Krise drückt weltweit auf die Einkommen
Globaler Lohn-Report: ILO warnt vor Wettlauf um die niedrigsten Löhne
Die Lohnentwicklung bleibt weiterhin hinter dem Stand vor Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zurück. Dies geht aus dem Globalen Lohn-Report hervor, den die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) am Freitag in Genf vorstellte. Im weltweiten Durchschnitt stiegen im Jahr 2011 die monatlichen Bruttolöhne unter Abzug der Inflation um 1,2 Prozent. 2010 hatte der Zuwachs noch bei 2,1 Prozent gelegen und 2007, vor Ausbruch der Krise, sogar bei 3 Prozent. Ohne China nahmen die globalen Durchschnittlöhne 2011 real nur noch um 0,2 Prozent zu.
"Der Bericht zeigt, dass die Krise in vielen Ländern massive Folgen für die Löhne hatte und damit auch für die Beschäftigten", erklärte ILO-Generaldirektor Guy Ryder bei der Vorstellung des Berichts. "Die Auswirkungen waren jedoch nicht überall gleich."
In den Industrieländern kam es infolge der Krise zu einem "double dip": Nach einer leichten Erholung 2009 und 2010 war die Lohnentwicklung im Jahr 2011 erneut negativ. Im laufenden Jahr wird mit einem Nullwachstum gerechnet. Lateinamerika, Afrika und ganz besonders Asien verzeichneten dagegen deutliche Reallohnzuwächse.
Die Lohnentwicklung hielt in den meisten Ländern nicht mit dem Produktivitätswachstum Schritt, stellt der Bericht fest. In Deutschland etwa stieg die Produktivität in den vergangenen zwei Jahrzehnten um fast ein Viertel, während die Reallöhne jedoch stagnierten und zwischen 1999 und 2007 sogar rückläufig waren. Immerhin lässt sich hier inzwischen eine Kehrtwende beobachten.
In den meisten Ländern schrumpft seit langem der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, während der Anteil der Unternehmens- und Vermögenseinkommen zunimmt. „Die Arbeitnehmer erhalten nicht den Anteil, der ihnen zusteht", monierte Ryder. Zahlreiche Untersuchungen belegen zudem eine wachsende Ungleichheit bei den individuellen Einkommen: Die Schere zwischen Gering- und Topverdienern geht weiter auf.
Diese Entwicklung sei langfristig nicht nachhaltig, so der ILO-Bericht weiter, weil eine schrumpfende Lohnquote einen Rückgang der Binnennachfrage oder teilweise auch eine wachsende Verschuldung der privaten Haushalte nach sich ziehe. In einigen Ländern, ganz besonders Deutschland, wurde die schwache Binnennachfrage durch umso höhere Exporte ausgeglichen. Doch könne dies keine Strategie für alle Länder sein, weil nicht alle zur gleichen Zeit einen Handelsbilanzüberschuss haben können.
Die ILO-Experten warnen vor dem Versuch, sich aus der Krise herauszusparen und die nationale Wettbewerbsfähigkeit durch eine Senkung der Lohnkosten zu steigern. Denn dadurch könnte es zur einem "race to the bottom" kommen, einem Wettlauf um immer niedrigere Kosten und Löhne, der auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen wird.
Stattdessen sei es nötig, die Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte wieder an die Produktivitätsentwicklung anzugleichen. Die großen Leistungsbilanzüberschüsse in Ländern wie Deutschland zeigten, so der Bericht weiter, dass es dafür durchaus Spielräume gebe.
Darüber hinaus rät der ILO-Bericht zur Einführung von Mindestlöhnen. "Mindestlöhne können hilfreich sein, um Beschäftigte im Niedriglohnsektor zu schützen und Kaufkraftverluste zu verhindern", sagte Generaldirektor Ryder. "Dies wiederum verhindert, dass die Binnennachfrage zurückgeht, und fördert so eine wirtschaftliche Erholung."
Bei der Festsetzung von Mindestlöhnen sollten mehrere Faktoren berücksichtigt werden, betonen die Autoren des Lohn-Berichts: die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familien, aber auch ökonomische Faktoren wie die Produktivität, die Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung und nicht zuletzt die Notwendigkeit, ein hohes Beschäftigungsniveau zu erhalten.
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