Eröffnungsrede des 5. Landesparteitages am 13.

Rico Gebhardt, Landesvorsitzender LINKE Sachsen

21.11.2010

„Hast du dich heute schon geärgert, war es heute wieder schlimm? Hast du dich wieder gefragt, warum kein Mensch was unternimmt? Du musst nicht akzeptieren, was dir überhaupt nicht passt, wenn du deinen Kopf nicht nur zum Tragen einer Mütze hast.“

Das, liebe Genossinnen und Genossen, sind Textzeilen aus dem Song der ÄRZTE, den Ihr gerade gehört habt. Einmischen, mitreden, wählen, protestieren und für Alternativen kämpfen – das ist unter anderem, was Demokratie ausmacht. Nicht nur in Parlamenten, sondern auch auf den Straßen. Wir erleben gerade, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, nicht nur in Stuttgart oder im Wendland, immer lauter und stärker von der Politik fordern, gehört zu werden, dass sie mitreden und mitentscheiden wollen. Wir LINKE haben immer alle Bemühungen um mehr direkte Bürgerbeteiligung aktiv unterstützt und werden das auch weiterhin nach Kräften tun.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste, Die Krise hat deutlich gemacht, dass der Finanzmarktkapitalismus die Lebensinteres­sen der Bürgerinnen und Bürger nicht nur in der Bundesrepublik immer mehr bedroht. Mit ein paar Korrekturen ist es deshalb nicht getan – ein echter Politikwechsel zu mehr Gerechtigkeit und Teilhabe ist nötig! Hierfür müssen gesellschaftliche und parlamentari­sche Mehrheiten gesucht werden. Will DIE LINKE einen solchen politischen Wechsel aktiv mit gestalten, so muss sie mit potentiellen Partnern in Dialog treten. Dabei sollen sich diese Gespräche nicht nur auf den parlamentarischen Raum beschränken; auch auf Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände und Bürgerinitiativen müssen wir gezielt zugehen und über gemeinsame Projekte und Ideen verhandeln.

Vielerorts, in den Kreisen und Städten Sachsens und auch im Sächsischen Landtag, arbeitet DIE LINKE schon jetzt bei Fragen von Sozial-, Kultur- und Stadtentwicklungs­politik mit SPD und Grünen erfolgreich zusammen, ohne dass wir unsere Positionen aufgegeben haben. Diese Beziehungen zwischen LINKEN, SPD und Grünen müssen auf Respekt und Vertrauen basieren. Daran gilt es, weiter zu arbeiten.

Aber neben all den notwendigen Bemühungen um politische Partner, müssen wir uns auch auf unsere eigenen Kompetenzen besinnen. Nur eine starke LINKE mit einem eindeutigen Profil kann ihre Oppositionsrolle wahrnehmen. Und: Nur eine starke LINKE mit einem erkennbarem Profil erreicht auch die Stärke, um eine Option auf Regierungs­verantwortung zu entwickeln.

Dazu müssen wir den Menschen eigenständige, kreative und sehr konkrete Angebote unterbreiten. Diese Angebote müssen wir so zusammenführen, dass in der Bevölkerung die Überzeugung wächst: DIE LINKE steht für eine andere Art der Politik.

Liebe Genossinnen und Genossen, und darum geht es auf unserem Parteitag. Wir wollen uns mit dem breiten Feld der Energiepolitik beschäftigen und neben Kritik und Analyse, auch Wege beschreiben, wie sich DIE LINKE eine gerechtere und nachhaltigere Energiepolitik vorstellt. Die heftigen

Auseinandersetzungen um die Atompolitik der Bundesregierung und die jüngsten Pro­teste gegen die Castortransporte machen deutlich, wie brennend aktuell dieses Thema ist!

Eigentlich sollte der sehr bekannte und mehrfach ausgezeichnete Umweltpolitiker Her­mann Scheer heute zu uns sprechen. Er ist aber leider vor wenigen Wochen plötzlich verstorben. Noch vor kurzem hatte Hermann Scheer einen Auftritt bei der Rosa­Luxemburg-Stiftung, wovon ich Euch heute einen Ausschnitt zeigen möchte.

