Wirtschaft 2011: Politisch-ökonomisch gestalten
Von Rudolf Hickel
Die Konjunkturprognosen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute und der Chefökonomien aus der Finanzwirtschaft strotzen nur so von Optimismus für das Neue Jahr. Da will die Bundesregierung nicht nachstehen. Nach dem ökonomischen Absturz in 2009 wird die wirtschaftliche Wachstumsrate für das zu Ende gegangene Jahr durch das Ifo-Institut auf 3,7% geschätzt. Wenn auch mit einer reduzierten Expansion der gesamtwirtschaftlichen Produktion von 2,4% gilt die Fortsetzung des Aufschwungs im Neuen Jahr als gesichert. Dabei ist wegen vieler Annahmen und Theoriedefiziten ein Prognoseirrtum nicht auszuschließen. Absturz und Krise, so die staatsoffiziell verbreitete Selbstzufriedenheit, das war gestern. Dabei weist bereits die Verlangsamung der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts auf ein Grundproblem der exportabhängigen deutschen Wirtschaft. Die Zuwachsrate der Exporte soll mit erwarteten 7,4% fast um die Hälfte gegenüber 2010 im Durchschnitt dieses Jahres zurückfallen. Probleme in den wichtigsten Importländern werden in die deutsche Produktionswirtschaft transportiert. Die Aufschwungoptimisten schreckt dieser Rückgang nicht. Plötzlich wird die über lange Jahre vernachlässigte Binnenwirtschaft wieder entdeckt. Sicherlich, nach unterlassenen Investitionen in Maschinen und Bauten ziehen die Anlageinvestitionen wieder an. Leere Lager werden wieder aufgefüllt. Nach einer anhaltenden Stagnation wird die Führungsrolle des privaten Konsums mit einem erwarteten Zuwachs um 1,4% hervorgehoben. Schließlich sollen die Erwerbseinkommen im neuen Jahr steigen. Mit dieser Beschreibung wird immerhin die durch die Gewerkschaften zu Recht reklamierte Rolle der Löhne und Gehälter für den privaten Konsum und damit die Binnenwirtschaft endlich anerkannt. Allerdings sticht der immer noch viel zu schwache Impuls wegen der langsamer laufenden Konjunkturlokomotive Exporte so stark hervor. Die Erwerbseinkommen steigen vor allem im Zuge des Abbaus der Lohnopfer, die die Beschäftigten durch die Kurzarbeit erbracht haben. Der viel beschworene Zuwachs an Beschäftigung löst bezogen auf die Löhne nur schwache Konjunkturimpulse aus. Denn hinter dem Rückgang der registrierten Arbeitslosigkeit an der drei Millionenmarke verbirgt sich eine vergleichsweise starke Zunahme schlecht bezahlter Jobs, insbesondere durch die boomende Leiharbeit. Im Vergleich gegenüber der Einstellung von Vollzeitbeschäftigten steigt die Lohnsumme nur schwach. Deshalb stehen auch 2011 zwei Forderungen an erster Stelle auf der Agenda: Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen sowie eine expansive Lohnpolitik, die auch zu einer effektiven Steigerung der Erwerbseinkommen führen muss.
Denn ein Megarisiko wird in den Optimismusprognosen unterschlagen: Mit seinem Einsparpakt vor allem im Sozialbereich und den steuerpolitischen Maßnahmen belastet der Staat die soziale und konjunkturelle Entwicklung. Als Folge der konjunkturellen Schwächung steigen am Ende die Staatsschulden. Auch hier ist ein Kurswechsel in 2011 erforderlich. Die Bundesregierung sollte anstatt die Konjunktur zu belasten und die öffentliche Armut zu steigern ein mittelfristig ausgerichtetes Zukunftsinvestitionsprogramm auflegen. Diese Stärkung der Aufschwungkräfte würde durch eine Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur im Bildungs-, Energie- und Verkehrsbereich fundiert.
Also, anstatt der Beschwörung eines noch lange nicht selbst tragenden, hoch riskanten Aufschwungs müssen die Lehren aus der schnellen Überwindung des ökonomischen Absturzes durch mutiges politisches Gegensteuern fortgeschrieben werden. Dazu gehören vor allem die Erhöhung der Nettoarbeitseinkommen, eine aktive Finanz- und Geldpolitik zusammen mit einem Wirtschaftsfonds, mit dem den kleineren und mittleren Unternehmen gegenüber der restriktiven Kreditvergabe geholfen wird. Schließlich werden in den optimistischen Prognosen zu 2011 die aus der Finanzmarktkrise nachwirkenden sowie die neuen Belastungen nicht berücksichtigt. Wenn die sich neu bildenden Blasen auf den Finanzmärkten platzen, dann ist erneut mit einer Krise nicht nur des Bankensystems zu rechnen. 2011 ist das Jahr, in dem endlich die Finanzmärkte mit dem Ziel der Vermeidung der von der ökonomischen Wertschöpfung abgetrennten Spekulationen reguliert werden müssen. Dagegen steht die ökonomische Macht, die bei der Lobbyarbeit zur Verhinderung der Regulierungen in der Politik eingesetzt wird. Bei der Aufgabe, Gegenmacht durchzusetzen, ändert sich im neuen gegenüber dem alten Jahr grundsätzlich nichts.
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