Wachstumsrhetorik und Lohn-Dumping - Die deutsch-französische Initiative
Von Steffen Stierle
Seit dem letzten Machtwechsel in Frankreich sind die deutsch-französischen Beziehungen ins Wanken geraten. Nachdem »Merkozy« als eingespieltes Team in den ersten Jahren der Krise die Geschicke der EU auf der politischen Ebene konsequent dominiert haben, kam es nach dem Wahlerfolg von François Hollande zu einer Abkühlung der Beziehungen.
Wahrgenommen werden Angela Merkel und der französische Staatspräsident seither als die beiden Pole verschiedener Strategien. Die eine will Haushaltskonsolidierung, der andere will Wachstum. Nun gibt es wieder eine Konstellation, in der gemeinsames Handeln für beide strategisch sinnvoll ist. Hollande muss aus innenpolitischen Gründen dringend etwas »Wachstumsorientiertes« auf EU-Ebene durchsetzen. Merkel sieht sich damit konfrontiert, ihr derzeit wichtigstes europapolitisches Projekt – den Pakt für Wettbewerbsfähigkeit – ohne starke Verbündete nicht durchsetzen zu können.
In der vergangenen Woche haben nun beide Regierungschefs ein gemeinsames Konzept vorgelegt, das voraussichtlich die Verhandlungen und Ergebnisse des EU-Gipfels Ende Juni bestimmen wird. Beide bekommen das, was sie brauchen: Hollande die Wachstums-Rhetorik, Merkel die Unterstützung für die nächsten Schritte des neoliberalen Umbaus der EU. Zudem treiben sie im beidseitigen Interesse eine weitgehende Integration der Eurozone voran, bei der ein »Bröckeln am Rand« der EU bewusst in Kauf genommen wird.
Hohle Wachstumsrhetorik und Umbau der Governance-Struktur
Die Kernbotschaft des ersten Abschnittes des Konzeptes lautet: »Wir werden aktiv für Wachstum und Beschäftigung.« Gefordert werden eine Jugendbeschäftigungsgarantie, für die 6 Mrd. Euro EU-Mittel bereitgestellt werden sollen, eine Förderung privater Investitionen durch Strukturfondsmittel und die Europäische Investitionsbank und ein »Pakt für Wachstum und Beschäftigung« mit einem Volumen von 120 Mrd. Euro. All das ist längst beschlossen und zudem chancenlos. Es wird nichts nutzen, allen Jugendlichen eine Stelle zu garantieren, wenn mehr als 60% arbeitslos sind und die wirtschaftlichen Perspektiven mau aussehen. Die EU-Mittel sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei den Investitionen handelt es sich in vielen Fällen um schlichte buchhalterische Umwidmungen bereits bestehender, wirkungsarmer Mittel und Konzepte.
Es geht also um schlichte Symbolpolitik, die die Strategie der EU gegen die Krise als ausgewogen erscheinen lassen soll, die aber nicht mehr ist als heiße Luft. Ergänzt wird die Neuauflage bereits getätigter kleiner Zugeständnisse um ein allgemeines Bekenntnis zum EU-Binnenmarkt und dem globalen Freihandel, also dem Grundpfeiler der neoliberalen Weltwirtschaft.
Weitere Vorschläge beziehen sich auf den Umbau der EU-Governance-Struktur, auf Pläne zur »Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion«. Die einheitliche Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB wird begrüßt, auch wenn diese Kompetenzübertragung zugunsten der Zentralbank juristisch mehr als bedenklich ist und in großem Stil demokratische Kontrolle abgebaut wird.
Befürwortet wird auch die direkte Banken-Rekapitalisierung durch den ESM. Hier macht Merkel ein Zugeständnis. Zwar wurde dieser Mechanismus auf Bestreben von Italien und Spanien hin bereits im Juni 2012 beschlossen, dennoch bremst die Bundesregierung seither bei jeder Gelegenheit und versucht, dieses Instrument möglichst schwach zu gestalten.
Die direkte Banken-Rekapitalisierung liegt nicht unbedingt im »deutschen Interesse«. Sie würde zu einer Verschiebung der Zinslast zu Ungunsten Deutschlands und zugunsten der »Programmländer« in Südeuropa führen. Andererseits wird das Prinzip der permanenten Bankenrettung zu Lasten der SteuerzahlerInnen durch die direkte Rekapitalisierung weiter gestärkt, da auch die SteuerzahlerInnen aus anderen Ländern stärker in die Pflicht genommen werden, wenn eine »systemrelevante Bank« ins Wanken gerät. Dies wiederum ist durchaus auf der Linie deutscher Europapolitik.
