Ohne Umfairteilen kein Politikwechsel! Ein Bündnis, ein Kongress und Aufgaben für die Gewerkschaften
Von Ralf Krämer
Vor gut einem Jahr, am 10. Mai 2012, wurde in Berlin das bundesweite Bündnis "Umfairteilen - Reichtum besteuern"gegründet. Erstmals verbünden sich hier große Sozialverbände, Gewerkschaften, Attac, Campact, migrantische Organisationen, Jugendorganisationen, und weitere Initiativen (z.B. Vermögende für eine Vermögensabgabe). Kernforderungen sind die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, eine einmalige Vermögensabgabe sowie der Kampf gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung. Die Oppositionsparteien unterstützen das Bündnis, mehr oder auch weniger aktiv, sind aber nicht im Trägerkreis.
Inzwischen wurden zwei bundesweite Aktionstage organisiert, am 29. September 2012 und am 13. April 2013, an denen sich etwa 40.000 Menschen in etwa 100 Orten in ganz Deutschland beteiligt haben. In einigen der vielen regionalen Bündnisse sind auch Gruppen beteiligt, die bundesweit nicht Träger der Initiative sind, sei es die Diakonie oder einige DGB-Regionen. Bundesweit sind von den Gewerkschaften bisher nur ver.di, die GEW und NGG im Bündnis.
Umverteilen als politische Aufgabe der Gewerkschaften
Für alle Gewerkschaften ist klar: der Einsatz für Verteilungs- und Steuergerechtigkeit ist ein politischer Schwerpunkt neben anderen (Gute Arbeit, Mindestlohn, Europa, Rente u. a.). Und selbstverständlich steht in der täglichen Arbeit die unmittelbare Interessenvertretung der Mitglieder, stehen die Branchen- und Tarifpolitik, im Vordergrund. Aber auch eine aktive politische Interessenvertretung und Mobilisierung ist unverzichtbar, denn die Rahmenbedingungen für die betrieblichen und tariflichen Durchsetzungsmöglichkeiten sind in hohem Maße politisch gesetzt.
Gerade in den Dienstleistungsbereichen haben sich verschiedene Formen atypischer und prekärer Beschäftigung gebildet und der verstärkte Druck auf Erwerbslose hat die Ausweitung des Niedriglohnsektors noch verstärkt. Diese Entwicklungen sind politisch gewollt und gefördert und müssen dementsprechend auch politisch bekämpft werden. Denn gerade hier ist es in vielen Bereichen kaum noch möglich tariflich entgegenzuwirken. Umfairteilen in der Einkommensentwicklung erfordert einen gesetzlichen Mindestlohn, gesetzliches Equal Pay, erleichterte Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen, die Einschränkung von Befristungsmöglichkeiten, Überführung von Minijobs in regulär sozialversicherte Beschäftigung, gesetzliche Regelungen gegen Scheinselbstständigkeit und Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werkverträgen.
Von besonderer Bedeutung sind die finanzpolitischen Rahmenbedingungen der öffentlichen Hand. In den Bereichen des öffentlichen Dienstes, der Daseinsvorsorge, des Bildungswesens und sozialer Dienstleistungen stellen die eingeschnürten finanziellen Handlungsmöglichkeiten ein zentrales Hindernis dar, das für bessere Arbeitsbedingungen und Einkommen durchbrochen werden muss. Herbeigeführt wurde diese Lage durch Steuersenkungen zugunsten von Unternehmen und hohen Einkommen/Vermögen sowie durch die Einführung der Schuldenbremse. Im Gesundheitswesen (z. B. Pflege) sind die Auswirkungen von Sozialabbau und Kostensenkung zu Lasten der Beschäftigten und Betroffenen zu spüren.
Es ist klar, dass ver.di und GEW besonders interessiert an einer besseren Finanzausstattung des Sozialstaats sind. Aber auch die Beschäftigten in allen anderen Bereichen haben ein vitales Interesse an guten öffentlichen und sozialen Leistungen und Einrichtungen, an guter sozialstaatlich organisierter und finanzierter Gesundheitsvorsorge, Bildung und Kultur, an guten Straßen, öffentlicher Sicherheit, der Förderung sozialer Wohnungsversorgung und dem ökologischen Umbau. Und sie haben ein hohes Interesse daran, dass diese Aufgaben sozial gerecht finanziert werden.
