»Europa bräuchte viel mehr Kooperation«

29.09.2011


Lothar Bisky, Vorsitzender der Linksfraktion im Europaparlament mit Mitgliedern aus 12 Ländern und 17 Parteien, über den Kampf gegen die Eurokrise in Brüssel und Strasbourg, über Solidarität mit Griechenland, Portugal und Irland, über die Pläne einer europäischen Wirtschaftsregierung sowie die Zusammenarbeit zwischen Europaparlament und nationalen Volksvertretungen

Am 29. September stimmt der Deutsche Bundestag über die Aufstockung des EFSF-Rettungsschirms ab. Die Bundesregierung muss wegen vieler Euroskeptiker um die Kanzlermehrheit fürchten. Wie beurteilen Sie die Lage der Regierung?

Lothar Bisky: Die politische Lage in der EU ist insgesamt extrem kompliziert. Die deutsche Regierung ist jedoch ganz wesentlich mitverantwortlich dafür, dass zu wenig, zu spät und nicht immer das Richtige getan wurde und wird. Dass die Koalition so uneins ist, kann mich bei aller Kritik nicht freuen. Europa bräuchte viel mehr Kooperation. Und die fängt bekanntlich beim Kleinen an.

Auch im Europaparlament wird es in dieser Woche um die Eurokrise gehen. Was erwarten Sie von der Debatte?

In dieser Woche wird es eine Fragestunde mit dem Präsidenten der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, geben. Am Mittwoch debattiert das Parlament mit dem Kommissionspräsidenten Barroso die Lage der Union. Ich hoffe, dass beide konkrete, miteinander vereinbare Vorschläge zur Krisenbewältigung und zur zukünftigen Gestaltung der EU mitbringen und dabei die Vorschläge des Parlaments aufgreifen.

Und was hat DIE LINKE im Europaparlament in puncto Eurokrise bislang bewegen können?

Um die Eurokrise geht es inzwischen praktisch in allen Plenartagungen: Um einzelne Gesetze zur Finanzmarktregulierung, beispielsweise um das Paket zur Economic Governance oder um Mittelfreigaben aus dem Globalisierungsfonds. Mit Mehrheit hat sich unser Parlament unter anderem für Eurobonds, für eine Finanztransaktionsteuer, für mehr Transparenz bei allen EU-Entscheidungen ausgesprochen. Wenn man so will, kann man gelegentlich bei Abstimmungen von einer linken Mehrheit sprechen, obwohl die Rechte numerisch die Mehrheit der Sitze hat.

Sie arbeiten im Europaparlament Seite an Seite mit griechischen Abgeordneten der Linken. Wie sehen diese die Eurokrise und die gegenwärtige Politik gegenüber Griechenland?

Als linke Fraktion mit Mitgliedern aus 12 Ländern und 17 Parteien verbindet uns der Kampf für ein sozialeres, demokratisches, friedliches Europa. In der aktuellen Krise zählen die griechischen, portugiesischen und irischen Genossinnen und Genossen besonders auf unsere Solidarität: gegen die Kampagnen über so genannte faule Südländer, gegen die aufgezwungene, aber auch von der griechischen Regierung mitgetragene, extreme Sparpolitik. Denn die trifft vor allem diejenigen, die mit den Ursachen der Krise nichts zu tun haben.

Mitte September hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso angekündigt, bald Pläne für die Einführung von Eurobonds vorlegen zu wollen. Die deutsche Bundesregierung lehnt Eurobonds nach wie vor strikt ab. Wie bewerten Sie den Vorschlag Barrosos?

Eurobonds können ein wichtiges Instrument werden, das zur Euro-Politik gehören sollte. Ich hoffe, dass der Ankündigung auch endlich Taten folgen. Die Idee ist ja wahrlich nicht ganz neu und eine Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament vertritt die Forderung nach Eurobonds. Eine Bewertung konkreter Vorschläge kann man aber erst vornehmen, wenn sie auf dem Tisch liegen.

Barroso hofft in einem ersten Schritt auf Eurobonds light, weil die EU-Verträge unter Umständen dann nicht geändert werden müssen. Gregor Gysi sagte kürzlich im Bundestag, es gebe doch längst Eurobonds, weil die Europäische Zentralbank (EZB) Schrottpapiere aufgekauft hätte, für die wir alle haften. Wie beurteilen Sie die Rolle der EZB?

