Die monetäre Ausrichtung ist der Geburtsfehler der Eurozone
Von Rudolf Hickel
Der Euro steckt in einer tiefen Krise. Es besteht nach wie vor die Gefahr, dass das Eurosystem auseinanderbricht. Die naiven Versprechungen des Maastrichter Vertrags, eine optimale Währungsunion würde aus sich heraus genügend Kraft zur Konvergenz – real-ökonomisch und strukturell – schaffen, ist geplatzt.
Die zurückhaltenden, gelegentlich auch sinkenden Lohnstückkosten, die aggressiv als Wettbewerbsfaktor eingesetzt wurden, haben Deutschland seit dem Start der Eurozone 1999 gigantische Exportüberschüsse beschert, andere Mitgliedsländer wurden jedoch belastet. Die Kritiker, die von Anfang an auf den Bumerangeffekt dieser auf Exportdominanz setzenden Politik hingewiesen haben, sollten Recht behalten. Die Aufträge an deutsche Unternehmen vor allem aus den Krisenländern schrumpfen deutlich.
Gibt es einen Ausweg aus dieser Krise? Unter drei Bedingungen ist diese Frage mit „Ja“ zu beantworten:
Erstens müssen die Lehren aus den schwerwiegenden Konstruktionsfehlern des Maastrichter Vertrags gezogen werden. Der 1992 ratifizierte Vertrag beschränkt sich auf die Schaffung der Währungsunion zusammen mit der Europäischen Zentralbank (EZB). Ausschließlich monetäre Konvergenzkriterien wurden mehr schlecht als recht für die Aufnahme eines Mitgliedslands in das Eurosystem berücksichtigt.
Über die Minimalkonvergenz bei Inflationsrate und Kapitalmarktzinsen hinaus wurden Verschuldungsgrenzen festgelegt. Die Neuverschuldung darf drei Prozentdes Bruttoinlandsprodukts (BIP), die Gesamtverschuldung 60 Prozent des BIP nicht überschreiten. Das war von der Absicht geprägt, Inflation zu vermeiden, die vermeintlich nur durch Staatsschulden entstehen könne.
Real-ökonomische Kriterien wie Produktivität, Wirtschaftsstruktur oder eine nicht zu überschreitende Arbeitslosenquote spielten dagegen bei der Schaffung der Eurozone keine Rolle. Mit monetaristischer Arroganz ist die Frage, was passiert, wenn ein Land ökonomisch nicht mehr mithalten kann, nicht einmal gestellt worden. Anderen Mitgliedsstaaten und den EU-Institutionen wurde sogar jede Hilfe bei der Bewältigung der Schulden verboten.
Mit der Reduktion der Eurozone auf eine monetäre Union plus Binnenmarkt war die tiefe Krise vorprogrammiert. Erst viel zu spät hat ein mühsamer und unzureichender Lernprozess zur Überwindung der Geburtsfehler eingesetzt. Er führte zu den Rettungsfonds für Banken, einem kleineren Schuldenschnitt in Griechenland und zur Beteiligung der Gläubiger und Kunden bei der Sanierung von Banken in Zypern.
Zweitens hat die Euro-Währungsunion nur eine Chance, wenn ihre heutigen Vorteile belegbar sind. Dabei wird die gute Entwicklung des Euros im Klima der vielen Krisen unterschätzt. Die Inflationsrate liegt wohl auch auf mittlere Sicht unterhalb der stabilitätsorientierten Zielmarke von zwei Prozent, die auch für die Deutsche Bundesbank gegolten hatte.
Der Wert des Euros gegenüber dem Dollar, der am ersten Tag der Notierung bei 1,18 Euro lag, schwankt heute um 1,30 Euro. Wenn auch derzeit leicht rückläufig, wird der Euro von Notenbanken weltweit als Reservewährung genutzt. Im ersten Quartal 2013 hielt der Euro an den Weltwährungsreserven einen Anteil von 23,7 Prozent.
Dank der gemeinsamen Währung sind der Eurozone in der jüngsten Finanzmarktkrise schädliche Devisenspekulationen erspart geblieben. Ohne den Euro wäre die Finanzmarktkrise zulasten der produzierenden Wirtschaft gegangen. Schließlich sind im Handel zwischen den Euro- Mitgliedsländern Informationsund Transaktionskosten nicht angefallen, die bei der Unsicherheit von Wechselkursen teuer geworden wären. Im vergangenen Jahr gingen 37,5 Prozent der deutschen Exporte in den Euroraum – ein Anteil, der durch die Krise gesunken ist. Exportgeschäfte mit Drittländern werden zu 65 Prozent in Euro abgewickelt.