Es ist deshalb gut und wichtig, dass der DGB Bundesvorstand seinen Beschluss zu den Anforderungen für einen Politikwechsel im April um den Punkt „Finanzierung eines handlungsfähigen Staates“ ergänzt hat. Dort werden auch die Wiedereinführung einer Vermögensteuer sowie eine einmalige Vermögensabgabe und weitere Maßnahmen für eine höhere und effektivere Besteuerung von großen Erbschaften, hohen Einkommen, Gewinnen und Kapitalerträgen sowie Finanztransaktionen gefordert. Es ist notwendig, dass die Gewerkschaften insgesamt in diesen Fragen aktiv werden und politischen Druck aufbauen, weil nur dann ein Politikwechsel im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer eine Chance hat, wie auch immer die Bundestagswahl ausgeht.
Widerstände und Einwände gegen Vermögensbesteuerung
Alle drei Oppositionsparteien im Bundestag haben etliche der gewerkschaftlichen Forderungen in ihren Wahlprogrammen aufgegriffen. Aber wie weit das nach den Wahlen auch politisch umgesetzt wird, steht auf einem anderen Blatt. Auch in SPD und Grünen gibt es weiterhin Vorbehalte und Gegner einer ernsthaften Vermögensbesteuerung. Zudem ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass auch in Zukunft CDU/CSU oder FDP an einer Koalition beteiligt sein werden. Dann ist von den bisherigen Oppositionsparteien zu fordern, dass sie auch unter diesen Bedingungen konsequent ihre Forderungen aufrecht erhalten.
Die Wirtschaftsverbände und ihre Lobbyorganisationen wie die „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ sind auf der Gegenseite nicht tatenlos und fahren bereits jetzt intensive Kampagnen gegen höhere Steuern und insbesondere gegen die Vermögensbesteuerung. Ein häufig - auch in den Gewerkschaften - vorgebrachter Einwand richtet sich gegen die Besteuerung von Betriebsvermögen. Es wird die Befürchtung geäußert, dass damit die Investitionsfähigkeit oder sogar die Substanz und der Bestand von insbesondere kleineren und Familienunternehmen gefährdet werden könnten.
Doch tatsächlich handelt es sich bei „Betriebsvermögen“ im steuerlichen Sinne überwiegend nicht um kleinere Familienunternehmen, sondern um hohe Anteile an großen Aktiengesellschaften und GmbHs. Betriebsvermögen in diesem Sinne macht zwei Drittel der Millionärsvermögen aus.
Betriebsvermögen von der Besteuerung auszunehmen würde deshalb bedeuten, die wirklich Reichen, die Multimillionäre und Milliardäre, weitestgehend von der Vermögensbesteuerung zu befreien. Das wäre aus Gerechtigkeitsgründen unvertretbar und würde die Einnahmen aus der Besteuerung auf einen Bruchteil reduzieren.
Es würde zudem ein enormes Steuerschlupfloch für alle Reichen produzieren, denn sonstiges Privatvermögen kann relativ leicht in Betriebsvermögen umgewandelt werden, zum Beispiel indem Immobilienvermögen in eine zu deren Verwaltung gebildete GmbH übertragen wird. Dies hat in Bezug auf die Erbschaftsteuer, bei der Betriebsvermögen weitgehend von der Besteuerung ausgenommen ist, auch schon der Bundesfinanzhof bemängelt. Er hält diese Regelungen für verfassungswidrig.
Es ist deshalb notwendig, grundsätzlich alle Arten großer Vermögen zu besteuern. Durch Freibeträge und eine geeignete Gestaltung der Vermögensteuer kann aber eine übermäßige Belastung von kleinen und mittelständischen Unternehmen vermieden werden. Bei einem Freibetrag von zwei Millionen Euro dürften 98 Prozent der im Unternehmensregister erfassten 3,6 Millionen Unternehmen in Deutschland aufgrund ihres geringeren Werts nicht betroffen sein.
