Ende der Depression? Leichtes Wachstum in Großbritannien
Von Ulrich Bochum
Nachdem das britische Statistikamt für das zweite Quartal 2013 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 0,7% festgestellt hatte, war in der Presse bereits von einer bemerkenswerten Erholung der nationalen Wirtschaft die Rede. Endlich zahle sich die harte Sparpolitik im öffentlichen Sektor aus, auf die Schatzkanzler Osborne seit Jahren setzt.
Überall war daher enthusiastisch von »Recovery« zu lesen, obwohl doch ein Ende der Depression der britischen Wirtschaft mehr bedeuten sollte, als eine minimale Wachstumsrate, die gerade einmal das Niveau von vor drei Jahren erreicht hat. Das Wachstum ist zudem ausgesprochen unausgewogen verteilt: Wenn etwas wächst, dann ist es die Metropolen-Region London.
Während der letzten Jahre wurde aktive Wirtschaftspolitik vor allem durch die ultra lockere Geldpolitik der Bank of England betrieben, die das Zinsniveau solange niedrig halten soll »bis Jobs und Einkommen wirklich wieder zunehmen«. Folgt man dieser Definition von Erholung, dann wurden nach optimistischen Annahmen zu Beginn des Jahres 2013 ca. 500.000 Jobs geschaffen und mit der nun registrierten Zunahme des Wachstums von 0,7% die Erholungsschwelle erreicht. Die Arbeitslosigkeit liegt allerdings immer noch zwischen 7% und 8%.
Weitere Indikatoren für eine Erholung beziehen sich auf die Entwicklung der Hauspreise, die nach einem jahrelangen Abwärtstrend seit Mitte 2012 wieder leicht zunehmen. Dabei kommt insbesondere die von der Regierung aufgelegte Subventionierung so genannter Erstkäufer (First Time Buyers) von Eigenheimen zum tragen, die nun wieder stärker in Anspruch genommen wird. Die Bewilligungen von Hypotheken-Krediten haben im letzten Jahr ebenfalls um 10% zugenommen, so dass sich für den Immobilienmarkt insgesamt scheinbar ein rosiges Bild ergibt. Es werden aber bereits wieder Zweifel laut, die von einer erneuten Bubble-Bildung im Immobiliensektor sprechen.
Mehrere Indices, die die Einkaufs- und Vertrauensstimmung in der Wirtschaft erfassen, zeigen ebenfalls nach oben. Auch das Verarbeitende Gewerbe (Manufacturing) verzeichnete in den letzten Monaten eine leichte Zunahme vor allem aufgrund einer Steigerung der Produktion im Maschinenbau und in der Stahlproduktion. Allerdings war diese Zunahme zu schwach, um die vorhergehenden Rückgänge, die durch den lang anhaltenden Krisenzyklus hervorgerufen wurden, zu kompensieren.
Stattdessen geht diese leichte Erholung des Verarbeitenden Gewerbes mit einem zunehmenden Handelsbilanzdefizit einher, das die Rekordhöhe von 3,1 Mrd. Pfund erreicht hat. Das heißt also, je stärker die Produktion im Vereinigten Königreich zunimmt, desto stärker steigen die Importe, die nötig sind, um die Produktionssteigerung zu realisieren. Auch die mit dem Verlauf der Krise einhergehende Abwertung des britischen Pfunds hat die industrielle Produktion nicht besonders beleben können – der industrielle Output liegt immer noch 10% unter dem Niveau von 2008. Die produktiv-industrielle Basis in Großbritannien ist daher nach wie vor äußert schwach und fragil. Es stellt sich die Frage, ob diese Basis nicht grundlegend beschädigt ist und damit alle offiziell propagierten Träume eines exportgetriebenen Wachstums nicht Halluzinationen sind.
