Die Zukunft armer Haushalte sieht düster aus - Trotz mehrerer Todesfälle: Bundesregierung ignoriert Bedarf von mehr Schutz vor Stromabschaltungen
Von Rainer Balcerowiak
Bei Strom- und Gasabsperrungen wegen Zahlungsrückständen ist die Bundesrepublik Spitzenreiter in der EU. Trotz einer entsprechenden EU-Richtlinie sieht Schwarz-Gelb keinen Bedarf für besseren Schutz einkommensschwacher Haushalte. Ob Energiekonzern oder Stadtwerk: Wer nicht zahlen kann, bei dem dreht sich nichts mehr.
Während Deutschlands Städte im vorweihnachtlichen Lichterglanz erstrahlen, sieht es für immer mehr Menschen buchstäblich düster aus. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 800 000 Haushalte, das entspräche einer Quote von zwei Prozent, in diesem Jahr wegen Zahlungsrückständen von der Strom- und/oder Gaszufuhr abgeschnitten wurden. Gegenüber 2011, als laut offiziellen Erhebungen 312 000 Haushalte von Sperrungen betroffen waren, wäre das mehr als eine Verdoppelung.
Rasant steigende Energiepreise führen dazu, dass viele Hartz-IV-Leistungsbezieher und zunehmend auch Geringverdiener nicht mehr in der Lage sind, die monatlichen Abschläge fristgerecht zu bezahlen. Dies führt für die Betroffenen zu entwürdigenden Lebensumständen und kann im Extremfall sogar Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Vor wenigen Tagen bestätigte der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Stefan Kapferer (FDP), in seiner Antwort auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Werner Dreibus (LINKE), dass es in der Folge von Stromabschaltungen auch zu mehreren Todesfällen gekommen ist, u.a. durch Abgase von Notstromaggregaten.
Bislang hat die Bundesregierung nichts unternommen, um der wachsenden Energiearmut Einhalt zu gebieten. Dabei wäre sie aufgrund einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2009 dazu verpflichtet. Dort heißt es: »Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden angemessener Schutz besteht. In diesem Zusammenhang definiert jeder Mitgliedstaat ein Konzept, (...) das sich unter anderem auf das Verbot beziehen kann, solche Kunden in schwierigen Zeiten von der Energieversorgung auszuschließen.« Doch im Eckpunktepapier der Bundesregierung zum Energiewirtschaftsgesetz von 2011 heißt es dazu lediglich: »Der gebotene Schutz vor Energiearmut für einkommensschwache Haushalte wird in Deutschland über das Sozialrecht sichergestellt. Dadurch ist eine zielgenaue, aber auch ausreichende Hilfe gewährleistet.«
Die Bundesregierung habe »keinen einzigen Schritte getan, um die EU-Richtlinie über ›schutzbedürftige Kunden‹ bei der Stromversorgung umzusetzen und so Stromsperren zu vermeiden oder wenigstens einzudämmen«, kritisiert die LINKE-Abgeordnete Caren Lay.
Für die Konzerne ist die Unterbrechung der Stromversorgung ein Leichtes. In der Strom-Grundversorgungsverordnung heißt es dazu im §19, Absatz 2: »Bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, ist der Grundversorger berechtigt, die Grundversorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen.« Als Untergrenze gelten dabei Außenstände von 100 Euro.
Die mögliche Übernahme von Stromschulden bei Hartz-IV-Leistungsbeziehern ist im Sozialgesetzbuch II nicht eindeutig geregelt. Zum einen ist festgelegt, dass Stromkosten aus dem Regelsatz zu finanzieren sind. Im § 22 Absatz 8 heißt es lediglich, dass die Jobcenter Schulden übernehmen können (nicht müssen), wenn »dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist«. Entsprechend uneinheitlich ist die Rechtsprechung zu dieser Frage. So entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Mai 2009, dass der Leistungsträger Stromschuldnern ein Darlehen gewähren muss, da Strombezug zum Mindeststandard gehöre. Dagegen kam das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zu der Auffassung, dass eine Stromabschaltung und die Verweigerung der Schuldenübernahme durch das Jobcenter selbst dann keine unangemessene Härte darstelle, wenn drei minderjährige Kinder zum Haushalt gehören. Diese könnten »zumindest für einen Übergangszeitraum hinreichend mit kalten Speisen ernährt werden«.
Obwohl das Problem der Stromabschaltungen aufgrund der Energiepreisentwicklung immer drängender wird, macht die Bundesregierung bislang keinerlei Anstalten, gesetzliche Regelungen - zum Beispiel zu Sozialtarifen für Geringverdiener und Hartz-IV-Leistungsbezieher - auf den Weg zu bringen. Modelle dieser Art werden in einigen Ländern und Kommunen ausprobiert. Doch oftmals reicht der von den Versorgern »freiwillig« gewährte Rabatt nicht einmal, um die Preissteigerungen zu kompensieren. Das gilt auch für »Energiesparberatungen«, die für ärmere Haushalte künftig kostenlos angeboten werden sollen.
Die Konzerne waschen ihre Hände in Unschuld, verweisen auf den hohen Anteil von Steuern und Abgaben an den Endverbraucherpreisen und die Verantwortung der Politik. Die wiederum weigert sich, Kosten für Strom und Gas als eigenständigen Grundbedarf analog zu den Kosten für die Unterkunft einzustufen. »In einer modernen Gesellschaft gehört Strom zur Grundversorgung, von der niemand ausgeschlossen werden darf. Deshalb müssen Stromsperren verboten werden«, fordert Lay. Doch dafür ist im Bundestag keine Mehrheit in Sicht. Und so wird Deutschland seine Spitzenposition in der EU, was Stromabschaltungen betrifft, in den kommenden Jahren wohl weiter ausbauen.
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