Bitte: …….

Mit seinem Tod verlor die Bundesrepublik einen der profiliertesten und bekanntesten Umweltpolitiker. Wie nur wenige hat sich Hermann Scheer für die Energiewende inDeutschland eingesetzt. Hermann Scheers Verdienst besteht darin, Ökologie und Sozi­alpolitik in einem Zusammenhang zu sehen.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste, wenngleich das Thema Energiepolitik ein wichtiger Bereich ist, darf man es aber nicht separat betrachten. Für uns LINKE ist Energiepolitik deshalb nur ein Teil vom Ganzen. Das Ganze ist die Idee vom sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. Dieser Um­bau zu mehr Gerechtigkeit, Teilhabe, Solidarität und Nachhaltigkeit könnte meiner Mei­nung nach ein Projekt sein, an dem DIE LINKE, SPD und Grünen im Interesse der Menschen in Sachsen gemeinsam arbeiten, ganz im Sinne von Hermann Scheer.

Deswegen freue ich mich sehr, dass der energiepolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Johannes Lichdi, heute ein Impulsreferat halten wird. Ich erwarte von Dir Johannes, dass Du uns energiepolitisch die Leviten lesen wirst. Wir brauchen die­sen rot-rot-grünen Diskurs, denn wenn wir uns nicht über eine gemeinsame Perspektive für das Morgen verständigen, werden sich in Sachsen weiter die Leute von vorgestern durchsetzen. Herzlich willkommen, Johannes.

Tja. Die Grünen. Dass sich DIE LINKE, zunächst auf dem Leipziger Stadtparteitag vor wenigen Tagen und nun auch hier auf dem Landesparteitag zentral mit Energiepolitik beschäftigt, schmeckt nicht jedem Mitglied von B´90/Die Grünen. So gab es in den letz­ten Tagen ein sehr bissiges Interview eines Grünen-Politikers in einer Lokalzeitung, in dem er die Beschlüsse der Leipziger LINKEN zur Energiepolitik sehr herablassend, ar­rogant und eifersüchtig kommentierte. Nun ja, ich denke, Eifersucht ist zutiefst mensch­lich und wir sind gut beraten, uns nicht irritieren zu lassen. Etwas politisches Tam Tam gehört dazu, aber wir LINKEN gehen sehr entspannt und überaus friedlich damit um. Nicht wahr, liebe Leipzigerinnen und Leipziger?

Liebe Genossinnen und Genossen, heute nun wird im Mittelpunkt dieses Parteitags die Energiepolitik stehen und eine wich­tige Frage ist dabei die Energiegewinnung. Unter anderem gehört da in Sachsen der Bergbau dazu. Als ein Mann aus dem Erzgebirge habe ich von Haus aus eine enge kul­turelle Bindung zum Bergbau, der seit einem halben Jahrtausend das Profil Sachsens prägt – egal ob Silber oder Braunkohle zutage gefördert worden ist oder wird. Von Flussspat bis Kupfer gibt es auch heute noch viele Bodenschätze unter der Oberfläche des Freistaates, sodass ich keinen Zweifel daran habe, dass Bergbau auch in hundert Jahren hierzulande noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Ohne der Debatte des Parteitages vorgreifen zu wollen, erlaube ich mir eine kleine An­merkung: Der sächsische Bergbau des Jahres 2040 wird kein Futter mehr für Kraftwer­ke liefern, sondern mehr oder weniger ausschließlich Stoffe für Industrieproduktion.

Der sächsische Bergbau ist nicht nur die Wiege der Industrialisierung gewesen, er ist auch die Wurzel von Kultur. Das führt dazu, dass man bei uns „Glück auf“ und nicht „Grüß Gott“ sagt.