Vorrangiges Ziel der EZB ist Preisstabilität. Ansonsten soll sie unabhängig sein. Diesen Ansatz haben wir Linken von Anfang an nicht geteilt. Eine Währungsunion mit wirtschaftlich so unterschiedlich entwickelten Ländern, wie wir sie in der Eurozone haben, kann auf Dauer nur mit einer gemeinsam abgestimmten Geld-, Fiskal- und Wirtschaftspolitik funktionieren. Die EZB ist mit den Schrottkäufen möglicherweise über die Grenzen hinausgegangen, die ihr die Staaten bisher zugestehen wollen. Aber die bessere Lösung sind uns die Staats- und Regierungschefs noch schuldig.

Im Zuge der Eurokrise traten Demokratiedefizite auf nationaler, aber auch auf europäischer Ebene offen zu Tage. Rettungspakete wurden im Eiltempo durch die Parlamente gedrückt, Geheimtreffen machten Schlagzeilen. Wie steht es um die Demokratie in Europa?

Der Trend zurück zum Intergouvernementalismus - zu Absprachen zwischen den Regierungschefs ohne Beteiligung der Parlamente - macht mir große Sorgen. Er konterkariert auch ein Stück weit die durch den Lissabon-Vertrag erweiterten Beteiligungs- und Kontrollrechte des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente.

Mitte August haben der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Merkel ihre Pläne für eine Wirtschaftsregierung der Eurozone bekannt gegeben. Die war lange nicht nach Merkels Geschmack. Wie bewerten Sie Merkels Einlenken? Was kann von dieser Wirtschaftsregierung erwartet werden?

Eine Wirtschaftsregierung, die auf Beschäftigung, sozialen Zusammenhalt und nachhaltiges Wirtschaften orientiert, fordert DIE LINKE in ihrem Europawahlprogramm. Was Merkel und Sarkozy vorschwebt, hat damit kaum etwas zu tun, wobei die Forderung nach einer Finanztransaktionsteuer und nach harmonisierten Unternehmenssteuersätzen nicht falsch sind. Vorgeschlagen sind zunächst zwei zusätzliche Treffen der Staatschefs der Eurozone. Da sich aber fast alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet haben, den Euro über kurz oder lang einzuführen, wird das von Ländern wie beispielsweise Polen gar nicht begeistert aufgenommen.

Sie haben im Plenum des Europaparlaments gefordert, dass die Verfassung der EU und die Lissabon-Verträge überarbeitet werden müssen. Warum?

Ich habe gesagt, dass ich einverstanden wäre, den Vertrag hinsichtlich seiner sozialen, demokratischen und wirtschaftlichen Dimensionen den aktuellen Ansprüchen und Herausforderungen anzupassen. Damit ist zum Beispiel gemeint, sozialen und ökologischen Belangen Vorrang vor Profitinteressen einzuräumen, mehr Transparenz und Mitbestimmung in der EU-Politik, Re-Regulierung der Finanzmärkte oder eben bessere und solidarischere Kooperation im Bereich der Wirtschaft.

Die Zusammenarbeit zwischen Europaparlament und den nationalen Parlamenten scheint nicht ganz konfliktfrei. Wo sehen Sie Konfliktlinien und wie können sie gelöst werden?

Es geht in der Politik ja hoffentlich den meisten darum, die Interessen der Menschen bestmöglich und auf der richtigen Ebene, so transparent und demokratisch wie möglich zu vertreten. Da gibt es immer wieder Abstimmungsbedarf, auch die Linke könnte da noch etwas kollegialer werden.

Wer wird auf institutioneller Ebene als Sieger aus der Eurokrise hervorgehen – die EU-Kommission oder das Europaparlament?

Entweder es wird gemeinsam ein Weg aus der Krise gefunden, das wäre ein gemeinsamer Sieg und man wird über bessere Wege der Zusammenarbeit weiter streiten können. Oder es gibt keine gemeinsame Krisenlösung, dann gibt es nur Verlierer.

linksfraktion.de, 27. September 2011