Euroland in Bankenhand
Von Wieslaw Jurczenko, Aus: Blätter für deutsche und internationale Politik
Nun ist es durch, das Rettungspaket für Irland und damit – so jedenfalls die offiziellen Stellungnahmen – auch für den Euro. Doch Zweifel sind angebracht. Zweifel daran, dass hier tatsächlich Irland oder gar der Euro gerettet werden sollten. Denn selten war eine Debatte so zynisch und verlogen wie diese.
Sogar der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, gerierte sich dieser Tage ganz als guter Europäer, der bei seinem Plädoyer für die Irlandhilfe nur die Wahrung der Einheit Europas im Blick habe. Unerwähnt blieb allerdings, wie sehr auch seine Bank von einer Pleite Irlands betroffen wäre. Bei seiner Aussage, wonach die Deutsche Bank mit lediglich knapp 400 Mio. Euro „netto“ gegenüber Irland „exponiert“ sei, handelt es sich gewissermaßen bloß um das Kleingedruckte. Netto meint hier, es gibt Soll und Haben und beide sind verrechnet. Faktisch aber sieht man nur die Spitze eines Eisbergs und nicht seine gesamte Dimension, sprich: die wirkliche Höhe der Kredite, mit denen Irland bei der Deutschen Bank in der Kreide steht – und die im Falle eines Staatsbankrotts abzuschreiben wären. Auch hat Herr Ackermann nicht präzisiert, was er mit seinem Irland-Exposure eigentlich genau meint. Er hat also eigentlich nichts gesagt.
Daher sollten solche Aussagen zumindest misstrauisch machen. Wie kann es überhaupt angehen, dass Irland, ein Land, das 2007 noch das reichste Land der EU war, plötzlich vor der Staatspleite steht?
Mit 140 Mrd. Euro, also im gleichen Umfang wie ihre britischen Pendants, sollen deutsche Banken in Irland engagiert sein. So sagt man jedenfalls. Das ist in der Tat eine beeindruckende Zahl, und mit Zahlen, das haben wir ja inzwischen leidvoll gelernt, kann die Finanzbranche wirklich gut umgehen. Wenn man jedoch genauer hinsieht, merkt man, dass diese 140 Mrd. Euro mitnichten etwas mit irischen Staatsschulden bei deutschen Banken zu tun haben.
Nach Aussagen der Bundesbank steht Irland bei deutschen Banken mit etwa 25 Mrd. Euro in der Kreide. Die Differenz von 115 Mrd. Euro besteht überwiegend aus Forderungen deutscher Banken – in vorderster Linie mal wieder die ehemalige Hypo Real Estate – gegenüber den eigenen Zweckgesellschaften, die sie in den vergangenen Jahren in Irland gegründet haben, um von dort aus riskante Zockergeschäfte in aller Welt zu unternehmen und sie auch noch aus ihren deutschen Bilanzen verschwinden zu lassen. Eine genaue Aufstellung solcher Expositionen deutscher Banken gibt es nicht, dem Bankgeheimnis sei Dank.
Irland ist für Unternehmen nicht nur eine Steueroase, die mit 12,5 Prozent Unternehmensteuer eine enorme Sogwirkung entfaltet hat (laut US-Außenministerium investierten bis Ende 2009 US-Unternehmen mit 124 Mrd. Euro in Irland mehr als in China, Russland und Brasilien zusammen). Irland ist auch eine Wüste, was die Regulierung und Aufsicht des Finanzsektors angeht. Laxe Kapitalanforderungen, praktisch keine Beschränkungen im Fondsgeschäft und dergleichen haben neben der steuerlichen Attraktivität gerade Finanzunternehmen in den vergangenen 20 Jahren angezogen wie das Licht die Motten. Im Jahr 2007 sollen gut 62 000 der 4,4 Millionen Iren in der Finanzindustrie gearbeitet haben. Die irische Aufsicht gilt mittlerweile sogar der in sehr liberalem Ruf stehenden britischen Financial Services Authority als sehr schwach.
