Haushalts- schlägt Tarifpolitik

Michael Wendl: Der Tarifabschluss mit den Bundesländern

18.03.2011 / www.sozialismus.de

Am 10. März haben sich ver.di und die Tarifunion des Beamtenbundes auf der einen Seite mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) auf der anderen Seite auf eine Anhebung der Arbeitsentgelte und auf Veränderungen bei der Eingruppierung der Beschäftigten in bestimmte Entgeltgruppen verständigt.

Der Abschluss insgesamt wird nur verständlich, wenn er als ein weiterer Schritt in dem bereits 2003 eingeleiteten Prozess der Transformation der tradierten Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (am bekanntesten war der BAT – Bundesangestelltentarifvertrag) in ein neues Tarifrecht analysiert wird.

Zunächst die materiellen Effekte: Die Erhöhung der Entgelte von 1,5% zum 1.4.2011 einschließlich einer Einmalzahlung von 360 Euro für die ersten drei Monate des Jahres 2011 saldieren sich bezogen auf ein Medianeinkommen von rund 2.600 Euro im Monat auf eine lineare Erhöhung von zusammengenommen 2,3%, also unter dem Strich auf einen Inflationsausgleich für 2011. Die Steigerung um weitere 1,9% zuzüglich eines Sockels von 17 Euro ab dem 1.1.2012 markiert insgesamt für diese Einkommenshöhe eine Steigrung von 2,55%, so dass auch für 2012 unter den gegenwärtigen Bedingungen mit einer Reallohnsicherung gerechnet werden kann.

Zusammengenommen werden die Einkommen in zwei Jahren um fast 4,9% erhöht, bei den niedrigen Einkommen sind es etwas mehr, bei den höheren Einkommen entsprechend weniger. Tabellenwirksam werden davon aber nur rund 4%. Aus einer makroökonomischen Sicht, die für eine Stärkung der Binnennachfrage plädiert, ist dieser Abschluss eindeutig zu niedrig. Hätten sich die Tarifparteien auf die Formel der produktivitätsorientierten Tarifpolitik (Produktivitätszuwachs plus Zielinflationsrate der EZB) verständigen können, so hätte der Abschluss für 2011 bei rund 3,5% liegen müssen.

Für den öffentlichen Sektor gilt diese Lohnformel aber seit langem nicht mehr. Nur 1992 und 1999 und in der konjunkturellen Sondersituation 2009 (mit statistisch sinkender Produktivität) wurde dieser Verteilungsspielraum ausgeschöpft. Angesichts der sozialen und politischen Kräfteverhältnisse zwischen den öffentlichen Arbeitgebern und den zuständigen Gewerkschaften kann diese vermutliche Reallohnsicherung als relativer Erfolg für die Gewerkschaften gewertet werden.

Die TdL hatte die Schlichtungsvereinbarung mit den Gewerkschaften gekündigt und es wäre daher in dieser Tarifrunde auch nicht zu einer Schlichtung gekommen, die Gewerkschaften hätten nach dem Scheitern der Verhandlungen unmittelbar in den Erzwingungsstreik gehen müssen. Diese Kündigung der Schlichtungsvereinbarung signalisiert die gewachsene Stärke der Arbeitgeberseite, die inzwischen auf das Instrument der Schlichtung verzichten kann, weil sie die Streikfähigkeit der Gewerkschaften nicht mehr fürchten muss. Im Bereich der Bundesländer sind die Gewerkschaften nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg streikfähig, wie dies der lange und gescheiterte Streik im Frühjahr 2006 gezeigt hatte. Am Ende dieses Arbeitskampfes standen dann Arbeitszeitverlängerungen auf – je nach Bundesland gestaffelt – bis zu 40,1 Stunden in der Woche. Die Arbeitszeitfrage war auch nicht Gegenstand dieser aktuellen Tarifrunde, obwohl es beschäftigungspolitisch gute Argumente für eine Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit gibt.

Die zweite Handlungsebene der aktuellen Verhandlungen waren Regelungen zur Eingruppierung der Beschäftigten in eine neue Entgeltordnung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst Länder (TV-L). Mit dem Übergang aus dem BAT und den Arbeitertarifverträgen des Bundes und der Länder bestanden deren Eingruppierungsregeln weiter fort, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied. Die so genannten Tätigkeits- und Bewährungsaufstiege, die es im alten Eingruppierungsrecht gegeben hatte (eine Art Aufstiegsmechanik in die nächsthöhere Vergütungs- oder Lohngruppe) galten für die nach dem Übergang (bei Bund und Kommunen der 1.10.2005, bei den Ländern der 1.11.2006) neu eingestellten Arbeitskräfte nicht. Während die übergeleiteten Beschäftigten ihre Zeitaufstiege noch umsetzen konnten, blieben die Neueingestellten in ihrer Eingangsentgeltgruppe. Faktisch wurde durch diese Regelung die Eingruppierungsordnung für die Neuen um eine Entgeltgruppe abgesenkt.

