Die vierte Welle. Von der Finanzmarkt- zur Austeritätskrise
Von Richard Detje, Sozialismus Online
Zum Charakter der Großen Krise gehört, dass sie globale Dimensionen hat. Erstmals seit der Großen Depression der 1930 Jahre gibt es keine Region der Welt, die ungeschoren davon kam. Tatsächlich handelt es sich damit um die erste globale Krise der seit dem Zweiten Weltkrieg des letzten Jahrhunderts.
China mit seiner um 9% wachsenden Ökonomie legte sogar das größte Konjunkturprogramm auf, um den gewaltigen Strukturwandel mit einem wachsenden Angebot an Arbeitsplätzen aufrecht erhalten zu können. Und vieles spricht dafür, dass die Große Krise seit 2007 in nicht allzu ferner Zeit als der Beginn des letzten Kapitels der US-Hegemonie und der Weltgeld-Rolle des Dollar beschrieben wird. Dennoch fällt die globale Dimension meist unter die Tische der Redaktionsstuben, wenn von den Krisenfolgen berichtet wird.
Laut ILO (International Labour Organization) sind der Krise seit 2008 rund 20 Millionen Arbeitsplätze in den Mitgliedstaaten der OECD zum Opfer gefallen. Dabei handelt es sich, wie die ILO zu Recht hervorhebt, nicht um temporäre, sondern dauerhafte Verluste. Angesichts der prognostizierten Expansionsraten der Wirtschaft ist in dem Gros der so genannten Schwellenländer und in den hoch entwickelten kapitalistischen Weltregionen – auch dort, wo die Demografie-Demagogie grassiert – ein beschäftigungspolitischer Erholungsprozess gegenwärtig ausgeschlossen. Ohne tiefgreifende Reformen einschließlich massiver Arbeitsumverteilung zeichnen sich für die nachwachsende Generation ein, wenn nicht zwei verlorenen Jahrzehnte ab.
Das Unvermögen – richtiger: die politische Weigerung –, für ausreichende Beschäftigung zu sorgen, verschärft sich. Unicef zufolge rollt über die »developing countries« nach den Schocks der Nahrungsmittel-, Öl- und Finanzkrise »eine vierte Welle der globalen Wirtschaftskrise hinweg: die Austeritätskrise«. In 70 von 128 untersuchten Staaten sind die öffentlichen Ausgaben seit 2010 um rund drei Prozentpunkte des BIP zurückgefahren worden; 2012 werden es 91 Staaten sein.
In einem Vergleich mit der kurzen Phase konjunktureller Stimuli und finanzkapitalistischer Rettungsmanöver 2008/2009 ist bei einem Viertel der Länder von exzessivem Gürtel-enger-schnallen (excessive belt-tightening) die Rede – die öffentlichen Ausgaben sind dort unter das Vorkrisenniveau von 2007 gesunken. Betroffen sind davon die bedürftigsten und verletzbarsten Teile der Gesellschaft. In 56 Staaten werden die Löhne gekürzt oder eingefroren; ebenfalls in 56 werden Zuschüsse für Nahrungsmittel und Energie zurückgefahren; in 53 Staaten wurden Steuern in Bereichern der Grundversorgung erhöht; in 34 stehen Sozialprogramme auf den Agenda der »Sparpolitik« und in 28 Staaten »Reformen« der Alterssicherung. Der Lebensstandard sinkt, ökonomische und soziale Erholung entschwindet in der Ferne.
Die Langfristfolgen sind bekannt. Von Unterversorgung sind weltweit mindestens eine Milliarde betroffen; 178 Millionen Kinder unter fünf Jahren leiden unter versorgungsbedingten Wachstumsschäden. »Die begrenzte Interventionszeit für die Entwicklung von Säuglingen und Kindern besagt, dass Rückschritt heute irreversible Folgen für das physische und geistige Leben und die produktiven Kapazitäten der Länder hat.«
All das sind nur Zwischenstände. Auf die Austeritätswelle folgt mit der fünften Welle der ökonomische Rückschlag. Die Große Krise seit 2007 ist wie die Große Depression des vergangenen Jahrhunderts wohl auch erst mit belastbaren Ansätzen eines neuen globalen Ordnungsrahmens beendet. Das Ende der Usurpation der gesellschaftlichen Reichtümer durch die Klassen der Vermögensbesitzer ist dafür ebenso unerlässlich wie ein Schuldenerlass für hochdefizitäre Staaten. Letzteres ist auf den Finanzmärkten zumindest teilweise bereits »eingepreist«.
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Quellen:
Guardian weekly: Warning on human cost of crisis, Sept 30 – Oct 6, 2011.
ILO: Global Employment Trends 2011, Geneva 2011.
IMF 2011: IMF-Report: Austerity Measures Hurt Income, Make Long-Term Unemployment Worse, Sept. 13, 2011.
Unicef-Annual Report: The State of the World’s Children, New York 2011.
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