Buchtipp: 75 Jahre "Stadt des KdF-Wagen"
"Dank dem genialen Konstrukteur Ferdinand Porsche." (A. Hitler, 26. Mai 1938)
Volkswagen wird 75 Jahre alt. Absatzrekorde, schicke Autos, satte Profite, zufriedene Arbeiter.
Wer denkt da an einen NS-Musterbetrieb, an „Kraft durch Freude“, an Zwangsarbeit und KZ-Sklaven?
26. Mai 1938: Grundsteinlegung durch Hitler im Beisein von Porsche, Piëch und 70.000 fanatischen „Volksgenossen“. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter der besetzten Länder, Kriegsgefangene und KZ-Sklaven müssen Minen, Flugzeug- und Raketenteile sowie Kraftfahrzeuge produzieren und munitionieren so die faschistische Wehrmacht für den mörderischen Feldzug. Für die Porsches und Piëchs die Begründung des Milliardenvermögens, für die zur Arbeit gezwungenen 20.000 Männer und Frauen ein Albtraum, den viele nicht überleben.
Nach der Befreiung vom Faschismus zunächst „herrenlos“, gehört das Unternehmen 75 Jahre nach der pompösen Gründung dem Porsche-/Piëch-Clan – geniale Konstrukteure von Geld und Macht. Gelegentlich versucht die Familie mit Spenden von der Herkunft des Reichtums abzulenken. Auch darüber schreiben die Autorinnen und Autoren in diesem Buch, das wegen der Bedeutung von Volkswagen weit mehr ist als Lokalgeschichte. Volkswagen schickt sich an, das weltgrößte Automobilunternehmen zu werden und schreibt selbst: „Die Volkswagen AG bietet mit ihrer Geschichte Identifikation für Kunden und Mitarbeiter weltweit.“ Also wollen Stadt und Unternehmen dieses Jubiläum mit einem Blick in die Zukunft begehen – nicht mit einem Blick zurück, denn, so eine Sprecherin der Stadt, „die Gründungsgeschichte im Dritten Reich ist durch wissenschaftliche Studien bereits gut erforscht.“
Die Autorinnen und Autoren beleuchten die Geschichte der „Stadt des KdF-Wagen“, sie spüren der durch die Nazis begründeten „klassenlosen Volks- und Betriebsgemeinschaft“ nach und beschreiben Kontinuitäten, durch die aus der „Stadt des KdF-Wagen“ dieses Wolfsburg wurde. Auch bei Volkswagen gab es im April 1945 keine „Stunde Null“. Ein ehemaliger französischer Zwangsarbeiter schreibt am 12. April 1945 in sein Tagebuch: „Die Deutschen sehen gar nicht so niedergeschlagen aus. Sie haben sie (die Amerikaner) erwartet, und die sind ihnen lieber als die Roten.“ Da verwundert es erst 75 Jahre später, dass der erste langjährige Betriebsratsvorsitzende Hugo Bork ebenso ein Mitglied der NSDAP war wie der erste langjährige Bevollmächtigte der IG Metall, Bernhard Tyrakowski. Die Feststellung von Otto Brenner, dem späteren Vorsitzenden der IG Metall, über die „spezifisch nationalsozialistische Ideologie der Volks- und Betriebsgemeinschaft“ für das neue Betriebsverfassungsgesetz aus den 1950er Jahren wird, bezogen auf das NS-Projekt „Volkswagen“, in seiner personellen und sachlichen Kontinuität nachgezeichnet bis zum Personalvorstand und Regierungsberater Peter Hartz und dem Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert, die nur noch gemeinsame Interessen kannten: „Man beißt nicht in die Hand, die einen füttert!“
Die ungebrochene Verehrung von Porsche ist dem Mythos vom „genialen Konstrukteur“ geschuldet: Porschestraße, Porschestadion, Porscheschule. Porschdenkmal – alles das gibt es noch in Wolfsburg. Kann sich eine Legende so lange halten und weltweit ausdehnen, weil sie Teil der Marketing-Strategie ist?
Autorinnen und Autoren:
Christiane Berger, Andreas Guidi, Alfred Hartung, Mechthild Hartung, Hartwig Hohnsbein, Otto Köhler,
Stephan Krull, Betty Rannenberg, und Pia Zimmermann.
Herausgeber: Stephan Krull, März 2013, Ossietzky-Verlag, ISBN 978-3-944545-01-1 | Preis 14,95 Euro
Aus dem Inhalt:
Stephan Krull Die Geschichte als Gegenwartsproblem: Kontinuitäten und Brüche in der Geschichte von Volkswagen und der Autostadt Wolfsburg
Stephan Krull Die Vergangenheit geht nicht vorbei: VW als Propaganda- und Rüstungsprojekt der Nazis
Christiane Berger Die nationalsozialistische »Volks«-Propaganda und das Tabu um die Verantwortung Ferdinand Porsches
Stephan Krull Eine Chronologie von Porsche und Volkswagen
Andreas Guidi In guten Händen: Kontinuität bei Volkswagen im Spiegel von Kurzbiografien
Stephan Krull Das Entschädigungsdrama: 50 Jahre Verweigerung der historischen und moralischen Verantwortung!
Hartwig Hohnsbein Aufarbeitung der Geschichte der Wolfsburger NS-Vergangenheit und die Rolle Ferdinand Porsches
Achilles Franke Wie aus der »Stadt des KdF-Wagen« Wolfsburg wurde
Otto Köhler Das Volkswagenprojekt, Porsche und der Nationalsozialismus
Betty Rannenberg Umbenennung abgelehnt
Mechthild Hartung Porsche ist kein taugliches Leitbild
Alfred Hartung Porsche-Verehrung und Rezeption nach 1945 - »Die kleinen dunklen Schatten in seinem Lebenslauf«
Stephan Krull Das VW-Gesetz und die zweite Enteignung - Wie die Porsches zu »ihrem« Vermögen kamen
Pia Zimmermann Geschichte und Verantwortung
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