»Europa bräuchte viel mehr Kooperation«
Lothar Bisky, Vorsitzender der Linksfraktion im Europaparlament mit
Mitgliedern aus 12 Ländern und 17 Parteien, über den Kampf gegen die
Eurokrise in Brüssel und Strasbourg, über Solidarität mit Griechenland,
Portugal und Irland, über die Pläne einer europäischen
Wirtschaftsregierung sowie die Zusammenarbeit zwischen Europaparlament
und nationalen Volksvertretungen
Am 29. September stimmt der Deutsche Bundestag über die
Aufstockung des EFSF-Rettungsschirms ab. Die Bundesregierung muss wegen
vieler Euroskeptiker um die Kanzlermehrheit fürchten. Wie beurteilen Sie
die Lage der Regierung?
Lothar Bisky: Die politische Lage in der EU ist
insgesamt extrem kompliziert. Die deutsche Regierung ist jedoch ganz
wesentlich mitverantwortlich dafür, dass zu wenig, zu spät und nicht
immer das Richtige getan wurde und wird. Dass die Koalition so uneins
ist, kann mich bei aller Kritik nicht freuen. Europa bräuchte viel mehr
Kooperation. Und die fängt bekanntlich beim Kleinen an.
Auch im Europaparlament wird es in dieser Woche um die Eurokrise gehen. Was erwarten Sie von der Debatte?
In dieser Woche wird es eine Fragestunde mit dem Präsidenten der
Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, geben. Am Mittwoch debattiert das
Parlament mit dem Kommissionspräsidenten Barroso die Lage der Union. Ich
hoffe, dass beide konkrete, miteinander vereinbare Vorschläge zur
Krisenbewältigung und zur zukünftigen Gestaltung der EU mitbringen und
dabei die Vorschläge des Parlaments aufgreifen.
Und was hat DIE LINKE im Europaparlament in puncto Eurokrise bislang bewegen können?
Um die Eurokrise geht es inzwischen praktisch in allen Plenartagungen:
Um einzelne Gesetze zur Finanzmarktregulierung, beispielsweise um das
Paket zur Economic Governance oder um Mittelfreigaben aus dem
Globalisierungsfonds. Mit Mehrheit hat sich unser Parlament unter
anderem für Eurobonds, für eine Finanztransaktionsteuer, für mehr
Transparenz bei allen EU-Entscheidungen ausgesprochen. Wenn man so will,
kann man gelegentlich bei Abstimmungen von einer linken Mehrheit
sprechen, obwohl die Rechte numerisch die Mehrheit der Sitze hat.
Sie arbeiten im Europaparlament Seite an Seite mit griechischen
Abgeordneten der Linken. Wie sehen diese die Eurokrise und die
gegenwärtige Politik gegenüber Griechenland?
Als linke Fraktion mit Mitgliedern aus 12 Ländern und 17 Parteien
verbindet uns der Kampf für ein sozialeres, demokratisches, friedliches
Europa. In der aktuellen Krise zählen die griechischen, portugiesischen
und irischen Genossinnen und Genossen besonders auf unsere Solidarität:
gegen die Kampagnen über so genannte faule Südländer, gegen die
aufgezwungene, aber auch von der griechischen Regierung mitgetragene,
extreme Sparpolitik. Denn die trifft vor allem diejenigen, die mit den
Ursachen der Krise nichts zu tun haben.
Mitte September hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso
angekündigt, bald Pläne für die Einführung von Eurobonds vorlegen zu
wollen. Die deutsche Bundesregierung lehnt Eurobonds nach wie vor strikt
ab. Wie bewerten Sie den Vorschlag Barrosos?
Eurobonds können ein wichtiges Instrument werden, das zur Euro-Politik
gehören sollte. Ich hoffe, dass der Ankündigung auch endlich Taten
folgen. Die Idee ist ja wahrlich nicht ganz neu und eine Mehrheit der
Abgeordneten im Europaparlament vertritt die Forderung nach Eurobonds.
Eine Bewertung konkreter Vorschläge kann man aber erst vornehmen, wenn
sie auf dem Tisch liegen.
Barroso hofft in einem ersten Schritt auf Eurobonds light, weil
die EU-Verträge unter Umständen dann nicht geändert werden müssen.
Gregor Gysi sagte kürzlich im Bundestag, es gebe doch längst Eurobonds,
weil die Europäische Zentralbank (EZB) Schrottpapiere aufgekauft hätte,
für die wir alle haften. Wie beurteilen Sie die Rolle der EZB?