Die enormen Auslandsinvestitionen, die massive Ansiedlung von Finanzunternehmen und billiges Geld haben in Irland unter anderem einen nie gekannten Immobilienboom ausgelöst, in dem irische Banken sich gewaltig verspekuliert haben. Auf dem Höhepunkt überstieg die Summe ausstehender Kredite, Derivate und Hypothekendarlehen irischer Banken das irische Bruttoinlandsprodukt um fast das Vierfache. Als sich in der Finanzkrise die Abschreibungen irischer Banken häuften, musste die irische Regierung zunächst mit Milliarden und Teilverstaatlichungen die eigenen Banken retten. Nun jedoch, da kein Geld mehr da ist, muss Irland selbst um Hilfe bitten. Gleichzeitig bot sich hier für Trittbrettfahrer die ideale Gelegenheit, die Zweckgesellschaften deutscher Banken mit zu retten.
Die EU als Geisel
Tatsächlich hat Irland bei einem Pro-Kopf-Bruttotinlandsprodukt von 35 801 Euro kein fiskalisches Problem. Es hat jedoch ein Problem mit der regulatorischen Arbitrage – so der terminus technicus –, die jahrelang von ausländischen Finanzinstituten dort betrieben wurde. Bei diesem Vorgehen wird das niedrigstmögliche Regulierungsniveau einer Region genutzt, um die wirklich heißen Deals zu machen. Man gründet Töchter in Regulierungswüsten und spielt außerhalb der lokalen Bilanz und Aufsicht Wildwest. Man begnügt sich aber nicht mit Peanuts, sondern klotzt richtig rein, im Zweifel wird auch die eigene Existenzfähigkeit aufs Spiel gesetzt. Hauptsache, der Bonus und die Kapitalrendite stimmen.
Und umgekehrt funktioniert es auch: So hat Lehman Brothers seine Zertifikate, die Schulden amerikanischer Haushalte verbrieften, in Deutschland vertrieben, weil dies hier möglich war. In den USA hätte die SEC – die amerikanische Börsenaufsicht – solche Instrumente nicht für den Vertrieb zugelassen. Diese und viele andere Situationen rufen regelrecht nach einer Regulierung, die den ungehemmten Im- und Export von Finanzgiftmüll unterbindet. Eine derartige Regulierung benötigt nicht gleich den Konsens der EU oder gar der ganzen Welt, sondern ist ohne Weiteres national umsetzbar.
Nach Aussage von Hans-Werner Sinn haben deutsche Banken im letzten Jahrzehnt zwei Drittel der deutschen Ersparnisse in aller Welt angelegt.[1] Gehen die Offshore-Abenteuer der Banken jedoch schief, muss man einen Dummen finden, der einen raushaut. Und hier gilt die Formel: Je größer die Dimension des potentiellen Schadens, desto einfacher ist ein solcher Dummer zu finden. Dieser ist praktisch immer die Politik. Denn nur die Politik verfügt über eine schier unerschöpfliche Geldquelle: den Steuerzahler. Der hat keine andere Wahl, als die Rechnung zu begleichen, die andere produziert haben. Er ist der berühmte „lender of last resort“.
Die einzige Schwierigkeit dabei besteht darin, das Problem öffentlich zu verkaufen. Da ist es auf jeden Fall ratsam, nicht auf die eigenen Verfehlungen hinzuweisen, sondern etwas sehr viel Größeres auf den Opferaltar zu legen: den Euro. Als Ganzes. Und nicht weniger. So kann man ganze Staaten, ja sogar Regionen wie die EU als Geisel nehmen. Und so macht man es auch.
An dieser Stelle haben die Banken ganze Arbeit geleistet. Sie haben es geschafft, ihre eigene, desaströse „Leistung“ in eine Eurokrise zu verwandeln.
Noch beeindruckender ist die Tatsache, dass sie es auch geschafft haben, ihre Rettung auf dem Niveau einer Vollkaskoversicherung ohne jede Selbstbeteiligung zu organisieren. Die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister haben klargestellt, dass eine Beteiligung privater Gläubiger, wenn überhaupt, erst nach 2013 und dann auch nur fallweise geprüft werden soll. Damit wird der eigentlich unumstößliche Zusammenhang zwischen Zins und Risiko auf Jahre komplett aufgehoben. Sie bekommen zu niedrige Zinsen von Ihrer Bank? Kaufen Sie europäische Schrottanleihen! Bloß nicht zu wenig, sonst sind Sie im Krisenfall nicht bedeutend genug. Ansonsten können Sie sich darauf verlassen: Sie werden von der Politik wieder rausgehauen. Ehrenwort!