Insgesamt zielt die Bankenunion darauf ab, die permanente Umverteilung von Steuergeldern in die Kreditinstitute aufrecht zu halten. Diese Verteilungspolitik genießt im Kreise der EU-Staats- und Regierungschefs breite Zustimmung. Nicht zuletzt die deutsch-französische Initiative macht deutlich, dass sich daran auch durch den Wahlerfolg der Sozialisten in Frankreich nichts geändert hat.
Ausführlich ausgebreitet wird der Vorschlag zur Einführung eines Indikatorensets, mit dem »Defizite und Schwachstellen in der Wirtschaft« aufgezeigt werden sollen. Unter anderem geht es um Arbeitsmärkte, Rentenpolitik und Produktmärkte. Dieses Indikatorenset ist so angelegt, dass es eine konkretere Ausgestaltung des Wettbewerbspaktes darstellen dürfte.
Später im Text bekennen sich die beiden Regierungen auch ganz direkt zum Pakt. »Vertragliche Vereinbarungen für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum« sollen abgeschlossen werden. Auch das schon länger diskutierte eigenständige Budget der Eurozone erfährt nun offiziell deutsch-französische Unterstützung. Die Idee: Ein Fonds soll geschaffen werden, aus dem jene Länder belohnt werden, die die vertraglichen Vereinbarungen unterzeichnen. Insbesondere für Länder in akuten finanziellen Schwierigkeiten – davon gibt es derzeit viele in der Eurozone – wird so der Druck erhöht, die neoliberale Doktrin der EU-Kommission zu akzeptieren.
Wird dieser Vorschlag so beschlossen, dann läuft das künftig wie folgt: Über die Indikatoren wird aufgezeigt, wo es Reformbedarf gibt um die Wettbewerbsfähigkeit zu maximieren. Die Länder, bei denen »Schwachstellen« entlarvt wurden, sollen dann verbindliche Reformverträge mit der EU-Kommission abschließen. Die Wettbewerbsfähigkeit soll durch Lohnsenkungen, den Abbau von Arbeitnehmerrechten, Marktliberalisierung und unternehmerfreundliche Steuersysteme immer weiter erhöht werden.
Demokratische Standards werden weitgehend ausgehebelt. Regierungen und EU-Kommissionen schließen Verträge ab, Parlamente werden zu Abnick-Gremien degradiert. Sie können ja oder nein sagen, aber wichtige Politikfelder nicht mehr frei gestalten. Die Beschneidung parlamentarischer Gestaltungsfreiheit ist im gesamten Prozess der Europäischen Integration angelegt und wurde durch diverse Kompetenzübertragungen »nach Brüssel« im Rahmen der Krisenpolitik in eine neue Dimension gehoben. Der Wettbewerbspakt schreibt diese Entwicklung fort.
Die Gefahr weiteren Lohn-Dumpings
Ferner bekennen sich die Regierungen zu den sozialen Zielen aus der Europa 2020-Strategie. Bildungs- und arbeitsmarktpolitische Ziele wie eine Verringerung der Schulabbrecher-Quote oder eine Erhöhung der Beschäftigungsquote werden hervorgehoben. Es ist möglich, dass die neue Initiative dazu beiträgt, einige dieser bisher vollkommen unverbindlichen Zielsetzungen zu stärken. Die negativen Auswirkungen des Wettbewerbspaktes und der ganzen bisherigen Reformen (Fiskalpakt, Six Pack, Two Pack etc.) werden dadurch nicht auszugleichen sein.
Ebenfalls nicht neu, aber zumindest nicht längst beschlossen, ist der Vorschlag, europaweite Mindestlöhne »zu prüfen«. Allerdings besteht wenig Hoffnung auf ein fortschrittliches Modell, mit dem das Lohndumping gestoppt werden kann, eher ist das Gegenteil der Fall. Wahrscheinlich ist eine Regelung, bei der die Mindestlöhne als ein Prozentsatz des Durchschnittslohns berechnet werden. In einer rezessiven Phase mit sinkenden Löhnen werden dann automatisch auch die Mindestlöhne immer weiter herabgesetzt.
