Deutschlands verwirrende Rolle in der Eurokrise

Von Brigitte Young, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E)

08.09.2011 / Luxemburg, 1. September 2011 (www.weltwirtschaft-und­entwicklung.org)

Sture Verteidigung der 'Ordnungspolitik'

Die Finanzpanik verbreitete sich wie ein Flächenbrand quer über den Globus. Am 8. August 2011 registrierten die Märkte in Europa, Asien und den USA den größ­ten Absturz der Aktienkurse seit 2008 (durchschnittlich 5%), um dann am nächs­ten Tag wieder zurückzuschwingen. Statt mit glaubhaften Maßnahmen gegen die öffentliche und private Schuldenkrise zu beruhigen, verunsichern die politischen Akteure die Märkte, indem sie sich für ihre mangelnde Führung gegenseitig die Schuld zuweisen.

Europäer kritisieren die US-amerikanischen Politiker für die ideologisch verfahrene Si­tuation während der Verhandlungen über die Erhöhung der Obergrenze der Gesamt­schulden und provozieren dadurch eine historische Herabstufung der US-Anleihen. Amerikaner kritisieren wiederum die europäischen Politiker für deren fehlende Koordi­nierung und stures Beharren auf einer Austeritätspolitik zur Lösung der Eurokrise. Chi­nas ungewöhnlich scharfe Kritik am amerikanischen Umgang mit seinen hohen Schul­den ist ein zusätzlicher wunder Punkt, der zeigt, dass die politischen Akteure sich un­eins sind, was getan werden muss, um die Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Die Krise verschärft sich durch diese globalen Unstimmigkeiten und wird mit jeder neuen Panik auf den Märkten teurer.

* Abgekoppelt von der Realität

Um das Vertrauen der Märkte in die Handlungsfähigkeit der Eurozone zu sichern, ha­ben die europäischen Staats- und Regierungschefs am 21. Juli 2011 folgende Verein­barungen beschlossen (>>> Krisenpolitik in der Eurozone oder: Bail-out 2.0): die Ver­doppelung der finanziellen Rettungsmittel für Griechenland, die Absenkung der Zinsen für die verschuldeten Länder in der Eurozone, die Ausdehnung des Mandats der Euro-pean Financial Stability Facility (EFSF) um den Kauf von Anleihen auf den Sekundär­märkten sowie die Einbeziehung von Privatinvestoren in Schuldenabkommen. Aber ge­nau das Gegenteil passierte. Der befürchtete Ansteckungseffekt hat nun auch Zypern erwischt, die Kosten der Kreditaufnahme für Italien und Spanien stiegen Anfang August auf über 6%, und auch Frankreich wurde von den Turbulenzen erfasst und musste einen höheren Aufschlag auf Staatsanleihen als Deutschland bezahlen. Nach Kenneth Rogoff sind diese Probleme weniger der Ökonomie geschuldet, sondern der fehlenden Glaubwürdigkeit der Politiker, die von der Realität abgekoppelt sind und dadurch die Märkte verunsichern. Diese Abkoppelung tritt vor allem in Deutschland in Erscheinung.

Trotz der Gewitterwolken auf dem europäischen Kontinent sah Angela Merkel keinen Grund, ihren Wanderurlaub in Trentino/Südtirol zu verkürzen. Während einige Experten ihr für diese Gelassenheit applaudierten, sahen andere darin einen weiteren Beleg für „Merkel’s Folly“ („Merkels Torheit“; Eric Jones 2010 in „Survival“). Die Torheit bezieht sich auf ihre fehlende Führungsrolle, ihre Unfähigkeit, die globalen Bondmärkte zu ver­stehen, ihr vorwiegendes Interesse an Innenpolitik und ihr Beharren auf fiskalische Dis­ziplin als Allheilmittel gegen die Misere der verschuldeten Länder.

Die Spekulationen über die Ursachen ihres Verhaltens variieren. Die Erklärungen schwanken zwischen persönlichen Attributen (wie z.B. Merkels akademische Ausbil­dung als Physikerin, ihr Misstrauen gegenüber Märkten und ihr Vertrauen in Regeln), über Generationsfragen (von der Kriegsgeneration zur Post-Kriegsgeneration, die keine persönliche Erfahrung mit den Gräuel des Krieges mehr hat), bis hin zu innenpolitischen Zwängen (wie die Häufigkeit der Landtagswahlen, die Auflagen durch das konservative deutsche Verfassungsgericht, die Sorge der Wähler um finanzpolitische Besonnenheit, oder das stark populistisch angeheizte Mediengeschrei wegen der Verwendung von Steuergeldern für europäische Rettungsmaßnahmen).

* Der Kern des „Systems Merkel“

Jedoch teilen alle diese Erklärungen ein gemeinsames Merkmal des Systems Merkel: den Glauben an ein System von Regeln, welches das Kennzeichen des deutschen Or­doliberalismus ist. Das Vertrauen in einen regelbasierenden Rahmen, in dem sich die Marktkräfte frei entfalten können, wird von deutschen Ökonomen, Bankiers, und Politi­ker gleichermaßen geteilt. Dies steht in starkem Gegensatz zur französischen Ansicht, dass makroökonomische Governance auf europäischer Ebene politisiert und frei ge­staltbar ist.

Während Kritiker die langsame, fragmentierte und unkoordinierte Reaktion von Angela Merkel beanstanden, verstehen die Kanzlerin sowie ihre Berater die Europäische Wäh­rungsunion als ein depolitisiertes Regelsystem von Verträgen, das gestärkt werden muss, damit die Märkte effizient funktionieren können. Dass Deutschland selbst (mit Frankreich) 2003 und 2004 den Wachstums- und Stabilitätspakt verletzt hat, ist gerade deshalb ein umso wichtigerer Grund, die Regeln zu verschärfen und automatische Sanktionen gegen Regelverletzungen einzuführen.

Deutsche Ökonomen sowie Zentralbanker sind strikt dagegen, die Europäische Zen­tralbank in ein Bail-out regime zu verwandeln. Dieses würde, wie Otmar Issing (2011 in der „Financial Times“) meint, der Beginn eines rutschigen Weges in eine fiskalpolitische Disziplinlosigkeit sein, der das erfolgreichste Projekt der ökonomischen Integration in der Geschichte der Menschheit gefährdet.

Regeln zu erlassen und den Märkten freien Lauf zu lassen, mag in normalen Zeiten funktionieren, in Zeiten von irrationalen Finanzmärkten kann die Theorie jedoch versa­gen. Das Problem liegt nicht bei Angela Merkel oder Deutschlands sturer Weigerung, verschuldeten Ländern eine Haftungsgemeinschaft zu gewähren. Vielmehr ist diese Haltung das Resultat des Ordoliberalimus, der bis heute als unangefochtene Schule in allen ökonomischen Instituten an deutschen Universitäten gelehrt wird.

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Prof. Brigitte Young, lehrt Internationale/Vergleichende Politischen Ökonomie an der Universität Münster (byoung@uni-muenster.de). Die englische Fassung des Artikels er­scheint in dem von Nicolas Jabko (John Hopkins University) herausgegebenen EUSA Forum („European Union Studies Association“).

Veröffentlicht: 5.9.2011 (W&E vorab)