Kein Triumph der Finanzlobby aber auch kein Anlass für Euphorie bei Befürwortern der FTS
Stellungnahme der Kampagne „Steuer gegen Armut“ zur Entschließung des Europaparlaments zur FTS
Das Europaparlament (EP) hat am 3. Juli mit großer Mehrheit (dafür: 522, Gegenstimmen: 141, Enthaltungen: 42) eine Entschließung zur „Umsetzung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer“ beschlossen. Der Beschluss bezieht sich auf die Vorlage der Direktive, die die Kommission als Grundlage für die in elf Mitgliedstaaten der EU geplante FTS vorgelegt hat, worüber die Regierungen nun verhandeln.
Widersprüchliche Bewertungen
Die Abstimmung hat sehr widersprüchliche Reaktionen hervorgerufen. Während es einerseits hieß, dass das Projekt „Angesichts massiver Kritik von Banken und wachsender Bedenken in den beteiligten Euro-Staaten“ ... „stark eingedampft würde“ (FAZ), erklären z.B. MEPs, die die FTS unterstützen, das Parlament habe „die Steuer vor den Lobbyisten gerettet.“
Beides sind interessengeleitete Übertreibungen.
Richtig ist, dass das EP nicht alle Forderungen der Finanzindustrie erfüllt hat. Ja, mehr noch: in einigen Punkten ist das EP über den Entwurf der Kommission hinausgegangen und fordert jetzt z.B., dass auch Devisenspottransaktionen (de facto Devisenhandel in Cash) besteuert werden. Das ist auch eine Forderung der Zivilgesellschaft. Auch hält das EP an den Maßnahmen gegen Steuerumgehung und -hinterziehung fest und möchte sie sogar noch verschärfen.
Andererseits ist das EP der Finanzindustrie durchaus entgegengekommen und befürwortet jetzt Ausnahmen von der Besteuerung – wenn auch im Ausmaß begrenzter als die Lobby das wollte. Das betrifft vor allem die der Finanzindustrie wichtige Bereiche Pensionsfonds, Market Maker und Repo-Geschäfte.
Ventil für Verwässerung aufgemacht
Da der Beschluss des EP keine bindende Wirkung, sondern nur politischen Symbolcharakter hat, ist er ein Signal, dass die Tür zu Kompromissen und damit auch zu Verwässerung jetzt auch beim EP offen ist. Es entsteht eine Dynamik: Wenn schon das EP, das einer der stärksten Befürwortern der FTS ist, auf die Banken und Fonds zugeht, dann werden die Regierungen das noch ein deutliches Stück weiter tun können.
Angesichts der Kräfteverhältnisse in den Regierungsverhandlungen sind die Verschärfungen durch das EP demgegenüber realpolitisch irrelevant. Sie dienen vor allem dazu, den Befürwortern die bitteren Pillen bei Pensionsfonds, Repos und Market Making zu versüßen und ihnen vor der eigenen Anhängerschaft die Möglichkeit zu geben, auch ein Zurückweichen als erfolgreich darzustellen.
Die Auseinandersetzung geht weiter
Für die Zivilgesellschaft besteht nach dieser EP-Entscheidung kein Anlass zur Euphorie, auch wenn der Finanzlobby der große Durchbruch damit nicht gelungen ist. Die wichtigere Arena sind die Verhandlungen der Regierungen. Und hier muss der Druck von unten deutlich stärker werden, wenn wir verhindern wollen, dass die Lobby den Brückenkopf, den sie im EP erobert hat, noch weiter ausbaut.
Hier ist eine Aufstellung der einzelnen Änderungen, die das Europaparlament den Regierungen empfiehlt:
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Verschärfung:
- Devisentransaktionen sollen besteuert werden, was die Kommission bisher aus rechtlichen Gründen ablehnt.
- außerbörsliche Finanztransaktionen sollen stärker besteuert werden. Darüber soll erreicht werden, dass mehr Finanztransaktionen über regulierte Handelsplätze abgewickelt werden, die mehr Transparenz und Kontrolle ermöglichen.
- Das EP will auch stornierte Transaktionen im Rahmen des Hochfrequenzhandels besteuern.
