Billiges Eurogeld: Des Sparers Leid - des Euro Freud

Von Rudolf Hickel

31.05.2013 / www.2.alternative-wirtschaftspolitik.de, 31.05.2013

Eine neue Schreckensmeldung zur Politik der Europäischen Zentralbank macht die Runde. Bisher waren es die Ängste vor einer Hyperinflation, die trotz der Geldschwemme nicht erkennbar ist. Jetzt wird vor anderen Kollateralschäden gewarnt. Der von der Europäischen Zentralbank gesteuerte Leitzins, der derzeit mit 0,5 Prozent knapp vor der Nullverzinsung liegt sowie der Aufkauf von Wertpapieren gegen Liquidität für die Banken treiben die Sparerinnen und Sparer in die Verlustzone. Allein in Deutschland werden nach einer Berechnung der Dekabank die realen Vermögensverluste auf über 14,3 Milliarden Euro geschätzt. Die nominalen Zinserträge aus niedrigen Zinssätzen gleichen die Kaufkraftverluste nicht aus. Von der fiskalischen Repression, der Vermögensschrumpfung durch zu niedrige Zinsen gegenüber der Inflationsrate ist die Rede.

Die negativen Wirkungen reichen tief in die psychologische Verfassung deutscher Vermögensbildner. Die EZB gerät unter den Verdacht, die genetisch eingepflanzte Spartugend durch Vermögensenteignung mies machen zu wollen. Dringend ist Aufklärungsarbeit über die Gründe und gesamten Wirkungen dieser geldpolitisch gewollten Liquiditätsschwemme erforderlich. Zählen die Sparerinnen und Sparer trotz vorübergehender Vermögensverluste am Ende nicht zu den Gewinnern dieser unkonventionellen EZB-Politik?

Die Euro-Notenbank hatte bereits zu Zeiten von Jean-Claude Trichet im Oktober 2010 begonnen, die Geldmärkte zu fluten. Mario Draghi schob Milliarden schwere Programme zum unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen aus Krisenländern auf den Märkten nach. Ende 2012 befanden sich Staatsanleihen im Umfang von 524 Mrd. Euro in der EZB-Bilanz. Oftmals wird übersehen, dass die Anleihekäufe nur vorgenommen werden, wenn die Krisenstaaten sich der Austeritätspolitik des Euro-Rettungsfonds unterziehen.

Für den Abschuss der Liquidität werden die Namen von martialischen Kriegsgeräten wie das schwere Geschütz vom Typ „Dicke Bertha“ oder Panzerabwehrwaffe „Bazooka“ herangezogen. Der Streit um diese Politik ist fundamental und heftig. Am 11./ 12. Juni wird vor dem Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit der Geldschwemme aus der Sicht des deutschen Grundgesetzes verhandelt. Mit ihrem Schriftsatz stellt sich die Deutsche Bundesbank provokant gegen diese Liquiditätspolitik. Von Tabubrüchen zugunsten künftiger Inflation und vor allem des Verlustes der Unabhängigkeit von der Politik ist die Rede.

Der Streit um die monetäre Wahrheit lässt sich einfach entschlüsseln. Die Euro-Bank-Kritiker haben die Herausforderung an eine Geldpolitik unter den Bedingungen einer für Krisen anfälligen, ja durch den Zusammenbruch bedrohten Währungszone bis heute nicht begriffen. Ausgegangen wird von einer nationalstaatlich abgegrenzten stabilen Währungs- und Geldordnung. Im Mittelpunkt steht ein ultrastabiles Bankensystem, das sich brav als Erfüllungsgehilfe in die Umsetzung geldpolitischer Ziele einbinden lässt. In dieser modellierten Welt gelingt die Transformation monetärer Impulse in die Produktionswirtschaft einigermaßen. Ganz anders sind die Bedingungen der Notenbank in der Zuständigkeit für das Euroland. Zum Ziel Geldwertstabilität tritt eine für die Deutsche Bundesbank unbekannte Aufgabe hinzu: Sie muss die Finanzmärkte innerhalb des Eurolandes überhaupt erst sichern. Denn stabile Preise sind nur in einem stabilen Währungsraum, den es zu schaffen gilt, zu garantieren. Denn die Geldmärkte für Banken, der Interbankenmarkt im Euro-Raum, funktionieren immer noch nicht. Die EZB sieht sich gezwungen, in diese Lücke einer intakten Geldversorgung zu springen.

Gegen das gespaltene Euro-Zinsgebiet sowie die spekulativ übertriebenen Renditen für Staatsanleihen in Krisenländern ist die Euro-Notenbank recht erfolgreich angetreten. Dabei dienen die bisherigen Programme zum Kauf von Wertpapieren auch der Stärkung der Kreditvergabe der Banken an die Unternehmen, also der Produktionswirtschaft. Diese monetäre Notpolitik hat durchaus Erfolge bei der Stabilisierung der Finanzmärkte. Allerdings kauft die Euro-Zentrale auch nur Zeit. Endlich ist die Politik gefordert, zum Abbau der realwirtschaftlichen Spaltung ihren Beitrag zu leisten. Im Mittelpunkt der Sofortmaßnahmen steht der Verzicht auf die elende Austeritätspolitik als Gegenleistung für Finanzhilfen aus dem Rettungsfonds. Ohne diese fiskalische Komplettierung wird am Ende auch die expansive Geldpolitik an ihre Grenzen stoßen. Je eher eine das Euroland gestaltende Politik eingeleitet wird, um so eher kann sich die EZB aus ihren Notoperationen zurückziehen. Schließlich wäre mit einer Stärkung der Wirtschaftskräfte auch der Abschied aus der Niedrigzinspolitik möglich.

Die Politik zur Bekämpfung ökonomischer Krisen und Massenarbeitslosigkeit sowie zur Stabilisierung des Währungssystems rückt die aktuellen Nöte der Sparerinnen und Sparer in ein anders Licht. Gegenüber den aktuellen Vermögensverlusten durch diese Liquiditätsoffensive steht der Preis, der bezahlt werden müsste, wenn die Notenbank auf die Notmaßnahmen verzichten würde. Am Ende wären selbst die derzeit real sinkenden Ersparnisse insgesamt nicht mehr sicher. Denn der Euro-Zusammenbruch führte mit Gewissheit zu massiven Vermögensverlusten durch einen unvermeidbaren Währungsschnitt. Auch beim derzeitigen Leitzins mit 0,5% ist die Alternativrechnung wichtig. Würde die Notenbank das Bankensystem gegen Sicherheiten nicht kurzfristig mit Liquidität quasi zum Nulltarif versorgen, müsste mit einem ökonomischen Absturz der gesamten Eurozone gerechnet werden. Die dadurch erzeugten Kosten schlagen sich in massiven Einkommensverlusten sowie steigender Arbeitslosigkeit durch Arbeitsplatzabbau nieder. Von einer stabilen Eurozone auf der Basis eines ökologisch fundierten Wirtschaftswachstums landen die Sparerinnen und Sparen nach vorübergehenden Vermögensverlusten mittelfristig auf der Gewinnerseite.