Niedrigzinsen bescheren Bundeshaushalt hohe zweistellige Milliardenprofite – diese wieder in den Euroraum investieren

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

21.01.2013 / linksfraktionsachsen.de, 21.01.2013

Die Finanzkrise hat die Kreditwürdigkeit vieler Staaten deutlich strapaziert, weil ihre Schulden durch Bankenrettungspakete und die Weltwirtschaftskrise deutlich gestiegen sind. Fünf der siebzehn Eurostaaten mussten den Euro-Rettungsschirm angehen, weil kaum jemand ihre Schuldtitel zu akzeptablen Konditionen kaufen mochte. Da es aber Unmengen von anlagesuchendem Kapital gibt, prügeln sich Investoren umso mehr um andere Anlageformen. Dazu gehören deutsche Staatsanleihen, denn der deutsche Staat gilt als vergleichsweise verlässlicher Schuldner ("sicherer Hafen“). Zudem profitiert dieser als Schuldner von den krisenbedingt niedrigen Leitzinsen der EZB und zahlt derzeit extrem niedrige Zinsen: Auf 10-jährige Staatsanleihen muss der Bund einen Zins von 1,5 Prozent zahlen, weniger als die Inflationsrate. Kurzfristige Staatsanleihen ließen sich sogar schon zu negativen Zinsen losschlagen.


Während die Krisenstaaten ächzen, freut sich der deutsche Staat also über historisch niedrige Zinsen. Das Volumen der Zinsvorteile lässt sich schwer beziffern, ist aber enorm: Allein der Bund hat ein Emissionsvolumen von jährlich 250 bis 300 Milliarden Euro, mit dem er neue Schulden aufnimmt und damit insbesondere fällig werdende Alt-Schulden ablöst/umschuldet (dazu kommen noch die Länder und Kommunen). Werden darauf nicht 2,5 Prozent sondern nur 1,5 Prozent Zinsen fällig, so ergibt dies einen Zinsvorteil von 2,5 bis 3 Milliarden Euro pro Jahr. Weil die mittlere Laufzeit von neu aufgelegten Bundesanleihen bei derzeit etwa sieben Jahren liegt, addieren sich die Zinsvorteile über die Jahre entsprechend weiter auf.

Will man die genauen Zinsvorteile berechnen, muss man nicht nur unterschiedliche Schuldentranchen betrachten, sondern auch noch makroökonomische Effekte berücksichtigen. Deswegen lassen sich die Zinsvorteile nicht exakt seriös beziffern. Abschätzungen deuten aber auf einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag hin. So beziffert die Forschungsabteilung der Allianz[1] die kumulierte Zinsentlastung für den deutschen Staat (also Bund, Länder, Kommunen) aus den Zinseffekten der Jahre 2010 bis 2012 auf schätzungsweise 67 Mrd. Euro. Andere Schätzungen liegen in ähnlicher Größenordnung: Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel[2] schätzt sie auf 68 Mrd. Euro, wovon 12 Mrd. Euro auf den "Sicheren Hafen-Effekt" zurückgehen. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle[3] kommt auf 50 bis 70 Mrd. Euro allein aus der Kreditaufnahme 2011, das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln[4] kommt auf 45 Mrd. Euro. Indem sich die Krise weiter hinzieht, dürften die Zinseffekte einen dreistelligen Milliardenbetrag erreichen.

Die Zins(ausgaben)gewinne aus dem "Sicherer Hafen-Effekt" stehen natürlich im Gegensatz zum Solidaritätsgedanken: am Elend in Griechenland, Portugal und Co. soll Deutschland nicht noch verdienen. Zwar stehen den Zinsausgabengewinnen die Finanzhilfen des Euro-Rettungsfonds gegenüber – doch diese sind keine Geschenke, sondern Kredite. Erst infolge von Zahlungsausfällen würde netto mehr Geld von Deutschland an die Krisenstaaten fließen als von diesen an Deutschland. Dazu dürfte aber immer mehr das von der Troika unter tatkräftigem Einfluss der Bundesregierung verordnete Spardiktat den Anstoß geben als hausgemachte Probleme. Schon aus rein ökonomischem Kalkül ist es vernünftig, dass Deutschland seine niedrigen Zinsen dafür nutzt, ein europäisches Investitionsprogramm mitzufinanzieren, anstatt die Eurozone durch eine darniederliegende Wirtschaft weiteren Schuldenschnitten entgegen taumeln zu lassen.

Hieran schließen sich zwei Politikmaßnahmen an:

  • Deutschland (und andere Staaten der Eurozone) sollten ihre bisherigen Zinsvorteile aus dem "Sicheren Hafen-Effekt" in einen Europäischen Fonds einzahlen, mit dem Investitionsprogramme in den Krisenstaaten finanziert werden.
  • Die Staaten der Eurozone sollen künftig in begrenztem Umfang gemeinsam verantwortete Anleihen auflegen ("Eurobonds"). Somit würden sich alle Eurostaaten künftig zu gleichen Kosten refinanzieren können.

[1] Claudia Broyer, Ann-Katrin Petersen, Dr. Rolf Schneider (2012): Auswirkungen der Eurokrise auf die deutsche Wirtschaft, Allianz Economic Research & Corporate Development, Working Paper 154

[2] Jens Boysen-Hogrefe (Juli 2012): Die Zinslast des Bundes in der Schuldenkrise: Wie lukrativ ist der „sichere Hafen“?, Kiel Working Paper 1780, Institut für Weltwirtschaft, Kiel

[3] Hubert Gabrisch (Januar 2012): Warum Deutschland seine Krisengewinne wieder in den Euroraum zurückfließen lassen muss, Institut für Wirtschaftsforschung Halle

[4] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/euro-krise-forscher-beziffern-deutschlands-zinsprofit-auf-45-milliarden-euro-a-811309.html