Axel Troost: EFSF gehebelt - Verstand ausgehebelt?

23.10.2011 / Axel Troost ist finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Derzeit wird zwischen den Regierungen Merkel und Sarkozy heftig darum gerungen, wie der gerade erst aufgestockte Euro-Rettungsschirm EFSF zusätzlich gehebelt, d.h. durch bestimmte Instrumente vergrößert werden könnte. Von einer Banklösung ist einerseits die Rede, die von den Franzosen bevorzugt wird. Und die Deutschen seien für eine Versicherungslösung. Was darüber vergessen wird: Das Hebeln selbst ist Lug und Trug, denn die Kosten kommen auf uns zu - so oder so.

Die Hebelung des Rettungsschirms kann man sich bildlich wie folgt vorstellen. Der Rettungsschirm ist mit einer bestimmten Menge eines wasserundurchlässigen Materials bespannt. Will man den Schirm größer machen - so würde man sich üblicherweise denken –, braucht man entsprechend mehr von diesem Material. Da die nationalen Parlamente aber nicht mehr Material zur Verfügung stellen, kommen die Regierungen kurzerhand auf die Idee, das Material einfach strammer zu ziehen. Sie erklären den belämmerten Parlamentariern, das Material sei sehr flexibel und könne ohne weiteres auf die vier- bis achtfache Größe gedehnt werden. Die Parlamentarier wiederum fragen sich: Wenn das stimmt, warum haben die Regierungen uns das nicht gleich gesagt? Dann hätten wir ja nur ein Viertel bis Achtel des ursprünglich nötigen Materials zur Verfügung stellen müssen.

Was die Regierungen verschweigen: Die schützende Schicht des Schirms wird beim Ziehen immer dünner, und keiner weiss, wie lange sie diese Spannung aushält und wann sie reißt. Im Normalzustand wäre ein Loch im Schirm eben ein Loch. In gehebeltem Zustand aber wird das gedehnte Material bei einem Schaden zerfetzt, wie die Hülle eines platzenden Luftballons. Ergebnis wäre die gesamte Bespannung des Schirms futsch.

Nach Maßgabe der Regierungen soll der EFSF Risiken abschirmen und dadurch das Vertrauen auf den Märkten wiederherstellen. Der EFSF kann aber für Schäden, d.h. eingetretene Risiken, nur soweit gerade stehen, wie die nationalen Parlamente dafür Mittel bereit gestellt haben. Ein Fonds mit 100 Millionen Euro an verfügbaren Mitteln kann ein Schiff im Wert von 100 Millionen Euro gegen das Risiko eines Totalverlusts gut absichern, beispielsweise durch Untergang. Bei einer privaten Versicherung ist es natürlich üblich, dass ein solcher Fonds gleich mehrere Schiffe absichert, weil man davon ausgeht, dass nicht mehrere gleichzeitig untergehen. Bei einer Hebelung von 1:4 würden also vier Schiffe versichert, obwohl das Geld nur reicht, um den Verlust eines Schiffs zu schultern. Für Griechenland sind bereits im Juni ein freiwilliger Schuldenschnitt der privaten Gläubiger von 21 Porzent vereinbart worden - also mehr als zwei von zehn Schiffen sinken. Nun ist eine Insolvenz Griechenlands im Gespräch, für die ein Schuldenschnitt von 50 bis 80 Prozent erwartet wird - dann sinken schon fünf bis acht von 10 Schiffen. Wie soll denn ein EFSF mit einem Hebel von 1:4 Beruhigung in eine aufgewühlte Finanzmarktsee bringen, wenn es seit über drei Jahren keinen sicheren Hafen mehr gibt und bei den besonders kriselnden Reedereien acht von zehn Schiffen zu sinken drohen? Sobald aber ein Schaden eintritt, der die Haftungsmasse des EFSF überschreitet, ist die gesamte Risikodeckung des EFSF wertlos. Er hat das gesamte Vertrauen verloren - wie eine bankrotte Bank oder Versicherung.

