Schäubles Europa wird repariert
Von Detlef Umbach
Kurz vor der Wahl stellte Wolfgang Schäuble seine Sicht auf Europa in der Financial Times dar: Die Sparmaßnahmen in den öffentlichen Haushalten und die Verbesserungen in der Wirtschaftsstruktur zahlten sich nun aus, »sie legen das Fundament für ein nachhaltiges Wachstum«. Für Schäuble ist das deutsche Beispiel zielführend.
Im letzten Jahrzehnt wurden in Deutschland mehr Flexibilität im Arbeitsmarkt, eine Verschlankung des Staates und eine Konsolidierung des Staatshaushalts erreicht, damit – so Schäuble – konnte Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit und seine Stellung auf dem Weltmarkt stärken. »Was in der Eurozone im letzten Jahrzehnt geschah, war etwas ganz anderes. In der Boomphase ließen einige Länder es zu, dass ihre Arbeitskosten stiegen und ihr Anteil am Welthandel zurückging. Als die Krise kam, verschwanden die Arbeitsplätze und die öffentlichen Finanzen liefen aus dem Ruder.« (Wolfgang Schäuble, Ignore the doomsayers: Europe is beeing fixed, Financial Times, 19.9.2013, eigene Übersetzung)
Schäuble sieht diese Fehlentwicklungen nun weitgehend behoben: »In nur drei Jahren haben sich die öffentlichen Defizite in Europa halbiert, die Lohnstückkosten und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern sich schnell… Im zweiten Quartal 2013 wurde die Rezession in der Eurozone beendet.« (ebd.)
Eigentlich war Schäubles Wahlkampfartikel eine prägnante Wiederholung des schon oft Gehörten, dennoch löste er eine bemerkenswerte Welle internationaler Kritik aus. Paul Krugman titelte seinen Blog in der New York Times »Sie haben eine Wüste geschaffen und nennen sie Reform.« Sein Vorwurf zielt darauf, dass Schäuble das allererste Quartal mit positiven Wachstumszahlen dazu genutzt habe, von der verheerenden Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Europa abzulenken. (Paul Krugman,They Have Made A Dessert And Called It Reform, eigene Übersetzung)
Tatsächlich sind die Entwicklungen für die wichtigsten Euroländer selbst bei den positiven Annahmen der Europäischen Kommission für das laufende Jahr insgesamt immer noch von der Krise geprägt. Die Volkswirtschaften Spaniens und Italiens befinden sich immer in einem Schrumpfungsprozess, Frankreich konnte die Krise gerade überwinden, nur Deutschland konnte in den letzten Jahren ein bescheidenes Wachstum entwickeln.
Francesco Saraceno verwies darauf, dass die deutsche Entwicklung nicht so rosig ist, wie sie Schäuble darstellt, das deutsche Modell schließe einen gespaltenen Arbeitsmarkt, eine geringe Produktivitätsentwicklung und wachsende Armut ein. »Im wirklichen Leben ruinieren die Sparprogramme die europäischen Volkswirtschaften und verewigen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte. Schäubles Universum existiert einfach nicht.« (Francesco Saraceno, Parallel Universes, eigene Übersetzung)
Antonio Fatas stellte fest, dass der von Schäuble behauptete Zusammenhang einer Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen mit einem darauffolgenden Wirtschaftswachstum für europäische Länder empirisch nicht nachweisbar ist. Er bestätigte empirisch die Ergebnisse von Krugman: Es bestehe in Europa ein starker Zusammenhang zwischen der Veränderung des staatlichen Konsums und der Veränderung des Wirtschaftswachstums. Zwar sei der staatliche Konsum definitionsgemäß ein Teil des BIP, aber die Korrelation ist so stark, dass sie als Erklärung der Veränderungen des BIP ausreicht. Dieses Ergebnis widerspricht allen, »die geglaubt haben, die Korrelation sei gering oder negativ … sie hatten darauf gehofft, dass der private Konsum letztlich im gleichen Umfang steigen würde, wie der staatliche Konsum zurückgefahren wurde. Das ist aber nicht geschehen,« (Antonio Fatas, The only uncertainity is why some cannot see facts, eigene Übersetzung)
