Sozialcharta für TLG-Wohnungen
Mit der wohnungspolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und Aufsichtsratschefin von FairWohnen, Heidrun Bluhm, sprach Gabriele Oertel
Die 11 500 Treuhand-Wohnungen wurden an die Hamburger TAG Immobilien Aktiengesellschaft verkauft. Die mitbietende, von LINKEN-Politikern gegründete Genossenschaft FairWohnen, die vom Finanzministerium vorzeitig ausgesondert wurde, will dennoch Mieter beraten - und den Fortgang der Wohnungsprivatisierung im Auge behalten.
nd: Sie haben im Zusammenhang mit dem Verkauf der TLG-Wohnungen von einer Kette von Skandalen gesprochen - und das Agieren der Bundesregierung gemeint. Ist nicht für Sie als Aufsichtsratschefin der Genossenschaft FairWohnen, die sich auch um diese Wohnungen bemühte, der größte Skandal, aus dem Bieterverfahren rausgeflogen zu sein? Und wissen Sie inzwischen, warum man die einzige mitbietende Genossenschaft aussortiert hat?
Bluhm: Ich kann hier nicht als TLG-FairWohnen-Vertreterin sprechen, sondern nur als Politikerin mit sozialer Verantwortung. Erstens: Eine Übertragung der Wohnungen an kommunale Wohnungsunternehmen oder eine Genossenschaft ist nie ernsthaft erwogen worden. Die Regierung versteckt sich dabei hinter Europäischem Recht. Zweitens: Das Verkaufspaket und die Verkaufsbedingungen sind von vorn herein so geschnürt worden, dass nur ganz große, international agierende Konzerne zum Zuge kommen konnten. Hinter denen stehen wieder Finanzinvestoren. Drittens: Die angeblich weitgehende Sozialcharta ist den Mietern bis heute nicht bekannt. Nach dem, was bis heute bekannt ist, stehen da - entgegen der Ankündigungen - nur gesetzliche Standards oder Selbstverständlichkeiten drin.
nd: Also eine ideologische Entscheidung, wie die SPD meint?
Bluhm: Da hat die SPD mal Recht. Die Entscheidung ist aber nicht nur ideologisch, sie ist vor allem marktradikal.
nd: Immerhin hat die TAG, die angeblich zunächst am Kauf der TLG-Wohnungen nicht interessiert war, weil sie mit den zuvor auch im Osten erworbenen 25 000 DKB-Wohnungen genug zu tun habe, in nur zwei Wochen eine Kapitalerhöhung um 270 Millionen Euro eingenommen. Wäre derlei der Genossenschaft auch gelungen?
Bluhm: Unsere Finanzierung stand. Die uns betreuenden Banken wären bis zu dieser von der TAG gebotenen Summe auch mitgegangen.
nd: Was wird jetzt aus FairWohnen?
Bluhm: Wir haben uns als TLG FairWohnen gegründet, um am Bieterverfahren teilzunehmen, haben in der Satzung aber zugleich stehen, dass wir auch andere von Privatisierung bedrohte Wohnungen erwerben können. Und dann haben wir im September mit den Gründungsmitgliedern unserer Genossenschaft einen erweiterten Satzungsbeschluss gefasst, der über den Erwerb von Wohnungen hinausgeht. Wir wollen von Privatisierung bedrohte Mieterinnen und Mieter betreuen und mit einer Sozialcharta ausstatten, die sie auch nach dem Verkauf ihrer Wohnungen einigermaßen sicherstellt.
nd: In der mit dem Wohnungsverkauf ausgehandelten Sozialcharta, auf die Schwarz-Gelb stolz hinweist, wird den Mietern der Schutz vor Luxusmodernisierung und Eigenbedarfskündigung zugesichert, Mieterprivatisierung der Vorrang gegeben und über 60-Jährigen lebenslang Kündigungsschutz gewährt. Warum sind Sie dennoch damit nicht zufrieden?
Bluhm: Diese Sozialcharta ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Wesentliche Teile davon sind ohnehin verbrieftes Recht nach bürgerlichem Gesetz und Mietrecht. Das, was man anbietet, wird nicht eintreten: Luxussanierungen sind im Plattenbau in den nächsten Jahren nicht möglich, Eigenbedarfskündigungen kann eine börsennotierte Aktiengesellschaft sowieso nicht durchziehen. Was den Mieterinnen und Mietern wirklich geholfen hätte, wäre eine Mietpreisbegrenzung, die unsere Genossenschaft zugesichert hätte - und die findet in der TAG-Sozialcharta nicht statt. Früher oder später wird sich das rächen und zur Selektion der Mieter in den Standorten führen.
nd: Die Mieter haben offenbar keine guten Karten. Sie haben kritisiert, dass die Betroffenen über den Verkauf bis heute nicht informiert wurden.