In der derzeitigen Finanzkrise kann niemand sagen, welche Risiken uns noch ins Haus stehen. Die Hebelung des EFSF kann also nur aus einem anderen Grund von den Regierungen für funktionsfähig gehalten werden: Wenn es schief geht und mehr Geld gebracht wird, wird es eben auch mehr Geld geben, weil es ja dann "dazu keine Alternative mehr gibt". Diese Logik ist durchaus konsequent und wird auch von der Finanzindustrie geglaubt, denn nach der Pleite von Lehman Brothers ist kein größeres Institut mehr fallen gelassen worden. Warum sollte sich das ändern? So gesehen ist dann aber auch der Streit zwischen Merkel und Sarkozy überflüssig: Solange der Rettungsschirm das Verhalten der Finanzmarktakteure und die fehlkonstruierte Währungsunion nicht korrigiert, werden die Schäden so oder so eintreten.

Wenn sich Deutschland mit seinem Versicherungsmodell durchsetzt, dann muss der Bundestag dem EFSF irgendwann soviel Geld nachschießen, wie er über seine eigenen Mittel hinaus Risiken abgesichert hat. Wenn die Franzosen mit der Banklösung durchkommen, dann liegt der Schwarze Peter über die EZB genauso bei Regierungen und Parlamenten gleichermaßen, denn dann verlieren die betreffenden Staatsanleihen als EZB-Sicherheiten an Wert, und die EZB muss sie abschreiben. Die Regierungen bzw. Euro-Mitgliedsländern müssen dann dieselbe Menge Geld für die Rekapitalisierung der EZB aufwenden, denn wer lässt schon seine Zentralbank pleite gehen?

Die Schlussfolgerung lautet: Kein erbsenzählender Parlamentsbeschluss wird die Kosten der Krise deckeln, sondern das kann ausschließlich eine umsichtige Politik, die den weiteren Krisenverlauf entschärft und langfristig die Ursachen der Krise beseitigt.

Als ersten Schritt muss daher die Abwärtsspirale in den Krisenländern gestoppt werden. Der Wirtschaftsrückgang in Griechenland bedeutet einen Verlust an Wertschöpfung. Jeder Euro, der in Griechenland wegen der Krise nicht erwirtschaftet wird, steht als Deckungsbeitrag für die Kosten der Krise nicht zur Verfügung und muss über so genannte Rettungspakete ausgeglichen werden. Deshalb muss Schluss sein mit der Austeritätspolitik für Griechenland, Portugal etc. Wir brauchen vielmehr eine Wiederbelebung der Wirtschaft über einen europäischen Marschallplan.

Zweitens muss die Finanzmarktsee durch rabiate Finanzmarktregulierung endlich beruhigt werden. Dazu gehören auch das Verbot einer Vielzahl von spekulativen Finanzinstrumenten und Geschäftspraktiken.

Drittens braucht die Währungsunion eine verbindliche, koordinierte europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik, damit sich die Mitgliedsländer aufeinander zu statt voneinander weg entwickeln. Hier hat Deutschland erhebliche Beiträge vor allem im Bereich der Lohn- und Arbeitsmarktpolitik zu leisten.

Viertens: Großbanken sind zu wichtig und zu gefährlich, um sie dem Renditedruck der Märkte oder dem Größenwahn von Bankern und abgehalfterten Landespolitikern zu überlassen. Wenn es nicht anders geht, müssen Banken kurzfristig durch staatliche Rekapitalisierung gestützt werden. Dann aber muss der Staat auch entsprechend Eigentümer werden und die Geschäftspolitik bestimmen. In der mittleren Frist müssen Großbanken aber in jedem Fall zurechtgestutzt und unter gesellschaftliche Beobachtung gestellt werden. Hier bieten Sparkassen und Volksbanken einen brauchbaren Anhaltspunkt.

Und nicht zuletzt fünftens: Wenn der Schaden nun mal angerichtet ist, dass müssen ihn wenigsten die Richtigen bezahlen. Deutliche Steuererhöhungen für Reiche und Unternehmen müssen die jahrelange Umverteilung von unten nach oben umkehren. Hierzu kommt unter anderem eine Erhöhung der Spitzensteuersätze und der Erbschaftssteuer und eine europaweite Sonderabgabe für Vermögen von mehr als einer Million Euro in Frage. Durch eine gleichzeitige Schließung der Steueroasen muss zugleich verhindert werden, dass sich die Reichen und Superreichen dieser Besteuerung entziehen.

linksfraktion.de, 21. Oktober 2011