Merkels Sparkurs spaltet Europa
DGB klartext 17/2013
Es regt sich was in Europa: Nach Spaniens Wirtschaftsminister und EU-Kommissions-Präsident Barroso fordert auch Italiens neuer Präsident Enrico Letta ein Ende der bisherigen Sparpolitik. EU-Sozialkommissar László Andor fordert höhere Löhne in Deutschland. Immer mehr Politiker rebellieren gegen den von Angela Merkel verordneten Kurs. Und alle haben sie Recht!
Denn Merkels Anti-Krisenpolitik spaltet Europa und hinterlässt immer katastrophalere Verwerfungen: Lohnkürzungen in Spanien, Griechenland & Co. haben dazu geführt, dass es vielen Menschen am Nötigsten fehlt. An größere Anschaffungen ist gar nicht zu denken. Die private Nachfrage in diesen Ländern sinkt rapide. Zudem sinkt wegen des öffentlichen Sparkurses die staatliche Nachfrage. Unternehmen gehen Aufträge verloren. Rezession breitet sich aus. Die Arbeitslosigkeit erklimmt immer neue Rekordhöhen. Mittlerweile zeigt die Krisenerfahrung: Je radikaler die Kürzungsprogramme, desto schlechter die konjunkturelle Lage im jeweiligen Land (s. Grafik). Natürlich treffen die Kürzungen früher oder später auch die Nachfrage nach deutschen Produkten.
Trotz aufkeimender Kritik am Merkel-Kurs gehen Kürzungen unvermindert weiter: In Griechenland wurden erst am vergangenen Wochenende Mindestlöhne de facto außer Kraft gesetzt, um Lohnsenkungen für Jugendliche durchzusetzen. Im Öffentlichen Dienst stehen Massenentlassungen bevor.
Die Bundesregierung versucht unterdessen, von ihrer Mitschuld am europäischen Debakel abzulenken und wettert gegen angeblich zu stark gestiegene Löhne in Frankreich. Das ist purer Unfug. Denn gerade in Frankreich ist es so gut wie nirgends in der Eurozone gelungen, gesamtwirtschaftlich gerechte und stabilisierende Lohnsteigerungen zu befördern: Dort entwickelten sich die Löhne im letzten Jahrzehnt fast im Gleichklang mit der Produktivität und der von der Europäischen Zentralbank angestrebten Zielinflationsrate. In Deutschland hingegen wuchs das gesamtwirtschaftliche Lohnniveau zu langsam – wegen der abnehmenden Tarifbindung und der Ausbreitung von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung. Die Folge: Mit den Einkommen stagnierte auch die Konsumnachfrage hierzulande. Exporte wuchsen schneller als Importe. Ungleichgewichte und Instabilität breiteten sich in der Eurozone aus.
Wenn Deutschland jetzt von anderen Staaten verlangt, ihre Löhne und die Nachfrage zu drosseln, führt das nur in eine immer tiefere Abwärtsspirale: Europa gerät in die Rezessionsfalle.
Deshalb ist es wichtig, jetzt das Ruder rum zu reißen. EU-Kommissar Andor hat Recht: Deutschland braucht den Mindestlohn und höhere Löhne – auch zur Stabilisierung Europas. Darüber hinaus ist Deutschland in der besten Position, endlich ein großangelegtes Wachstumsprogramm – einen Marshallplan für Europa – anzustoßen. Die deutsche Opposition sollte auf den Zug der Merkel-Kritiker aufspringen. Barroso, Andor und die Kritiker aus Frankreich, Spanien und Italien brauchen jetzt Rückenwind aus Deutschland.