Das war für die Arbeitgeber vorteilhaft und sie hatten zunächst kein Interesse an Verhandlungen über eine neue Entgelt- oder Eingruppierungsordnung. Die neuen Beschäftigten wurden ohne den Zeitaufstieg aus den alten Eingruppierungsnormen in die neuen Entgeltgruppen übergeleitet. In dieser Tarifrunde ist es den Gewerkschaften gelungen, diese zunächst verweigerten Zeitaufstiege bis zu einer Dauer von sechs Jahren zum 1.1.2012 nachträglich zu berücksichtigen und die neuen Beschäftigten dann in die nächsthöhere Entgeltgruppe aufsteigen zu lassen. Damit wird das Eingruppierungsniveau des tradierten Tarifrechts vor der »Tarifreform« wieder erreicht.

Es wird sich aber in absehbarer Zeit an den überlieferten Eingruppierungsnormen aus dem alten Tarifrecht nichts ändern. Aus tarifrechtlicher Sicht ist das überwiegend positiv zu werten. Es hat in ver.di mehrfach Versuche gegeben, die traditionelle Bewertung der Arbeitskraft anhand ihrer Qualifikation zu ersetzen durch eine Bewertung der Arbeit oder Arbeitsleistung durch Verfahren analytischer Arbeitsbewertung. Motiv für diese für den öffentlichen Sektor neuen Sichtweise (in den industriellen Bereichen sind Verfahren der summarischen bzw. analytischen Arbeitsbewertung vorherrschend, siehe dazu die Diskussionen über das Entgelt-Rahmen-Abkommen ERA in der Metall- und Elektroindustrie) war die Zielsetzung, darüber zu einer Gleichbewertung der Arbeit von Frauen und Männern zu kommen – gemeint war das Ende der »mittelbaren« Entgeltdiskriminierung von Frauen. Diese ganze Diskussion basierte auf der bereits von Marx kritisierten Verwechselung von Arbeit und Arbeitskraft (siehe dazu MEW 23: 562), also auf dem »Fetischcharakter« des Lohnes. Die Einführung von Verfahren der Arbeitsbewertung ist zumindest vorläufig vom Tisch.

Zu diesen Eingruppierungsverfahren gehört auch der Streitpunkt um die LehrerInnen im Angestelltenverhältnis. Deren Eingruppierung ist nicht tarifvertraglich, sondern durch vom jeweiligen Bundesland erlassene Richtlinien geregelt. Diese sind einmal von Land zu Land unterschiedlich, zum zweiten liegen die Nettoentgelte deutlich unter den Nettoeinkommen der verbeamteten Lehrkräfte. Den Gewerkschaften ist es hier nicht gelungen, eine tarifvertragliche Regelung durchzusetzen. Es bleibt vorläufig beim bisherigen Verfahren. Dieser Beschäftigtengruppe werden lediglich die vereinbarten Erhöhungen der Entgelte zugestanden.

Das hat bei den Betroffenen und bei der GEW zu erheblicher Kritik geführt, aber ohne ein Schlichtungsverfahren werden solche Konflikte nur durch einen Arbeitskampf entschieden. Arbeitskampffähigkeit wäre aber, wenn überhaupt, nur in den neuen Ländern gegeben gewesen. Hätten die Gewerkschaften eine tarifvertragliche Eingruppierung für die Lehrkräfte zur Bedingung gemacht, hätten sie dafür mit materiellen Zugeständnissen bei anderen Beschäftigten bezahlen müssen.

Die Haushaltspolitik diktiert die Tarifpolitik, nicht umgekehrt. Es wäre ein Fortschritt, wenn die handelnden Gewerkschaften diesen Status der Kräfteverhältnisse offen einräumen und danach an der Herstellung von tarifpolitischer Handlungsfähigkeit arbeiten würden. Wenn es ein bevorzugtes Feld für »Organizing« als Methode der gewerkschaftlichen Arbeit im öffentlichen Sektor gibt, dann sind das die Bundesländer.

Michael Wendl ist Mitherausgeber von Sozialismus.