Sowohl die Vermögensteuer als auch die Vermögensabgabe können die Steuerpflichtigen in der Regel problemlos aus den Erträgen begleichen. Zumal der besteuerte Wert der Unternehmen im vereinfachten Ertragswertverfahren des Bewertungsgesetzes auf Basis ihrer Erträge ermittelt wird. Eine Besteuerung der Substanz von Unternehmen kann nur auftreten, wenn in schlechten Jahren kein oder nur sehr wenig Gewinn erzielt wird. In einer solchen Situation könnten großzügige Regelungen zu mehrjährigen Stundungen der Steuerschuld greifen. Eine Existenzgefährdung von Unternehmen durch die Steuer kann so ausgeschlossen werden.
Steuersenkungen haben Arbeitsplätze vernichtet, nicht geschaffen
Generell wird behauptet, dass eine höhere Besteuerung von Unternehmen zu Investititonsstopp und Arbeitsplatzabbau führen, also niedrigere Steuern und höhere Nettogewinne zu mehr Investitionen und Wirtschaftswachstum. Mit diesen Begründungen werden seit vielen Jahren die Staaten in Steuersenkungswettläufe getrieben. Nutznießer sind insbesondere international tätige Konzerne, die ihre Gewinne in Niedrigsteuerstaaten verschieben, und Aktionäre, die viel zu wenig Steuern zahlen. Der Großteil der Gesellschaft muss hingegen höhere Steuern zahlen und bekommt dafür zunehmend schlechtere öffentliche Leistungen. In den letzten Monaten ist endlich auch in der OECD und den EU-Staaten die Einsicht gewachsen, dass mindestens die Exzesse der legalen Steuervermeidung ebenso wie der illegalen Steuerflucht und Steuerhinterziehung viel entschiedener als in der Vergangenheit bekämpft werden müssen.
Seit 1996 sind die durchschnittlichen Unternehmenssteuersätze in der EU von über 35 Prozent auf etwa 23 Prozent gesunken. Deutschland ist in diesem Steuersenkungswettlauf mehr Täter als Opfer. Die tatsächliche Steuerbelastung von Unternehmens- und Kapitaleinkommen liegt in Deutschland nach Angaben der EU mit 22 Prozent um mehrere Punkte unter dem EU-Durchschnitt. Die Besteuerung von Besitz und Vermögen ist nur halb so hoch wie im Durchschnitt der OECD. Doch massiv steigende Gewinne bei sinkender Steuerbelastung waren verbunden mit einer schwachen Entwicklung der realwirtschaftlichen Investitionen. Starkes Wachstum zeigten nur die „Finanzinvestitionen“ in Beteiligungen und Wertpapiere.
Investitionen in Arbeitsplätze nehmen nur dann zu, wenn die zahlungsfähige Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen steigt oder große Innovationsschübe die Wirtschaft antreiben. Staatliche Kürzungspolitik in Folge geringer Steuereinnahmen schadet der Wirtschaft und Beschäftigung: kurzfristig durch Personalabbau und Nachfrageausfall in Folge geringerer öffentliche Ausgaben und Sozialleistungen, längerfristig wegen schlechter Infrastruktur und fehlender Qualifikation der Bevölkerung.
Während bei uns die Steuer- und Abgabenquote, also der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt, unter den Werten aus den 1970er Jahren liegt, gelingt es den skandinavischen Ländern mit einer hohen Quote einen leistungsfähigen öffentlichen Sektor zu finanzieren, mit erheblich mehr Beschäftigung, weniger Ungleichheit und weniger Arbeitslosigkeit als in Deutschland. Kein Wunder, dass diese Länder bei internationalen Vergleichen - etwa beim Bildungssystem - immer wieder hervorragend abschneiden.
Fazit: Umfairteilen kostet nicht Arbeitsplätze, sondern schafft Arbeitsplätze. Wir können damit hunderttausende dringend benötigte zusätzliche Beschäftigte bezahlen: Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Beschäftigte in Krankenhäusern und der Altenpflege, in der Bauwirtschaft für bessere Straßen, sanierte und wärmegedämmte Gebäude und viele andere mehr.