Die Erholungs-Story wird noch komplizierter, wenn man in Rechnung stellt, dass die vierteljährlichen Wachstumszahlen des Bruttoinlandsprodukts keine regionalen Unterschiede berücksichtigen. Es stellt sich nämlich heraus, dass fast ausschließlich die Metropolen-Region London für das Wachstum sorgt. Zwischen 1997 und 2006 verantworteten London und der Südosten Englands 37% des Wachstums des Bruttoinlandsproduktes, während benachteiligte Regionen wie Wales und der Nordosten Englands nicht mehr als 3% zum Wachstum beitrugen. London ist also die Oase in der Wüste oder wie die FAZ schrieb: »Großbritannien darbt, London glänzt.« London sei es gelungen, eine mächtige postindustrielle Exportwirtschaft aufzubauen, exportiert werden nicht Autos oder Maschinen, sondern Finanzdienstleistungen.
Eine »Erholung« von 1-2% Wachstum bedeutet daher für die ärmeren Regionen im Norden gar nichts. Wie Karel Williams im Guardian hervorhob, sind auch die publizierten Rückgänge der Arbeitslosigkeit ohne Bedeutung, denn im Zeitalter der Flexibilität sind 60% der neuen Jobs prekär und im Niedriglohn-Segment angesiedelt, was wiederum zur Folge hat, dass sie durch öffentliche Zuwendungen, wie z.B. Wohngeld (housing benefits) subventioniert werden müssen. Ein Drittel der Jobs sind Teilzeit-Beschäftigungen, die in ihren Vertragsbedingungen so genannte Zero-Hours-Klauseln enthalten, die nicht mehr als drei Stunden Beschäftigung in der Woche versprechen.
Eine Umfrage der Gewerkschaft Unite fand heraus, dass 22% der Beschäftigten im Privatsektor Arbeitsverträge mit diesen Klauseln haben. Urlaubs- und Krankengeld sind bei diesen Verträgen ebenfalls die Ausnahme. Geografisch konzentrieren sich die Beschäftigten mit diesen Verträgen im Nordwesten Englands und branchenspezifisch betrachtet spielen diese Verträge insbesondere in der Landwirtschaft eine herausragende Rolle. Unite fordert daher die Wiederherstellung von tariflich geregelten Arbeitsbedingungen in diesen Sektoren, insbesondere in den Bereichen Soziales, Pflege, Einzelhandel und logistische Dienstleistungen. Es zeigt sich also auch in Großbritannien das bekannte Bild eines Ersatzes gut bezahlter Jobs im öffentlichen Sektor durch qualitativ schlecht bezahlte Jobs in der Privat-Wirtschaft.
Die »Recovery« zeigt primär wie unausgewogen die ökonomischen Strukturen im Vereinigten Königreich verteilt sind. Statt unverdrossen Geld in den ökonomischen Kreislauf zu pumpen, wäre es angebracht, die vernachlässigten Regionen von Grund auf zu erneuern und für diese Erneuerung an den Strukturen anzuknüpfen, die noch vorhanden sind: die regionalen Versorgungsunternehmen, Supermärkte, Schulen, Krankenhäuser, kurz eine regionale Strukturpolitik zu initiieren, die den Namen verdient.
Obwohl daher Zweifel angebracht sind, dass das Vereinigte Königreich die depressive Phase der Krise verlassen hat, spielen auch leicht positive Wachstumssignale der konservativ-liberalen Regierung in die Hände. Auf dem gerade stattfindenden Parteitag der Labour Party hat sich der Parteivorsitzende Ed Milliband alle Mühe gegeben, den Eindruck zu verwischen, Labour habe die Debatte um die richtige Wirtschaftspolitik bereits verloren.
Milliband versuchte in seiner mit großer Anerkennung zur Kenntnis genommenen Rede den Eindruck zu zerstreuen, dass die Konservativen die britische Ökonomie gerettet hätten. Er verwies darauf, dass die angebliche »Recovery« die Tendenz zur Verbreiterung von Ungleichheit und unfairen Verhältnissen habe und setzt darauf, dass die steigenden Lebenshaltungskosten die nationale Rettung durch die Konservativen arrogant und selbstgefällig aussehen lassen werden. Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind in seinen Augen bewusster Teil der konservativen ökonomischen Strategie. In der von Cameron und seinen konservativen Strategen verfolgten Politik sieht er ein globales Wettrennen nach unten, in dem Großbritannien in einen neo-viktorianischen Sweatshop verwandelt würde. Dabei gibt es nur ein Problem: Viele sagen, dass diese Umwandlung in weiten Sektoren der britischen Gesellschaft bereits passiert ist.
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