Andrew Watt bemüht sich um eine differenzierte Beschreibung des Zustands der Eurozone. Seines Erachtens ist ein Ende des Schrumpfungsprozesses der Wirtschaft erreicht. »Selbst die Krisenstaaten erwarten für das nächste Jahr eine wachsende Belebung. Diese zaghafte Erholung bleibt durch Schocks verletzbar, z.B. gegenüber einer Wiederkehr der Probleme im Bankensektor… Die Frage ist, ob man diese Entwicklung als Erfolg werten kann. Wenn in einer Volkswirtschaft eines von fünf Unternehmen zugemacht wird – das ist mehr oder weniger die Erfahrung von Griechenland und anderen Krisenstaaten –, dann erreichen wir scheinbar einen großen Aufschwung, wenn wir nur eines von zehn geschlossenen Unternehmen wieder zum Arbeiten bringen. Die Verkündung eines Wachstums von 2% würde nur die Tatsache verschleiern, dass wir nur ein Zehntel des Verlustes von 20% der Wirtschaftsleistung wiedergutmachen konnten… Das wirkliche Problem besteht darin, dass die Eurozone … im globalen Vergleich massiv zurückgeblieben ist… Bis zu Beginn des Jahres 2011 war der Bewegungsablauf im Euroraum und in den Vereinigten Staaten sehr ähnlich… Seitdem ist das Bruttoinlandsprodukt in den USA um rund 6% gestiegen, während es im Euroraum weiter gefallen ist.« (Andrew Watt, Wolfgang Schäuble And The Doomsayers – Both Are Wrong!, eigene Übersetzung)
Die vorläufig letzte Reaktion auf Schäubles Artikel stammt von Martin Wolf: »Herr Schäuble hat es sehr deutlich klargestellt, Nachfrage spielt für seine Analyse keine Rolle… In seinem Universum hat man nicht verstanden, dass das Streben nach Wettbewerbsfähigkeit ein Null-Summen-Spiel ist, wenn man die Nachfrageseite komplett ignoriert. Die Eurozone könnte ein Erfolg werden, aber nicht mit einer solchen Philosophie.« (Martin Wolf, Germany’s strange parallel universes, Financial Times, 24.9.2013, eigene Übersetzung)
Die Kritik beleuchtete in vielen Facetten die Ahnungslosigkeit des deutschen Finanzministers, der für die Europa-Debatte in Deutschland als eher typisch gelten darf. Angela Merkel hat zwar keine »blühenden Landschaften« für die Krisenstaaten versprochen, aber die Regierung konnte erfolgreich den Eindruck erwecken, dass die so genannte Eurokrise weitgehend gelöst ist.
Und keine der Oppositionsparteien wollte die undankbare Rolle des Boten des Unheils übernehmen. Selbst der kleine Moment der Wahrheit, als der Finanzminister im Städtchen Ahrensburg auf einer Wahlkampfveranstaltung für Senioren ein weiteres Rettungspaket für Griechenland ankündigte, machte wenig Eindruck. Es bleibt abzuwarten, ob Schäubles Hoffnung aufgeht, dass der beginnende Aufschwung die Fehler der Vergangenheit vergessen macht, oder ob das Scheitern der deutschen Europapolitik auch in Deutschland offensichtlich wird.
Ähnliche Artikel
- 07.05.2013
- 26.04.2012
- 25.10.2011
GREGOR GYSI: 90 Prozent unserer Zeit darauf verwenden, Politik zu machen
- 02.10.2013
Der Erfolg der griechischen Neonazis zeigt, wohin Austerität führen kann
- 18.07.2013