Aufklärung und Mobilisierung sind nötig
Auch viele Kolleginnen und Kollegen sind skeptisch gegenüber Forderungen nach einer stärkeren Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen. Doch dahinter steht oft ein falsches Bild, worum es eigentlich geht und wie die realen Verteilungsverhältnisse sind. Es geht nicht um die Einkommen von Facharbeitern oder um das selbstgenutzte Haus oder das aus eigener abhängiger Arbeit erworbene Vermögen. Ver.di schlägt einen Freibetrag von einer Million Euro vor - pro Person! Und bei der Vermögensabgabe zusätzlich einen erhöhten Freibetrag für Betriebsvermögen von zwei Millionen Euro. Dabei geht es um das Nettovermögen, also nach Abzug aller Schulden. Wir fordern also eine Millionärsabgabe (vgl. Vermögensabgabe und Vermögensteuer - Positionen und Forderungen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, ver.di Wirtschaftspolitische Informationen 5/2012).
Dennoch kann durch eine solche Besteuerung der Millionenvermögen richtig viel Geld für den Sozialstaat hereinkommen, zig Milliarden Euro jährlich. Und zwar, weil der Reichtum in Deutschland so unglaublich ungleich verteilt ist. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung, das sind in etwa die Millionäre, haben alleine ein Drittel des gesamten Vermögens, etwa 3 Billionen Euro. Um die geht es. Und auch bei denen geht es wieder vor allem um die besonders Reichen. Das reichste Tausendstel, die oberen Zigtausende sozusagen, haben alleine fast ein Viertel des Nettovermögens, im Durchschnitt geht es hier um über 30 Millionen Euro pro Person.
Solcher Reichtum, der der Multimillionäre und Milliardäre, stammt nicht aus eigener Arbeitsleistung, sondern aus den Gewinnen großer Unternehmen. Erarbeitet haben ihn die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben. Wenn wir fordern, diesen Reichtum zu besteuern, dann fordern wir damit nur, dass ein etwas größerer Teil dessen, was die Beschäftigten erarbeitet haben, der gesamten Gesellschaft zugute kommt und nicht nur einer kleinen Minderheit von Reichen und Superreichen. Darüber müssen wir aufklären und die Diskussion führen.
Am 24.-26 Mai 2013 findet dazu in der Technischen Universität Berlin ein großer Kongress „Umverteilen. Macht. Gerechtigkeit“ statt, veranstaltet von Organisationen und Stiftungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und ver.di Wirtschaftspolitik gibt eine neue Broschüre „Fair teilen! Höhere Löhne, Steuergerechtigkeit, Sozialstaat stärken“ heraus, die auf www.wipo.verdi.de bestellt und heruntergeladen werden kann. Auch ver.di-tv hat ein gutes neues Video dazu gemacht. Gemeinsam im Bündnis Umfairteilen sammeln wir Unterschriften für den Aufruf „Höchste Zeit zum Umfairteilen“. Die Unterschriftenlisten werden im Wahlkampf an die Parteien und später an die Beteiligten an den Koalitionsverhandlungen übergeben.
Das Bündnis Umfairteilen plant vor der Bundestagswahl 2013 weitere Aktionen. Es wird sich bei den in mehreren Städten geplanten gewerkschaftlichen Demonstrationen am 7. September einbringen. Am 14. September sollen weitere Aktionen stattfinden, eine große Demonstration in Bochum und wahrscheinlich eine Demonstration mit Menschenkette in Berlin.
Die Gewerkschaften und das Bündnis Umfairteilen sind gefordert, den Druck aus der Gesellschaft für mehr Steuergerechtigkeit zu mobilisieren. Die Verteilungsfrage ist wahrscheinlich der zentrale Unterschied, der zwischen den Parteien im Bundestagswahlkampf deutlich wird und an dem die Notwendigkeit eines politischen Wechsels besonders klar begründet werden kann. Ohne eine andere Verteilungs- und Steuerpolitik wird es keinen Politikwechsel zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben. Die gemeinsame Aktivität in breiten Bündnissen (wie dem Umfairteilen-Bündnis) kann zugleich die gesellschaftliche Vernetzung und den politischen Einfluss der Gewerkschaften stärken.
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