"Reiche und Superreiche massiv besteuern"

Interview

16.08.2011 / linksfraktion.de, 15. August 2011


Michael Schlecht, Chef-Volkswirt und Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die nicht enden wollende Staatsschulden- und Eurokrise, die verfehlte Politik der Bundesregierung und die notwendigen Schritte, um den nächsten großen Crash zu verhindern


Krise ohne Ende – so stellt sich den Bürgerinnen und Bürgern seit Monaten das Drama um Euro und Staatsschulden dar. Politischen Rettungsversuchen folgen neue Hiobsbotschaften. Warum gelingt es nicht, die Krise in den Griff zu bekommen?

Michael Schlecht: Die Bundesregierung will die Ursache der Krise und ihre eigene Verantwortung in diesem Zusammenhang nicht zur Kenntnis nehmen. Anstatt eines soliden Wachstums durch steigende Masseneinkommen wurde ein Wachstum auf Pump und außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten organisiert – das gilt auch für die Eurozone.


Die Finanzmärkte in aller Welt legten in der vergangenen Woche eine Achterbahnfahrt hin. Von Panik bei den Anlegerinnen und Anlegern war die Rede. Was war der Grund dafür?

Die Konzeptionslosigkeit der amerikanischen und europäischen Regierungen in der aktuellen Krisensituation. Das wurde jedem durch die Herabstufung des Kreditratings für die USA und die eindeutigen Anzeichen für einen weltweit deutlichen Konjunkturrückgang deutlich vor Augen geführt.

Das Finanzvermögen ist in den vergangenen Jahren stärker gewachsen als die Realwirtschaft. Wie groß ist die Gefahr, dass das Beben an den Finanzplätzen der Vorbote eines größeren Crashs ist?

Das ist doch der Punkt. Das Nettogeldvermögen wuchs in Deutschland in den letzten Jahren fast doppelt so schnell wie der Wert der hergestellten Güter- und Dienstleistungen. Das sind Entwicklungen, die früher oder später im Crash enden müssen! Deshalb fordern wir eine europaweite Vermögensabgabe.

Auf die Turbulenzen an den Märkten und steigende Zinssätze auf italienische und spanische Staatsanleihen hat die Europäische Zentralbank (EZB) mit Stützungskäufen reagiert. Wie bewerten Sie das?

Es war die letzte Möglichkeit und macht das komplette Versagen der europäischen Regierungschefs – insbesondere das der Bundesregierung – deutlich. Dadurch entstehen neue Risiken für die nationalen Haushalte, ohne dass diese gefragt wurden, ob sie diese übernehmen wollen.

Eine in diesen Tagen veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belegt, dass die großen Banken inzwischen sogar größer sind als vor der Finanzkrise von 2008 und damit im Krisenfall vermeintlich systemisch relevant. Haben Staat und Politik nichts gelernt aus den Fehlern der Vergangenheit?

Auch hier gilt: Wer die Krise nicht verstehen will, der kann daraus nichts lernen. Merkel und Co ist es offensichtlich wichtiger die Interessen der Bankenlobby durchzusetzen, als das Gemeinwesen vor den Folgen der Finanzkrise zu schützen. Diese Bundesregierung ist ein Systemrisiko.


Das Handeln der Bundeskanzlerin erweckt den Eindruck, dass ihr die Krise längst über den Kopf gewachsen ist. Einige Unionsabgeordnete bekennen inzwischen offen, dass sie nicht mehr wissen, was richtig ist. Was sind die wichtigsten Schritte, um die Krise wirtschaftspolitisch beherrschbar zu machen?

Die Finanzierung der öffentlichen Haushalte ist von den Kapitalmärkten zu befreien. Dafür sind Eurobonds und die Schaffung einer Bank für öffentliche Anleihen notwendig, welche die Kredite an den Staat direkt bei der EZB refinanziert. Unter dieser Voraussetzung ist auch ein Schuldenschnitt möglich, der nicht selbst wieder zu neuen Turbulenzen an den Finanzmärkten führt. Und durch eine massive Besteuerung der Reichen und Superreichen müssen die Staatsschulden deutlich reduziert werden. Die staatlichen Sozialkürzungen müssen gestoppt werden.

Welche Interessen halten die Regierungskoalition davon ab, die notwendigen Schritte einzuleiten?

Die Regierungskoalition hat sich zur Sklavin von Lobbyisten wie zum Beispiel den Ackermännern gemacht und handelt nicht im Interesse der Bevölkerung.

Mit Blick auf die Zukunft: Wie kann es gelingen, die Staatsschuldenkrise in Europa in den Griff zu bekommen, ohne dass es zu sozialen Verwerfungen wie jüngst in England kommt?

Wir müssen für unsere Politikvorschläge werben und mobilisieren. Die Umsetzung unserer Alternativen wäre eine konstruktive Revolte.