Am Gängelband der Lobby
Von Klaus Ernst, Mitglied des Vorstandes der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Schon 2002 traute sich die Bundesregierung aus SPD und Grünen nicht,
den Atomausstieg einfach per Gesetz im Bundestag durchzusetzen. Sie ließ
sich auf Verhandlungen mit der Atomlobby ein und schloss mit ihr einen
vermeintlichen Ausstiegskompromiss. Und schon damals feilschte Rot-Grün
mit der Atomlobby am Bundestag vorbei solange um die Laufzeiten, bis der
faule Kompromiss erzielt war, das letzte Atomkraftwerk bis 2022
abzuschalten. Bereits beim rot-grünen Atomausstieg ging es um nichts
anderes als um Extraprofite der vier Stromriesen E.ON, EnBW, RWE und
Vattenfall in Höhe von 120 Milliarden Euro. Jeden Tag, an dem die
Kernkraftwerke länger am Netz sind, fließen eine Millionen Euro pro
Kraftwerk in die Taschen der Atomkonzerne.
Im Herbst 2010 - knapp zehn Jahre später - kommt es jetzt unter einer
schwarz-gelben Bundesregierung zu einem Déjà-vu-Erlebnis: Wieder saß die
Bundesregierung mit der Atomlobby hinter verschlossenen Türen zusammen
und wieder feilschten sie um Laufzeiten und Reststrommengen, um
letztendlich in einer Nacht- und Nebelaktion am Parlament vorbei den
Ausstieg aus dem Ausstieg zu besiegeln. Was Merkel, Brüderle und Co. als
energiepolitische Revolution zu verkaufen versuchten, war nichts
anderes als ein Putsch der vier Stromriesen E.ON, EnBW, RWE und
Vattenfall im Namen der schwarz-gelben Bundesregierung. Dabei wurde
ganze Arbeit geleistet: Statt bis 2022 sollen die nach dem noch gültigen
Atomgesetz 17 Atommeiler in Deutschland jetzt bis 2040 am Netz bleiben.
Das Beispiel Atompolitik zeigt, dass die Richtlinien der Energiepolitik
von der Atomindustrie geschrieben werden, nicht mehr von einer
gewählten Bundesregierung. Die Atomindustrie besteht aus Unternehmen,
die AKW bauen, und Unternehmen, die die AKW betreiben. Diese besitzen
nicht nur finanzielle und ökonomische Macht. Sie haben nicht nur
beträchtlichen Einfluss auf politische Entscheidungen. Sie dominieren
diese und damit auch die Bundesregierung und eine große Zahl von
Abgeordneten. Allein zwischen 2000 und 2009 spendeten die Atomindustrie
und ihre Finanziers an CDU und CSU fast 13,3 Millionen Euro, an die FDP
rund vier Millionen, an die SPD fast 2,8 Millionen. Und selbst die
Grünen bekamen noch 900.000 Euro vom großen Kuchen ab. Insgesamt sind in
den letzten zehn Jahren also 21 Millionen Euro an die Atomparteien von
CDU, CSU, FDP, SPD und GRÜNE geflossen. Dabei sind die Atomstromkonzerne
mit den Deutschen Großbanken und Versicherungskonzerne wie Deutsche
Bank, Commerzbank, Allianz oder Münchner Rück eng verwoben. Sie halten
entweder direkt Anteile an E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall oder sind an
Atomanlagenbauern, wie Siemens, beteiligt.
Wie weit die Verflechtungen der Atomwirtschaft in die Politik reichen,
zeigt ein anderes Beispiel: Als Folge der Reaktorkatastrophe in
Fukushima soll die dem Bundesumweltministerium unterstellte
Reaktorsicherheitskommission die deutschen Kernkraftwerke jetzt einer
"anlagenspezifischen Sicherheitsüberprüfung" unterziehen. Mitglieder der
Kommission sind auch hier E.ON und der deutsch-französische
Energiekonzern Areva. Während Bundesumweltminister Röttgen den Menschen
eine Sicherheitsüberprüfung vorgaukelt, macht er nichts anderes als den
Bock zum Gärtner.
Für DIE LINKE geht es nicht nur um die Ausstiegsfrage. Zugleich müssen
wir auch die Frage beantworten, ob sich die Politik endlich gegen die
Atomindustrie durchsetzt, ob diesbezüglich das Primat der Politik
hergestellt und die Demokratie wieder funktionsfähig wird. Nur wenn die
Atomparteien aus CDU, CSU, FDP, SPD und GRÜNE den Mut und die Kraft
haben, die Dominanz der Spekulanten, Bankenchefs, Atomlobbyisten und
anderer Konzernlobbyisten zu durchbrechen und den Vorrang der
demokratischen Institutionen zu sichern, kann die Politik im Sinne der
Menschen handeln: Abschalten aller Kernkraftwerke in Deutschland und
Überführung der Atomstromkonzerne in öffentliches Eigentum.
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