Die Politik hält es nicht für nötig, dem eigenen Volk zu erklären, warum die Verursacher der Krise nicht mit einem auch noch so geringen, ja nicht einmal symbolischen Anteil in die Mithaftung genommen werden sollen. Dies könnte daran liegen, dass die Regierung selbst durch ihre Landesbanken und eine untaugliche Regulierung des eigenen Finanzsektors eine erhebliche Mitschuld an dem Desaster trägt. Jahrelang hat man weggesehen und sich nicht um die gigantischen Risiken gekümmert, die deutsche Banken offshore aufgehäuft haben. Dies rächt sich jetzt. Man hat sich selbst durch Unterlassen derart tief in diese Krise verstrickt, dass die Argumentation, der Euro sei in Gefahr, einen willkommenen Ausweg bietet, vom eigenen Versagen abzulenken.
Allerdings sollte man nicht annehmen, dass hier eine große Verschwörung vorliegt. Die Wahrheit ist wahrscheinlich viel banaler. Das Bundesfinanzministerium hat sich in den letzten Jahren mit den bedeutendsten Finanzplätzen dieser Welt auf einen Wettbewerb eingelassen, den es nicht gewinnen konnte. Man wollte gegenüber London und New York auf gleicher Augenhöhe operieren. So wurde auch in Deutschland, in Gestalt verschiedener Finanzmarktförderungsgesetze, die Liberalisierung des Finanzsektors betrieben. Und zwar mit einer vergleichsweise schwachen Mannschaft: Schwach sowohl im Kompetenzprofil als auch in der personellen Ausstattung.
Für die chronische Unterbesetzung hier nur einige Beispiele: Wenn das Finanzministerium einen Spezialisten für Kapitalertragsteuern braucht, muss es ihn aus dem Ruhestand wieder zurückholen, weil man keinen anderen hat. Die Abteilung für die weltweite Gestaltung von Doppelbesteuerungsabkommen ist mit drei (!) Personen besetzt.[2] Und über einen tauglichen Finanzstaatssekretär verfügt die CDU offenbar nicht, sonst hätte sie nicht Herrn Asmussen von der SPD übernommen, sondern eine Person aus den eigenen – doch angeblich so wirtschaftskompetenten – Reihen berufen. Fairerweise muss man sagen, dass Herr Asmussen schon seit den Zeiten von Theo Waigel „vererbt“ wird. Gewiss, Herr Asmussen ist ein kompetenter Mann. Man kann sich bei ihm nur nicht sicher sein, für welche Seite er eigentlich arbeitet, wenn man sich seine bisherige Geschichte genauer ansieht, insbesondere seine Aufsichtsratspositionen in diversen Banken und im Verwaltungsrat der Bankenaufsicht.
Wenn die Regulierung des Finanzsektors mit einer ähnlichen wie der oben beschriebenen, spärlichen Ausstattung vorangetrieben wird, darf man in den nächsten Jahren nicht allzu viel erwarten. So sind denn auch kritische Stimmen zum Finanzsektor aus den Regierungsreihen bisher eher blass bis unsichtbar bzw. unhörbar geblieben. Man verweist auf die internationalen Gremien der G 20 und EU und wartet, ob sich dort etwas Sinnstiftendes tut.
Das aber wird definitiv nicht reichen. Andere schlagen daher bereits ihre eigenen Wege ein. Die US-Regierung hat – soweit es die republikanische Opposition zuließ – ihrem Finanzsektor eine 2000 Seiten umfassende Novellierung der Bankenregulierung verpasst. Bei Basel III wollen sie mitmachen, allerdings nur mit Banken, die international tätig sind. Basel II, durch das die staatlich verlangten regulatorischen Eigenkapitalanforderungen stärker am tatsächlichen Risiko ausgerichtet werden sollte, haben die Amerikaner zwar angeregt, aber nie umgesetzt.
