Warum wir eine verantwortungsvollere Kreditvergabe brauchen
Von Axel Troost
Nach wie vor wird der Konsumentenkredit in Deutschland kaum thematisiert. In Diskussionen über die Stärkung von Verbraucherrechten stehen meistens Finanzanlagen im Vordergrund. Dies mag nicht weiter verwundern, zumal mit der Lehman-Pleite Anlagepapiere verschiedenster Art ins Gerede gekommen sind. Nichtsdestotrotz wird demgegenüber der Kredit als die zentrale Finanzdienstleistung sträflich vernachlässigt. Dabei sollte die wachsende Zahl überschuldeter Privatpersonen Anlass genug sein, sich den Herausforderungen einer verantwortungsvolleren Kreditvergabe zu stellen. Grundsätzlich muss es darum gehen, den Begriff der Finanzdienstleistung wörtlicher zu nehmen und sich der gesellschaftlichen Bedeutung des Kredits in der heutigen Zeit zu stellen.
Rund 6,5 Millionen Menschen über 18 Jahre sind in Deutschland laut dem jüngsten SchuldnerAtlas von Creditreform überschuldet und weisen nachhaltige Zahlungsstörungen auf. Der Atlas zeigt, dass die Überschuldung hierzulande nach zwei Jahren deut-icher Rückgänge 2010 wieder zugenommen hat. Zwar hätte der Anstieg der Schuldnerzahl angesichts der vorjährigen Wirtschaftslage für dieses Jahr noch schlimmer ausfallen können Doch ist diese Situation bereits alarmierend. So gibt auch der Atlas zu Bedenken, dass für die „nähere Zukunft, selbst unter Annahme einer weiterhin störungsfreien ökonomischen Fortentwicklung nicht mit einem drastischen Rückgang der Schuldnerquoten zu rechnen ist“.[1]
Der SchuldnerAtlas macht zudem deutlich, dass in den vergangenen Jahren (seit 2004) vor allem der Anteil der Frauen an den überschuldeten Privatpersonen stieg. Allein im Vergleich zum Jahr 2009 beispielsweise erhöhte sich die Zahl der überschuldeten Frauen um 11,4 Prozent, während die Zahl der betroffenen Männer nahezu stagnierte. Auch ist die Entwicklung insbesondere bei den jungen Erwachsenen problematisch: Von den 20 bis 29-jährigen Einwohnern Deutschlands gelten mittlerweile 10,75 Prozent als überschuldet.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Überschuldungsreport des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen (iff). Dabei steht fest, das es vor allem sog. „unvermeidbare“ kritische Ereignisse wie in erster Linie Arbeitslosigkeit, aber auch Scheidung und Krankheit als Hauptauslöser für Überschuldung gelten. Mehr als drei mal so häufig wirken diese Auslöser, während „vermeidbares Verhalten“ wie beispielsweise Konsumverhalten oder unwirtschaftliche Haushaltsführung gerade mal 17 Prozent der Überschuldungssituationen verursachen.[2] (S.18).
Die Zeit ist längst reif, sich endlich den Herausforderungen einer verantwortungsvolleren Kreditvergabe zu stellen. Denn mehr denn je hat der Verbraucherkredit seine Berechtigung darin, das zukünftige Einkommen für gegenwärtige Bedürfnisse verfügbar zu machen. Dies gilt erst recht in Anbetracht der leidigen Umstände befristeter und Leiharbeitsverhältnisse und den Anforderungen an ein lebenslanges Lernen sowie wachsende Flexibilitätsansprüche, die an den Einzelnen gestellt werden. Gerade in Phasen von Arbeitslosigkeit, Aus- und Weiterbildung, Familiengründung oder Krankheit ist die Möglichkeit zur Erzielung von Einkommen eingeschränkt. Zugleich müssen aber Mittel mobilisiert werden, um diese Phasen abzukürzen und erfolgreich zu bewältigen. Der Kredit hat somit die Bedeutung einer Basisdienstleistung inne, die oftmals eine gesellschaftliche Teilhabe erst ermöglicht.[3]
Die Kreditvergabe ist ebenso wenig etwas Schlechtes, wie die Überschuldung ein Zeichen von Verschwendung ist. Aber wir kommen nicht umhin, das regulative Umfeld des Kreditmarktes auf den Prüfstand zu stellen. Unabdingbar ist dabei zum einen, den gesellschaftlich abverlangten Flexibilitätsanforderungen eine entsprechende Flexibilität des Privatdarlehens gegenüberzustellen. Zum anderen kann nicht hingenommen werden, dass Verbraucher in der Verschuldung gehalten werden, um Gewinne zu erwirtschaften. Es muss das Ziel sein, die von den Kreditgebern eingesetzten Techniken wie das Marketing, die Kreditvergabepraxis, die Risikostreuung und den Umgang mit säumigen Schuldnern als Auslöser für Überschuldung zu beseitigen. So ist zu beobachten, dass wegen der Preisdifferenzierung nach Höhe und Art des Einkommens und durch den Verkauf teurer Nebenprodukte einkommensschwache Haushalte auffallend stark belastet werden.
Ansätze für eine verantwortungsvollere Kreditvergabe zielen darauf ab, die Kreditbeziehungen besser an die veränderten Lebensumstände anzupassen. Themen wie Kreditkündigung und Insolvenz könnten hierdurch an Bedeutung verlieren und weniger belastend wirken. In keinem Bereich des Retail-Bankings gibt es für die Kreditwirtschaft eine bessere Gelegenheit, an Vertrauen zurückzugewinnen.
------------[1] SchuldnerAtlas Deutschland, Jahr 2010, S. 51, http://www.creditreform.de/Deutsch/Creditreform/Presse/Archiv/SchuldnerAtlas_Deutschland/2010/Analyse_SchuldnerAtlas_Deutschland_2010.pdf
[2] Institut für Finanzdienstleistungen, iff-Überschuldungsreport 2010, S. 18, http://www.verantwortliche-kreditvergabe.net/media.php?t=media&f=file&id=3933
[3] Vgl. hierzu auch: Troost, Axel / Raoul, Didier, „Der Kredit ist die Herausforderung Nr. 1“, in: bank und markt, Nr. 1/2010.
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