Angesichts der aktuellen Rezession in der Eurozone und einer Politik, dieser nicht entgegentritt, könnte ein derart gestalteter Mindestlohn schnell zu einem Instrument werden, über das Niedriglöhne weiter gesenkt werden. Zudem schränkt die europäische Rechtsprechung Lohnkämpfe erheblich ein, die oberhalb von politischen Lohnregeln stattfinden. Europaweite Mindestlöhne könnten daher Arbeitskämpfe unterminieren, in denen es um Löhne jenseits der dann eingezogenen Grenze geht. Es kommt bei europaweiten Mindestlöhnen also auf viele Details an. Unter den gegebenen politischen Kräfteverhältnissen wäre mit einem Mindestlohnmodell zu rechnen, das den status quo eher verschlechtern würde.
Die Eurozone soll auf Kosten anderer gestärkt werden
Im Bereich der Steuerpolitik fordern die deutsche und die französische Regierung, die Verhandlungen um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) abzuschließen. Da die FTT auf dem Wege der verstärkten Zusammenarbeit längt beschlossen ist, ist dieser Vorschlag wenig revolutionär. Zudem sind die Lobbyisten ohnehin gerade ziemlich erfolgreich dabei, das Steuerkonzept so weit auszuhöhlen, dass nicht viel mehr als Symbolik übrig bleiben dürfte. Zuletzt mehren sich gar die Zweifel, ob die FTT überhaupt kommt, jedenfalls sicherlich nicht, wie einst geplant, zum 1. Januar 2014.
Auch der zweite steuerpolitische Vorschlag ist eine Farce. Die Bemessungsgrundlage der Unternehmenssteuer soll harmonisiert werden. Das geht an der Sache vorbei, denn das Kernproblem ist nicht die Bemessungsgrundlage, sondern der Steuersatz. In den letzten zehn Jahren wurden die Unternehmenssteuersätze EU-weit im Namen der Standortkonkurrenz immer weiter abgesenkt. Ein Unterbietungswettlauf hat stattgefunden. In Deutschland liegt der Steuersatz seit 2008 bei lediglich noch 15%. Um diesem Problem des Steuerdumpings beizukommen braucht es Mindeststeuersätze. Davon ist aber weder bei der EU-Kommission noch bei der deutsch-französischen Initiative die Rede.
Abschließend wird noch einen Akzent in Richtung einer tieferen Integration der Eurozone gesetzt. Konkret schlagen die Regierungen einen »Vollzeit-Präsidenten« für die Eurogruppe vor, der sich auf »umfassende Ressourcen« stützen kann. Zudem soll eine Art Euro-Parlament innerhalb des EU-Parlaments geschaffen werden.
Damit wird akzeptiert, dass EU-Mitgliedsländer, deren Währung nicht der Euro ist, an den Rand gedrängt werden. Sowohl beim Fiskalpakt als auch beim ESM gibt es diesen starken Fokus auf die Eurozone bereits. Bei den aktuell verhandelten Konzepten – Vorab-Koordination wirtschaftspolitischer Reformen und Wettbewerbspakt – ist dieser Fokus noch deutlicher. Ebenso bei der Bankenunion.
Alles in allem bleibt festzuhalten, dass die deutsch-französische Initiative zwar wenig neues auf den Tisch bringt, wohl aber eine Art Interessensausgleich beinhaltet, der beide Regierungen stärken könnte. Die VerliererInnen der Initiative sind die ArbeitnehmerInnen der Eurozone. Die VerliererInnen sind aber auch die Menschen in anderen Weltregionen. Der Pakt zielt darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit zugunsten einer aggressiven Exportstrategie immer weiter zu erhöhen. Das läuft auf eine Verschärfung globaler Ungleichgewichte zu Lasten des »Restes der Welt«, insbesondere dem globalen Süden hinaus.
Widerstand gegen diese Art der EU-Integration und angeblichen Krisenbewältigung ist bitter nötig. Wichtig ist vor allem, den autoritären, neoliberalen Weg an irgendeiner Stelle unbegehbar zu machen. Der Wettbewerbspakt könnte trotz der Stärkung durch die deutsch-französische Initiative solch eine Stelle sein. Mehr als 7.000 Menschen haben bereits den Aufruf »Europa geht anders« unterzeichnet, der sich explizit gegen den Pakt richtet. Auch innerhalb der EU-Regierungen ist das Thema kontrovers. Und zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure positionieren sich deutlich gegen den Pakt. Vielleicht beginnt hier etwas zu bröckeln. Das wäre ein guter Anfang!
Steffen Stierle ist Ökonom und Mitglied der Attac-Projektgruppe Eurokrise. Er ist gemeinsam mit Bruno Marcon Autor des soeben erschienenen AttacBasisTextes Umverteilen: von oben nach unten. Verteilungsgerechtigkeit statt Kürzungsdiktat.
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