Prekarisierung ungebrochen - IG Metall-Studie "Junge Generation"

Von Otto König und Richard Detje

08.09.2013 / sozialismus.de, vom 02.09.2013

Die IG Metall hatte bereits im April 2011 eine »Charta Junge Generation« veröffentlicht. Eine zentrale Aussage damals lautete: »Junge Menschen haben das Leben vor sich. Ihnen steht die Welt offen. Dieser optimistische Blick in die Zukunft ist getrübt. Soziale Auslese und verschlossene Türen zu guter Bildung und zu sicherer Arbeit verbauen vielen die Zukunft. Jungen Menschen wird so eine selbstbestimmte Lebensplanung erschwert. Ihnen wird die Chance auf ein gutes und erfülltes Leben genommen.«

Diese Feststellung wird durch neue demoskopische Befunde unterstrichen: Trotz demografischem Wandel und medial lautstark beklagtem Fachkräftemangel verweigern die Unternehmen in Deutschland jungen Menschen sichere Jobs. Jeder vierte Beschäftigte unter 35 Jahren ist befristet oder in Leiharbeit beschäftigt, so ein Ergebnis von TNS-Infratest. Im Auftrag der Gewerkschaft IG Metall untersuchte das Meinungsforschungsinstitut im Juni 2013 die Einstellungen, Ängste und Erwartungen junger abhängig Beschäftigter insbesondere zur beruflichen Situation und ihren Perspektiven.[1]

Der Trend zur prekären Beschäftigung ist ungebrochen und bleibt auf hohem Niveau. Die Befragung bestätigt, dass es dauerhaft einen stabilen Anteil von gut einem Drittel junger Menschen gibt, die von prekärer Arbeit betroffen sind. Jeder dritte 14- bis 34-jährige Beschäftigte (34%) arbeitet in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Fast zwei Drittel der befristet Beschäftigten (63%) haben in ihrem bisherigen Berufsleben ausschließlich solche Arbeitsverträge gehabt. Darüber hinaus zeigt sich, dass befristet Beschäftigte überdurchschnittlich häufig nach Abschluss der Ausbildung eine Arbeit übernehmen mussten, die unter ihrem Qualifikationsniveau lag. Auch der Trend zuWerkverträgen verstetigt sich – jeder fünfte Befragte (21%) gibt an, bisher überwiegend auf Werkvertragsbasis gearbeitet zu haben.

Diese prekären Beschäftigungsformen bergen für die Betroffenen höhere Risiken des Arbeitsplatzverlustes und geringere berufliche Aufstiegschancen. So bewerten die Befragten die atypische Beschäftigung durchweg negativ: Neun von zehn Befragte (87%) geben an, dass die unsichere Arbeitsplatzsituation über längere Zeiträume zu psychischen Belastungen führt. Darüber hinaus sehen sie Erschwernisse in der längerfristigen und eigenständigen Lebensplanung (83%). Das korrespondiert mit drohender Altersarmut.

Ein Einkommen reicht heute immer seltener zum Leben – in der Einkommensverteilung hat sich die Kluft zwischen den 14- bis 34-Jährigen und der älteren Arbeitnehmerschaft seit 2012 weiter vergrößert. Zwei Drittel (62%) der befragten Erwerbstätigen unter 35 Jahren haben ein Bruttoeinkommen unter 2.000 Euro. Nur eine Minderheit von 44% zeigte sich mit dem Einkommen zufrieden. Erstmals wurde 2013 nach dem Bezug von ergänzenden Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) gefragt. 16% der Befragten sind so genannte Aufstocker. Ihr Erwerbseinkommen reicht zur Finanzierung des Lebens nicht aus.

Diese Einkommenssituation ist eine wesentliche Ursache dafür, dass der Anteil der Nebentätigkeiten steigt: Knapp ein Drittel (29%) der Befragten haben aktuell einen oder sogar mehrere Nebenjobs. Bei den über 35-Jährigen sind es 12%. Seit 2010 stieg, so TNS-Infratest, der Anteil der jungen Beschäftigten mit einem Nebenjob kontinuierlich von 20 auf 29% an – dies entspricht einer Zunahme von 45%.