Diesen Vorteilen stehen die Kosten gegenüber, die bei einem Ausstieg aus dem Euro aufzubringen wären. Die Alternativen, die zur Gemeinschaftswährung gehandelt werden, würden dauerhaft die ökonomische Entwicklung im ehemaligen Währungsraum destabilisieren. Dies gilt insbesondere für eine Parallel-Währung, bei der der Euro mit nationalen Währungen kombiniert wird.
Auch ist der Ruf nach der Wiederbelebung des 1979 gestarteten Europäischen Wechselkurssystems (EWS), mit dem fixe Wechselkurse durch die Notenbanken innerhalb von Bandbreiten gesichert wurden, unverständlich. Immerhin mussten die Leitkurse siebzehn mal geändert werden. Auch wegen massiver Spekulationen, etwa durch George Soros, der 1992 erfolgreich auf eine Abwertung des englischen Pfunds gewettet hatte, musste schließlich das EWS eingestellt werden.
Genau wegen dieser negativen Erfahrungen ist die Euro-Währungsunion forciert worden. In alternativen Systemen zum Euro wäre ein massiver Aufwertungsdruck auf die D-Mark sicher. Aber auch die politischen Schäden in der EU wären riesig. Die Ängste vor der machtvollen D-Mark-Dominanz mit einer reaktivierten Deutschen Bundesbank würde die politische Zusammenarbeit schwer belasten.So elend derzeit der Wechsel von einer Krisenkonferenz zur nächsten auch wirkt, die Euro-Union zwingt wenigstens zur politischen Abstimmung.
Drittens hängt die Euro-Zukunft maßgeblich von einem überzeugenden Konzept zur voranschreitenden Konvergenz in Richtung wirtschaftlicher und finanzpolitischer Koordination ab. Derzeit sind die unzureichenden Reparaturmaßnahmen noch viel zu stark von nationalstaatlichen Interessen geprägt.
Der Sachverständigenrat hat es auf den Punkt gebracht: „Die europäische Politik entspricht einer Strategie der Trippelschritte… Trotz der inneren Logik dieser Strategie, mit der die Rettungsschirme möglichst klein und die Vergemeinschaftung von Lasten gering gehalten werden sollen, ist dies letztlich die zentrale Ursache der wiederkehrenden Verschärfung der Vertrauenskrise.“
Bisher hat einzig und allein die EZB begriffen, dass es notwendig ist, wenigstens die Währungsunion zu optimieren. Der Geldpolitik stellt sich neben der monetären Stärkung der Gesamtwirtschaft bei Geldwertstabilität eine bisher nicht bekannte Aufgabe: Sie muss verhindern, dass die Eurozone auseinanderbricht.
Zusammen mit den Rettungsfonds ist es der Zentralbank gelungen, durch unbeschränkte und erfolgreiche Käufe von Staatsanleihen aus den Krisenländern die zinstreibenden Spekulanten zu verjagen. Dazu wird die Notenbank auch durch die kontraproduktive, den Krisenländern oktroyierte Kürzungspolitik gezwungen. Eine solche Politik ist im Maastrichter Vertrag nicht einmal angedacht worden. Dieser untaugliche Vertrag hat die Krise überhaupt erst erzeugt und muss deshalb nachgebessert werden.
Die Währungsunion muss endlich durch eine Fiskal- und Wirtschaftsunion ergänzt werden. Finanz- und Wirtschaftsstrukturpolitik sind daher zielorientiert und verbindlich zu koordinieren. Dazu gehört auch eine EU-Bankenunion, schließlich hat die Rettung maroder Banken die Verschuldung in der Eurozone nach oben getrieben. Nur so können frühzeitig Fehlentwicklungen aufgedeckt und am Ende marode Banken geschlossen werden.
Priorität hat jedoch der sofortige Ausstieg aus der krisenbeschleunigenden Politik gegenüber den südeuropäischen EU-Staaten. Die Kürzungspolitik wirkt katastrophal. Massive Streichungen in den öffentlichen Haushalten, insbesondere die Erhöhung von Lohn- und Verbrauchssteuern, Lohnsenkungen sowie Privatisierungen haben z. B. Griechenland im sechsten Jahr in eine tiefe Rezession katapultiert. Die Schuldenquote ist nicht, wie beabsichtigt, gesenkt worden. Sie hat wegen den dadurch erzeugten Produktionsverlusten erschreckend zugenommen.
Der Euro kann nur gerettet werden durch eine Politik, die den südeuropäischen Ländern die Chance gibt, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Dazu ist ein Herkules-Plan nötig, der diesen Ländern hilft, wie der Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg den Europäern geholfen hat. Eines steht fest: Mit einer Kürzungspolitik, wie sie Reichskanzler Brüning vor gut 80 Jahren betrieben hat, lässt sich die Krise in der Eurozone nicht lösen.
Zuerst erschienen in: VDI-Nachrichten, 19. Juli 2013
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