Dumping per Werkvertrag
Von Otto König und Richard Detje
Am »Welttag für menschenwürdige Arbeit« im Oktober demonstrierten Metall-Gewerkschafter vor dem Bundesarbeitsministerium in Berlin. Sie forderten, die Leiharbeit zu regulieren, den Missbrauch von Werkverträgen zu stoppen und einen flächendeckenden Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro einzuführen.
Seit Wochen rufen der Tod zweier Werkvertragsarbeiter auf der Papenburger Meyer-Werft im Emsland[1] und mehrere Skandale um den Einsatz von Werkvertraglern beim schwäbischen Automobilkonzern Daimler Schlagzeilen in den Medien hervor. Tenor: Die Arbeitgeber nutzen Leiharbeit und zunehmend Werkverträge nicht nur in Supermärkten und Schlachthöfen, sondern auch in der Industrie, um Flexibilitätsspielräume auszuweiten, Kündigungsschutz zu unterlaufen und Personalkosten zu senken, wie beispielsweise der ARD-Sendung »Hungerlohn unter dem Stern« dokumentierte. Dass moderne Lohnsklaven für Luxusliner und Edelkarossen schuften, macht soziale Spaltung, Ausbeutung und Ausgrenzung noch einmal sinnlich auf den Punkt.
Seit die Tariflöhne von Leiharbeitern steigen, werden immer öfter abhängig Beschäftigte als Werkvertragler zu niedrigen Löhnen beschäftigt.[2] In Deutschland arbeiten inzwischen 6,5 Millionen Menschen zu Niedriglöhnen. 1,4 Millionen davon müssen zusätzlich Sozialleistungen als so genannte »Aufstocker« beziehen. Laut Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verdient ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland weniger als 9,54 Euro brutto in der Stunde, die als Niedriglohnschwelle gelten. Damit ist die Geringverdienerquote höher als in Staaten wie Zypern, Bulgarien oder Polen. Besonders betroffen von den niedrigen Gehältern sind Frauen, Jüngere, Ausländer, Teilzeitkräfte und Arbeitnehmer in Kleinbetrieben.
Dieser Entwicklungen stellten die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie im Frühjahr 2013 ihre Forderung nach sicherer und fairer Arbeit dagegen. Eine Umfrage der IG Metall ergab: Gute Arbeit definiert sich über das klassische Normalarbeitsverhältnis – unbefristet (für 88% sehr wichtig), mit verlässlichem und ausreichendem Einkommen (83%) und abgesichert durch sozialstaatliche Leistungen. Entsprechend forderten zwei Drittel der an der Befragung Beteiligten die Eindämmung des Niedriglohnsektors und 67% eine gesetzliche Neuregelung von Leiharbeit und Werkverträgen.[3]
Die IG Metall Küste und die Geschäftsführung der Meyer-Werft reagierten: Sie schlossen zwischenzeitlich einen Haustarifvertrag ab,[4] in dem die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten von Werkvertragsunternehmen, die länger als einen Monat auf der Werft im Einsatz sind, nunmehr geregelt sind. Es wurden soziale Mindeststandards und ein Mindestlohn von 8,50 Euro vereinbart. Beim Ersteinsatz müssen die ausländischen Arbeitnehmer schriftlich in ihrer Muttersprache über den geltenden Arbeits- und Gesundheitsschutz aufgeklärt werden. Die Werkvertragler dürfen künftig Sozialräume wie die Betriebskantine sowie Wasch- und Umkleideräume nutzen, wenn sie sich auf dem Werksgelände aufhalten.
Der Tarifvertrag stärkt zudem die Informations- und Kontrollrechte des Betriebsrats bei der Arbeitssicherheit, beim Gesundheitsschutz und bei der Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeit. Um Transparenz herzustellen, muss die Geschäftsführung die Interessenvertretung künftig laufend über die Anzahl und den Inhalt der Werkverträge informieren. In einer gemeinsamen Kommission, die sich monatlich trifft, werden Verstöße gegen den Tarifvertrag geprüft und Konsequenzen bis hin zur Kündigung von Verträgen mit Sub-Unternehmen beraten. In streitigen Fällen kann das Betriebsratsgremium die Einigungsstelle anrufen.
Die Mitbestimmung des Betriebsrats wurde ausgeweitet, indem die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes künftig auf Werksvertragler angewandt werden.[5] Das hatte der Arbeitgeber bisher abgelehnt. Der Tarifvertrag ist ein erster Schritt. Doch »mit Tarifverträgen allein werden wir den Missbrauch von Werkverträgen nicht stoppen« (Meinolf Geiken, Bezirksleiter IG Metall Küste). Notwendig sind flankierende gesetzliche Regelungen.
Eine erste Aufgabe in Sachen betrieblicher Mitbestimmung und Eindämmung von prekären Arbeitsverhältnissen hat der Bundesrat den neu- bzw. wiedergewählten Abgeordneten des 18. deutschen Bundestages mit auf den Weg gegeben. Die Länderkammer verabschiedete im September einen »Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen und zur Verhinderung der Umgehung von arbeitsrechtlichen Verpflichtungen«.[6] Dazu sollen Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sowie im Betriebsverfassungsgesetz vorgenommen werden mit dem Ziel schärferer gesetzlicher Regelungen für Werkverträge und eine klar geregelte Mitbestimmung für Betriebsräte.