Bluhm: Aus Erfahrung. Die TLG hat über das Bundesfinanzministerium ihre Mieterinnen und Mieter immer nur dann informiert, wenn wir Kontakt zu ihnen aufgenommen haben. Als wir unsere ersten Informationsveranstaltungen als Mitbieter organisierten, mussten wir feststellen, dass die Mieter überhaupt nichts über den bevorstehenden Verkauf ihrer Wohnungen wussten. Und über die vollzogene Entscheidung haben sie erst durch die Debatte zwei Tage später im Bundestag erfahren können.
nd: Auf alle Fälle dürfte die Fair Wohnen bei den betroffenen Mietern bekannter sein als die TAG?
Bluhm: Das vermute ich auch. Unsere intensiven Gespräche vor Ort haben bestätigt, dass die TAG sich zu keinem Zeitpunkt im Rahmen des Bieterverfahrens, und bisher auch nicht danach, ihren Mietern überhaupt schon vorgestellt hätte.
nd: Sie haben von Anfang an befürchtet, dass eher renditeorientierte Finanzinvestoren sich an den neu aufgelegten Aktien des TAG-Konzerns gesundstoßen werden. Einer dpa-Nachricht von dieser Woche zufolge gingen 64 Prozent der neuen Papiere an Altaktionäre. Kündigt sich tatsächlich das Heuschrecken-Prinzip an?
Bluhm: Na klar. Die TAG hat insgesamt ihre Eigenkapitalfinanzierung börsennotiert aufgestellt. Zum Zeitpunkt vor dem Verkauf stand die TAG-Aktie bei 8,60 Euro. Ich gehe davon aus, dass sie jetzt steigen wird, weil das Betongold im Moment die einzige sichere Anlagemöglichkeit für Anleger überhaupt ist. Der TAG-Vorstand hat selbst bereits öffentlich verlautbart, in der Substanz der erworbenen DKB- als auch der TLG-Wohnungen sei noch so viel Werthaltigkeit drin, dass die Aktien steigen können und werden. Es werden auch vom Prospekt her Rentabilitäten versprochen, die freilich auf Kosten der Mieterinnen und Mieter gehen werden.
nd: Sie haben etwas nebulös in der Bundestagsdebatte im Zusammenhang mit dem TLG-Wohnungs-Verkauf von Machenschaften gesprochen und darauf verwiesen, dass egal, was draufsteht, immer Barclays drin sei. Übersetzen Sie den Lesern die Andeutungen?
Bluhm: Wenn die Barclays Bank die Transaktionsbeauftragte der Bundesregierung ist, darf man doch fragen, warum die Bundesregierung eine englische Bank auswählt. Und wenn ich die Emission zur Eigenkapitalaufstockung der TAG sehe und ausgerechnet die Barclays Bank dort mit Emissionen für die Erweiterung des Börsengangs beauftragt ist, gibt es einen Zusammenhang mit zumindest einem Geschmäckle.
nd: Inwiefern?
Bluhm: Wenn diejenigen, die das Objekt verkaufen, nach dem Transaktionshonorar, das sie von der Bundesregierung bekommen, noch mal ein zweites Geschäft machen dürfen, indem sie die Emission für die TAG betreuen, stimmt das mehr als bedenklich - vor allem vor dem Hintergrund, dass das alles aus den eingenommenen Mieten finanziert wird.
nd: Ist davon auszugehen, dass die LINKE als Partei im Bundestag und der Aufsichtsrat der FairWohnen-Genossenschaft das argwöhnisch im Blick behalten wird?
Bluhm: Die Medien sollten das übrigens durchaus auch. Aber natürlich werden wir von der Linkspartei und der Genossenschaft das weiter sehr genau beobachten. Wir werden auch den Börsengang beobachten. Und wir werden auch weiter das Gespräch mit unseren mehr als 500 Mitgliedern der Genossenschaft suchen, die in den TLG-Wohnungen wohnen, zu ihnen sehr intensiven Kontakt behalten - und werden sie natürlich in allen Fragen, die jetzt auf die Mieterinnen und Mieter zukommen, sehr intensiv beraten. Das im Übrigen gemeinsam mit dem Mieterbund, das haben wir mit der Führung des Mieterbundes vereinbart.