass bei ihnen keine Teilnahme an der Bürgerarbeit erfolgt.“

Ich verstehe die Kontroverse sehr gut, denn damit ist die Frage, was passiert denn nun in unserer Kommune, wenn trotz unserer Ablehnung der Bürgerarbeit das Jobcenter vor Ort zu den 197 gehört, die am Modellversuch „Bürgerarbeit“ teilnehmen.

Ein Beispiel: Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld wird es 700 Plätze Bürgerarbeit geben – in der Kinder- und Jugendarbeit, in der Sozialarbeit und in der Grünpflege.

Für diese 700 Plätze gibt es 3700 Bewerbungen.

Eine unwürdige Situation – gewiss.

Aber was sagen wir den Menschen, die nach diesem Strohhalm greifen?

Was sagen wir Projekten wie der von unserer Genossin MdB Sabine Zimmermann unterstützten Arbeitsloseninitiative Plauen/Pausa, die auf die Plätze der Bürgerarbeit warten?

Eine schwierige Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt.

Ich stelle es mir zur Aufgabe zu erreichen, dass wir im Parteivorstand über diese Fragen sorgfältiger diskutieren als bisher.

Trotzdem: Ich bin mir sicher, auch wenn es medial manchmal anders dargestellt wird, dass es in unserer Partei ein 95%ige Übereinstimmung gibt, was die Bewertung des Programmentwurfs betrifft und ich bin mir auch sicher, dass wir uns zu den 5% strittigen Fragen auch noch einigen werden.

Klar ist auf jeden Fall: Wir sind eine 100% solidarische Partei, eine 100% Friedenspartei und eine 100% Gerechtigkeitspartei.

Wer daran Zweifel hat, sollte mithelfen, diese Zweifel auszuräumen.

Ich freue mich auf eine Diskussion, die uns alle voran bringt und die deutlich macht, dass wir mitten im Leben stehen.

Danke für die Aufmerksamkeit.