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu absurd, wenn das Bundesarbeitsministerium den Anstieg auf »gestiegene Konsumlust« zurückführt. Auch angesichts der Tatsache, dass der Anteil der Befragten, die arbeitslos sind, erstmals leicht gestiegen ist: in der Umfrage von 7% auf 9%. Besorgniserregend ist, dass etwa 31% angeben, »keine eigenen Einkünfte« (inklusive ALG I und II) zu haben. Damit ist jeder Dritte auf private Unterstützung beispielsweise seitens der Familie angewiesen.

Motiviert, aber ausgebremst – nur knapp zwei Drittel (59%) der 14 bis 34 Jährigen sind mit ihrer beruflichen Entwicklung zufrieden. Der Wert ist seit der Befragung 2012 um neun Prozentpunkte auf den tiefsten Wert seit Beginn der Befragung vor vier Jahren gesunken. Dennoch scheinen die Zufriedenheitswerte auf den ersten Blick relativ hoch zu sein. Darin drückt sich möglichweise aus, dass die junge Generation die lange berufliche Einstiegsphase ohne gesicherte Berufsperspektive nicht in Frage stellt, da sie keinen besseren Standard für den Einstieg ins Berufsleben kennt.

Der Rückgang der Zustimmungswerte lässt allerdings auf zunehmende Kritik an unsicheren und schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen schließen. Bemerkenswert ist, dass sich gerade in dieser Hinsicht die Altersgruppen auseinander entwickeln. Bei der Vergleichsgruppe 35 plus liegt die Zufriedenheit 2013 bei 73% und damit nur wenig unter dem Vorjahreswert.

Die junge Generation stellt der schwarz-gelben Bundesregierung ein miserables Zeugnis aus. So fällt bei den Ergebnissen besonders das Missverhältnis der »Verkündungs«politik und der Wirklichkeit bei den Themen Altersversorgung, Wohnraum und Arbeitsplätze auf. Besonders drastisch ist die Diskrepanz beim Thema Altersversorgung, das auch für die junge Generation von größter Bedeutung ist. Während es für neun von zehn »wichtig« oder »sehr wichtig« (92%) ist, ist nicht einmal jeder Dritte (28%) mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden.

Ähnlich drastisch weichen die Werte zwischen Wichtigkeit und Zufriedenheit bei den Fragen zu bezahlbarem Wohnraum (89% zu 29%) und Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen (92% zu 39%) voneinander ab. Große Diskrepanzen und damit große Unzufriedenheit bestehen ferner bei den Themen »flächendeckender Mindestlohn« und »gleiche Bildungschancen unabhängig von der Herkunft«.

Prekäre Beschäftigung schadet der Demokratie – mit Befristungen, Leiharbeit und Werkverträgen für junge Beschäftigte steuern Arbeitgeber und Politik in die falsche Richtung. Gerade die Parteien, die einen »Kurswechsel« anstreben, wären gut beraten, sich offensiver und stärker um die Themen zu kümmern, die für die (jungen) Menschen von Bedeutung sind. Diese wünschen sich mehr Transparenz bei der Politikgestaltung (86%), 76% fordern zudem eine klarere Sprache.

Und obwohl die Aussagen große Unzufriedenheit belegen, wollen acht von zehn jungen Menschen wählen gehen. Knapp zwei Drittel der unter 35-Jährigen sehen jedoch außer der Wahlbeteiligung zu wenige Möglichkeiten, um gesellschaftspolitischen Einfluss zu nehmen.

[1] IG Metall Studie Junge Generation: »Persönliche Lage und Zukunftserwartungen der Jungen Generation 2013«, TNS Infratest Politikforschung Berlin, August 2013. Im Zeitraum vom 12. Juni bis 1. Juli 2013 wurden 1.000 Beschäftigte im Alter von 14 bis 34 Jahren und eine Kontrollgruppe von 771 Personen ab 35 Jahren online befragt. Diese Studie wurde bereits zum vierten Mal durchgeführt.