Und in der Bundesrepublik? Außer einer äußerst unfruchtbaren Diskussion, ob nunmehr die seit Einführung des Euro notorisch unterbeschäftigte Bundesbank oder die BaFin weiterhin die Führungsrolle in der Bankenaufsicht haben sollen, gibt es keine sichtbaren Zeichen einer effektiven Regulierung, die selbstmörderische Abenteuer deutscher Banken in Regulierungswüsten wie Irland wirksam unterbindet oder wenigstens aus der Haftung nimmt und damit weitere Bankenrettungen für die Zukunft unwahrscheinlicher macht. Auch bei den Boni hat man sich nicht mit Ruhm bekleckert, als man merken musste, dass die eigene Regulierung nur die Vorstandsebene erfasst und nicht die eigentlichen Großverdiener in den Investmentbanken. Dabei ist es eine öffentlich bekannte Tatsache, dass in Banken mit Investment-Banking nicht der Vorstand die höchsten Bezüge erzielt.
Auch die dringend erforderliche Neustrukturierung des Bankensektors wird bis heute nicht diskutiert. Dabei kommen hierzu auch aus Bankenkreisen recht deutliche Stellungnahmen. So hat der Chefanalyst der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, jüngst eine „Zerschlagung der globalen Bankenaristokratie“ gefordert, die er als hauptverantwortlich für die Spekulation im Bereich der Kreditderivate und Währungen identifiziert.[3] Eine derartige Aussage aus dem Munde eines Bankers wäre bis vor Kurzem noch völlig undenkbar gewesen.
Auch der Chef der Schweizer Nationalbank, Philipp Hildebrand, hat unlängst geäußert, dass das seit Mitte der 90er Jahre betriebene Geschäftsmodell der Global Players sich nicht bewährt habe und einer Revision bedürfe.[4] Die Schweiz hat übrigens als einziges Land in Europa eine Too-big-to-fail-Kommission eingesetzt, die sich mit der Frage befasst, wie man in Zukunft verhindern kann, dass Banken ganze Gesellschaften in Geiselhaft nehmen können. Dabei musste der Schweizer Franken bisher nie gerettet werden, obwohl die beiden Großbanken des Landes Bilanzsummen haben, die ein Vielfaches des Bruttoinlandsproduktes ausmachen. Das Ergebnis der Schweizer Diskussion ist hier zwar bei Weitem nicht so radikal, wie man hätte erhoffen können, aber immerhin wurde damit ein Mechanismus vorgestellt, der künftig die Abwicklung von Großbanken im Krisenfall ohne Systemzusammenbruch ermöglichen soll.
Hierzulande dagegen rettet man lieber den Euro und gründet bad banks. Dabei ist es dringend geboten, über die Gestaltung von good banks nachzudenken und entsprechende Schritte einzuleiten. Anderenfalls werden die Steuerzahler nämlich noch viel zu retten haben.
Es ist höchste Zeit, dass die Politik die wahren Verursacher der Krise benennt und diese effektiv an die Kette legt, anstatt immer mehr Garantien auszustellen und Geld für einen Finanzsektor zu drucken, der in dieser Form keine Daseinsberechtigung mehr hat.
Die anhaltende Diskussion um die Existenzfähigkeit des Euro lenkt dagegen nicht nur von den wahren Ursachen und Verursachern ab, sie ist zudem
zynisch, verantwortungslos und verlogen, weil sie die gemeinsame Währung und die Problemlösungskompetenz in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend diskreditiert. Daran kann, außer den ökonomischen Profiteuren, niemand ein ernsthaftes Interesse haben. Wenn jedoch die Bevölkerung Politik nur noch als Teil des Problems und nicht mehr der Lösung begreift, wie es immer mehr der Fall ist, dann wird es möglicherweise für eine echte Lösung der Krise endgültig zu spät sein.
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[1] Interview in „Die Welt“, 26.11.2010.
[2] Aussage von Referenten auf dem 2. Frankfurter Syndikustag am 26.11.2010.
[3] Im Interview mit „Deutschlandradio Kultur“, 27.11.2010.
[4] Im Interview des Schweizer TV-Senders SF1 (in der Sendung „Sternstunde der Philosophie“), 28.11.2010.
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