- Das Ansässigkeitsprinzip wird um „Zweigstellen eines Instituts mit Niederlassung in einem teilnehmenden Mitgliedsstaat“ erweitert.
- Das Ausgabeprinzip wird gestärkt, indem Ausnahmen für OTC-Geschäfte gestrichen werden und es um weitere Kriterien erweitert wird.
- Stempelprinzip: Eine Finanztransaktion, für die keine Steuer entrichtet wurde, wird rechtlich nicht anerkannt. Dazu soll ein nicht besteuertes Instrument grundsätzlich nicht für ein zentrales Clearing in Frage kommen und auch nicht bei den Eigenkapitalanforderungen anerkannt werden,„sodass die Umgehung den Steuersünder um ein Vielfaches teurer zu stehen käme als die eigentliche Steuer“.
- Eine Arbeitsgruppe von Sachverständigen (FTS-Ausschuss) soll die Umsetzung der Richtlinie überwachen und gegen missbräuchliche Praktiken vorgehen.
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Schwächung
- Das EP will nun einheitliche Steuersätze in Höhe der Mindeststeuersätze festlegen, um eine „Verzerrung innerhalb des gemeinsamen Finanztransaktionssteuersystems zu vermeiden.“ Der bisherige Entwurf legt Mindeststeuersätze fest. Die Mitgliedstaaten können höhere Steuersätze nach eigenem Gutdünken festlegen.
- Sogenannte KMU-Wachstumsmärkte sollen von der Finanztransaktionssteuer ausgenommen werden.
- Market maker, die keine Hochfrequenzhandelsstrategie verfolgen, sollen von der FTS ausgenommen werden.
- Ausgenommen werden sollen auch Übertragungen zwischen den Unternehmen einer Gruppe oder innerhalb eines Netzes dezentraler Banken, wenn dies zum Erfüllen von Liquiditätsvorschriften geschieht (=> Landesbanken und Sparkassen).
- Wertpapierpensionsgeschäfte (Repos) sollen statt mit 0,1 % nur mit 0,01 % besteuert werden.
- Bis zum 1. Januar 2017 soll für Staatsanleihen und Pensionsfonds nur der halbierte Steuersatz erhoben werden.
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Ambivalent
Die FTS fällt gemäß Kommissionsentwurf nur auf Finanztransaktionen an, die durch oder über Finanzinstitute abgeschlossen werden. Nichtfinanzielle Unternehmen sind bis zu einem Schwellenwert von der Steuer ausgeschlossen. Das EP verschärft den Schwellenwert, will dafür aber zur Risikoabschirmung genutzte Derivatgeschäfte bei der Berechnung ausnehmen.
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Machtpolitische Rituale des EP
Wie in den meisten seiner Resolutionen, strebt das EP permanent an, sein Gewicht im Institutionengefüge der EU zu erhöhen. Solche Elemente, die mit der Sache selbst, um dies geht (hier die FTS) nichts zu tun haben, gibt es auch in diesem Beschluss:
- Die Einnahmen sollen teilweise als EU-Eigenmittel vereinnahmt werden und bestimmten Zwecken zugeführt werden. Damit will sich das EP eigene Finanzquellen erschließen und weniger von nationalen Beiträgen der Mitgliedstaaten abhängig werden. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten lehnen diesen schon älteren Vorschlag vehement ab.
- Das EP soll stärker über mit der FTS zusammenhängende Vorgänge unterrichtet werden.
- Die Europäische Kommission soll stärker als geplant ermächtigt werden, delegierte Rechtsakte zu erlassen, damit die Steuer einheitlich erhoben werden kann. Dabei soll das EP einbezogen werden.
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Gescheiterte Änderungsanträge
Die Liberalen (ALDE) hatten eine Ausnahme von Pensionsfonds gefordert, waren damit aber deutlich gescheitert (225:458:23).
Die Linksfraktion (GUE/NGL) hatte einen einheitlichen Mindeststeuersatz von 0,1 % gefordert, war damit aber auch unterlegen.
Rainald Ötsch und Peter Wahl
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