Ganz generell kann man sagen: Die Rohstoffgewinnung zur Energieerzeugung ist ins­gesamt ein Jahrhundert-, der sächsische Bergbau aber ein Jahrtausend-Thema.

Dennoch will ich heute nicht über Kohle, sondern über die Kumpel nachdenken, also über die Vergangenheit und Zukunft der Menschen in Sachsen im Zusammenhang mit dem Bergbau. Ich glaube nämlich, dass der Schlüssel für künftigen Erfolg linker Politik in Sachsen im besseren Verständnis für die Potenziale bergmännischer Traditionen liegt.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste, das große Thema der sächsischen LINKEN ist die Verbindung von technischem und sozialem Fortschritt. Im Bergbau war die Knappschaftskasse so was wie die Wiege der modernen abendländischen Sozialversicherungssysteme. Es war eben nicht Bismarck, der den Solidargedanken in organisierter Form in die Gesellschaft dieses Landes brach­te, sondern es waren schon lange vorher die Menschen, die im Bergbau arbeiteten. Die Knappschaft feiert in diesem Jahr ihr 750-jähriges Bestehen.

Zum Grundprinzip der Knappschaftskasse gehört im Übrigen von Anfang an, dass an ihr nicht nur alle Arbeiter, sondern auch die Werksbesitzer beteiligt sind. Das heißt, es entwickelte sich im Bergbau – sprichwörtlich von unten nach oben – ein fortschrittlicher Geist, der nicht mehr bereit war, sich mit der althergebrachten Hierarchie von Macht und Ohnmacht in der Welt abzufinden.

So ist es sicher kein Zufall, dass unsere Region nicht nur als Mutterland der Reformati­on gilt, sondern auch die Trennung von Kirche und Staat war hier frühzeitig weit voran­geschritten. Im heutigen Zeitalter des wachsenden religiösen Fundamentalismus könnte sich diese sächsische Auf- und Abgeklärtheit noch als geistiger Exportschlager erwei­sen.

Nun haben wir ja in diesem Land seit 20 Jahren nichts zu sagen, und daher sind wir auch nicht schuld daran, dass in dieser Zeit eine Viertelmillion mehr Menschen, Sach­sen verlassen haben als sich Leute entschieden haben, hierher zu kommen. Ich weiß, wovon ich rede: Mein Sohn zog mit Anfang 20 schweren Herzens nach Rheinland-Pfalz, weil es in Sachsen für ihn keine Arbeit gab.

Das so genannte Musterland, unter Regie der CDU, wird eines Tages ein schuldenfrei­es Altersheim sein, aber kein spannender Ort, der junge Leute aus aller Welt anzieht.

Wir haben auch nicht durch Blockade gegen Mindestlöhne dieses Land zu einer Hoch­burg des Niedriglohns gemacht, in der immer mehr Menschen trotz Arbeit Hartz-IV-EmpfängerInnen sind.

Stattdessen sitzen Leute in Sachsens Regierung, die es normal und gut finden, dass die Kirchen auf der Grundlage eines 207 Jahre alten Vertrages ohne jede Bedarfsprü­fung Zuwächse an Staatszuschüssen in Millionenhöhe bekommen, von denen andere

Einrichtungen nur träumen können. Ich sage, das ist gerade in Sachsen weder normal noch von der Bevölkerung so gewünscht, zumal 80% der Menschen konfessionslos sind.

Es sind die gleichen Leute, die von einer „übertriebenen Erwerbsneigung von Frauen“ faseln.

Leute, die stolz darauf sind, dass lesbische und schwule Paare immer noch von Behör­den in Sachsen diskriminiert werden. Leute, die nicht wahrhaben wollen, dass sich gute Eltern nicht heiraten müssen. Leute, die wieder die Grenzen zu unseren Nachbarländern dicht machen wollen. Leute, die das Nazi-Regime und die DDR in einen Topf werfen. Leute, die am liebsten ein Atomkraftwerk an der Neiße bauen würden. Leute, die stolz darauf sind, dass es in Sachsen weniger demokratisch zugeht als in Baden-Württemberg. Leute, die Religion als kollektives Erziehungsinstrument missbrauchen wollen. Und Leute, die Projekte gegen rechts einer Gesinnungsprüfung unterziehen wollen.

