Worüber die Weisen sich wundern - Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Von Lucas Zeise
Das Herbstgutachten des Rates der Wirtschaftsweisen ist jedes Jahr einer der Höhepunkte in der Berichterstattung der Wirtschaftspresse. Der mehrheitlich (vier von fünf) mit orthodox neoliberalen Professoren besetzte Rat gibt jährlich eine Konjunkturprognose heraus und garniert diese mit neoliberaler Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Die Wirtschaftspolitik, die die Bundesregierung den bedrängten Südländern der Euro-Zone diktiert, wird im Gutachten keiner Prüfung unterzogen, sondern als objektive, unvermeidbare Realität dargestellt und damit von jeder Kritik ausgenommen.
Interessant ist wie immer die Konjunkturprognose. Sie fällt düster aus und wurde mit der Überschrift versehen: »Konjunktur in Deutschland: Keine Entkopplung vom außenwirtschaftlichen Umfeld.« Die Wirtschaftsweisen geben sich überrascht, daß die Konjunktur in Deutschland auf die Krise in Euro-Europa und anderswo auf der Welt reagiert. Im vierten Quartal dieses Jahres rechnen sie mit einer Rezession, so daß sich im ganzen Jahr 2012 ihrer Kalkulation eine kümmerliche Wachstumsziffer von + 0,8 Prozent des inflationsbereinigten Bruttoinlandsprodukts ergibt. Wie kommt es, daß die Herren so überrascht sind, da sie doch wissen, daß Deutschland eine Exportnation ist? Die Antwort ist einfach. Sie haben ihren eigenen Unsinn geglaubt.
Dieser Unsinn bestand darin zu meinen, es werde in Deutschland zu einer Belebung der Nachfrage im Inland kommen. Das war aber keineswegs der Fall. Nach ihren eigenen Schätzungen als Wirtschaftsweisen sind die Konsumausgaben in diesem Jahr real um weniger als ein Prozent gestiegen und damit geringer als in den beiden Vorjahren. Und das, obwohl, wie der Rat findet, sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland als vorzüglich, aber jedenfalls als besser als in der übrigen Euro-Zone darstellt.
Die Investitionen sind sogar gesunken. Die weisen Herren rechnen mit einem Rückgang real um 3,3 Prozent. Das widerspricht allem, was sie selber erwartet hatten und so reden sie in ihrem viele hundert Seiten starken Gutachten davon, daß »stetig wiederkehrende Unsicherheitsschübe« aus dem Euro-Gebiet »über den Außenhandels- und Vertrauenskanal« die Investitionsneigung der deutschen Unternehmer gehemmt haben müssen.
Das hätte man aber auch schon vorher ahnen können. Klügere als die Wirtschaftsweisen es sind, haben seit zwei Jahren auf den extrem schlichten Zusammenhang hingewiesen, daß sich auf dem europäischen Binnenmarkt weniger Waren absetzen lassen, wenn man die Konjunktur in den Euro-Ländern abwürgt. Das leuchtet auch den deutschen Unternehmern ein. Sie rechnen mit dem Ende der Exportsause und lassen das Investieren sein. Die auch 2012 weiter rasant gestiegenen Gewinne ändern daran nichts. So blöd sind die Unternehmer und Manager nun auch wieder nicht, daß sie die vom Sachverständigenrat vertretene Angebotstheorie glauben und dann investieren, wenn ihre Gewinne hoch sind, egal ob Nachfrage da ist oder nicht.
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