Vorrangiges Ziel der EZB ist Preisstabilität. Ansonsten soll sie
unabhängig sein. Diesen Ansatz haben wir Linken von Anfang an nicht
geteilt. Eine Währungsunion mit wirtschaftlich so unterschiedlich
entwickelten Ländern, wie wir sie in der Eurozone haben, kann auf Dauer
nur mit einer gemeinsam abgestimmten Geld-, Fiskal- und
Wirtschaftspolitik funktionieren. Die EZB ist mit den Schrottkäufen
möglicherweise über die Grenzen hinausgegangen, die ihr die Staaten
bisher zugestehen wollen. Aber die bessere Lösung sind uns die Staats-
und Regierungschefs noch schuldig.
Im Zuge der Eurokrise traten Demokratiedefizite auf nationaler,
aber auch auf europäischer Ebene offen zu Tage. Rettungspakete wurden
im Eiltempo durch die Parlamente gedrückt, Geheimtreffen machten
Schlagzeilen. Wie steht es um die Demokratie in Europa?
Der Trend zurück zum Intergouvernementalismus - zu Absprachen zwischen
den Regierungschefs ohne Beteiligung der Parlamente - macht mir große
Sorgen. Er konterkariert auch ein Stück weit die durch den
Lissabon-Vertrag erweiterten Beteiligungs- und Kontrollrechte des
Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente.
Mitte August haben der französische Präsident Nicolas Sarkozy
und Kanzlerin Merkel ihre Pläne für eine Wirtschaftsregierung der
Eurozone bekannt gegeben. Die war lange nicht nach Merkels Geschmack.
Wie bewerten Sie Merkels Einlenken? Was kann von dieser
Wirtschaftsregierung erwartet werden?
Eine Wirtschaftsregierung, die auf Beschäftigung, sozialen Zusammenhalt
und nachhaltiges Wirtschaften orientiert, fordert DIE LINKE in ihrem
Europawahlprogramm. Was Merkel und Sarkozy vorschwebt, hat damit kaum
etwas zu tun, wobei die Forderung nach einer Finanztransaktionsteuer und
nach harmonisierten Unternehmenssteuersätzen nicht falsch sind.
Vorgeschlagen sind zunächst zwei zusätzliche Treffen der Staatschefs der
Eurozone. Da sich aber fast alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet haben,
den Euro über kurz oder lang einzuführen, wird das von Ländern wie
beispielsweise Polen gar nicht begeistert aufgenommen.
Sie haben im Plenum des Europaparlaments gefordert, dass die
Verfassung der EU und die Lissabon-Verträge überarbeitet werden müssen.
Warum?
Ich habe gesagt, dass ich einverstanden wäre, den Vertrag hinsichtlich
seiner sozialen, demokratischen und wirtschaftlichen Dimensionen den
aktuellen Ansprüchen und Herausforderungen anzupassen. Damit ist zum
Beispiel gemeint, sozialen und ökologischen Belangen Vorrang vor
Profitinteressen einzuräumen, mehr Transparenz und Mitbestimmung in der
EU-Politik, Re-Regulierung der Finanzmärkte oder eben bessere und
solidarischere Kooperation im Bereich der Wirtschaft.
Die Zusammenarbeit zwischen Europaparlament und den nationalen
Parlamenten scheint nicht ganz konfliktfrei. Wo sehen Sie Konfliktlinien
und wie können sie gelöst werden?
Es geht in der Politik ja hoffentlich den meisten darum, die Interessen
der Menschen bestmöglich und auf der richtigen Ebene, so transparent
und demokratisch wie möglich zu vertreten. Da gibt es immer wieder
Abstimmungsbedarf, auch die Linke könnte da noch etwas kollegialer
werden.
Wer wird auf institutioneller Ebene als Sieger aus der Eurokrise hervorgehen – die EU-Kommission oder das Europaparlament?
Entweder es wird gemeinsam ein Weg aus der Krise gefunden, das wäre ein
gemeinsamer Sieg und man wird über bessere Wege der Zusammenarbeit
weiter streiten können. Oder es gibt keine gemeinsame Krisenlösung, dann
gibt es nur Verlierer.
linksfraktion.de, 27. September 2011
Ähnliche Artikel
- 14.08.2011
- 01.02.2011
- 23.09.2011
- 28.07.2011
- 15.12.2008