Ich sage, das ist Politik von vorgestern. Wir LINKEN sollten zum Schrittmacher des Fortschritts werden, indem wir in guter alter Bergmanns-Tradition technische UND sozi­ale Innovation miteinander verknüpfen.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste, Gelegentlich entsteht der Eindruck, Linke, jetzt nicht nur bezogen auf unsere Partei, sondern alle linksorientierten Menschen in verschiedenen Parteien; Linke seien heutzu­tage die Bremser, die Rückwärtsgewandten, die im Zweifel gegen neue Straßen, neue Technologien, neue Produktionsstätten seien. Wir haben diesen Eindruck auch dadurch mitverschuldet, dass wir zu sehr als Beteiligte an Abwehrkämpfen und zu wenig als Mitwirkende an erfinderischen Neuaufbrüchen wahrgenommen werden. Das muss sich ändern!

Denn wir LINKEN sind eine Partei voller Energie, und deshalb passt das Thema dieses Parteitags perfekt zu uns. Es ist kein Zufall, dass er hier in Schkeuditz stattfindet – ein Ort mit vielseitiger Verkehrsinfrastruktur – und damit signalisiert:

• Wir igeln uns nicht ein, sondern wir begeben uns auf die Wege, auf denen sich viele Menschen bewegen.

• Wir stehen nicht am Rand, sondern sind mitten drin in der Gesellschaft.

Anpassung aber ist nicht unser Ding. Die sächsische LINKE steht für produktive Unruhe und für die Belebung erstarrter Verhältnisse.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste, 20 Jahre lang hat die CDU so getan, als sei sie Sachsen. Ich sage euch, das ist ein großer Irrtum. Die Wahrheit ist: Sachsen sind wir, die LINKEN.

Weil das so ist, dürfen wir uns aber nicht vor heiklen Themen drücken, die Land und Leute bewegen. Die Energiefrage gehört dazu.

Oft habe ich im Vorfeld dieses Parteitages gehört: Warum tut ihr euch das an? Bei dem Thema macht man sich doch nur unbeliebt.

Meine Antwort darauf ist sinngemäß einem Sprichwort entlehnt, dass ich dieser Tage im Internet gefunden habe:

Man soll den Menschen nicht geben, was sie haben wollen, sondern das, was sie sich nicht zu träumen wagten.

Ich finde, das passt sehr schön zu den Debatten des heutigen Tages. Es geht am Ende nicht um ein bisschen mehr oder weniger Braunkohle oder Windkrafträder, es geht um eine neue Qualität von Energiepolitik, die es mit dem Erfindergeist aufnehmen kann, der für unser Sachsen so typisch ist.

Wir haben uns daran gewöhnt, nicht mehr von Revolution, sondern von Reform zu re­den, wir planen keinen Umsturz – auch wenn sich das noch nicht bis zu jedem Beamten des Verfassungsschutzes herumgesprochen hat –, sondern wir denken in evolutionären Prozessen.

Wir sollten uns aber daran gewöhnen, dass wir eine Revolution zu verwalten haben, denn nach der industriellen Revolution erleben wir zurzeit eine Revolution der globalen Kommunikation.

Vielfalt ist produktiver als Einfalt, und daher ist Sachsen in seiner Buntheit an Mentalitä­ten, Dialekten und regionalen Besonderheiten als Ganzes so stark. Jedenfalls im Prin­zip, wenn es nicht darauf wartet, dass alles Gute von oben kommt, sondern das Untere nach Oben kehrt, um immer wieder eine neue, kreativere, interessantere und nachhalti­gere Welt zu bauen.

In diesem Sinne eröffne ich diesen Parteitag – natürlich mit einem fröhlichen: GLÜCK AUF!