Dagegen laufen die Wirtschaftsverbände Sturm. »Wer die Nutzung von Werkverträgen einem Quasi-Vetorecht des Betriebsrats unterwirft, schränkt in unzulässiger Weise die unternehmerische Freiheit ein«, warnt der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbau-Verbands VDMA, Hannes Hesse. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall wittert Verfassungswidrigkeit. Zum Vorreiter im Kampf gegen die Erweiterung der Mitbestimmung der Betriebsräte hat sich Daimler-Arbeitsdirektor Wilfried Porth aufgeschwungen. Allein in der Daimler-Zentrale mit 12.000 Festangestellten sind aktuell 2.086 Arbeitnehmer von Werksvertragsfirmen eingesetzt.
Die Unternehmensseite brach Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat über betriebliche Regelungen zu Leiharbeit und Werkverträgen ab. Der Personal-Vorstand lehnte die Forderung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung, die Anwendung regionaler Tarifverträge beim Einsatz von Werksvertrags-ArbeitnehmerInnen zum Mindeststandard zu machen, brüsk ab, verließ den Verhandlungstisch und verkündete einseitig so genannte »Soziale Grundsätze für Werksvertragsunternehmen«: Die Erteilung von Aufträgen soll in puncto Löhne lediglich an das Niveau der »Einstiegsvergütung des jeweiligen regionalen Branchentarifvertrags« gekoppelt werden.
Aus Sicht des GBR-Vorsitzenden Erich Klemm ist es keine faire und angemessene Vergütung, wenn Beschäftigte der Fremdfirmen nur Anspruch auf das unterste tarifliche Mindestentgelt und nicht auf eine Vergütung entsprechend ihrer Eingruppierung haben. »Die Unternehmen sind fest entschlossen, das Instrument Werk- und Dienstverträge zur Kostensenkung zu nutzen. Sie wollen zunehmend Arbeiten und Leistungen von außen billig einkaufen und nehmen billigend in Kauf, dass sich die anbietenden Firmen durch Lohndrückerei gegenseitig unterbieten«, kommentierte der designierte 2. Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hoffmann, die Blockadepolitik des Autokonzerns. Vor diesem Hintergrund stehe umso mehr der Gesetzgeber in der Pflicht.
Doch nicht sanktionsbewährte Appelle an den Gesetzgeber zu richten, wird auch in einer großen Koalition, in der sich die SPD legitimieren muss, keine annähernd hinreichende hinreichende Initiative sein. Gerade der Gesamtbetriebsrat von Daimler hat andere Möglichkeiten, die Blockadepolitik der Unternehmen und Arbeitgeberverbände aufzusprengen – mit betrieblichen Aktionen einer hochorganisierten Belegschaft. Erweiterte Mitbestimmungsrechte greifen in das Direktionsrecht des Managements ein; die Regulierung und Eindämmung des Einsatzes von Fremdfirmen und Werkverträgen bedeutet, Einschnitte in die Restrukturierungs- und Rationalisierungspolitik der Unternehmen vorzunehmen.
Ohne betrieblichen Druck dürfte da wenig gehen. Wie es gehen kann, zeigten die Daimler-Arbeiter in Bremen: Aus Protest gegen die Absicht des Managements, Anbauteile wie Kotflügel, Heckklappen und Motorhauben nicht mehr mit der Stammbelegschaft zu fertigen, sondern an Zulieferer zu vergeben, standen in den vergangenen Wochen mehrmals die Bänder still. Dieser betriebliche Widerstand gegen prekäre Beschäftigung muss verstärkt und kampagnenartig vernetzt werden. Auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall im November in Frankfurt sollte dazu ein deutliches Signal gesetzt werden.
[1] Vgl. Otto König/Richard Detje »Lohnsklaven der Weltwirtschaft«, Werkverträge – Lohndumping –Drei-Klassen-Gesellschaft, Sozialismus 9/2013.
[2] Leiharbeiter in Westdeutschland erhalten vom kommenden Jahr an mindestens 8,50 Euro pro Stunde. In Ostdeutschland ist der Satz mit 7,86 Euro deutlich niedriger. Erst im Juni 2016 sollen hier Leiharbeiter mindestens 8,50 Euro erhalten.
[3] Zwischen Mitte Februar und Ende April 2013 beteiligten sich 514.134 Beschäftigte in 8.400 Betrieben aus dem Organisationsbereich der IG Metall an einer Umfrage der Gewerkschaft. Rund 165.000 (41%) waren nicht Mitglied der IG Metall.
[4] »Haustarifvertrag in Ergänzung der getroffenen Bündnisvereinbarungen zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei der Vergabe von Aufträgen an Werkvertragsunternehmen«, abgeschlossen zwischen Meyer-Werft und IG Metall Bezirksleitung Küste, 12. September 2013.
[5] Überwachung der Einhaltung von Gesetzen und Tarifverträgen (§ 80 Abs 1) und Aushändigung der dazu notwenigen Unterlagen (Abs. 2) und Mitsprache bei der Personalplanung (§§ 92 und 92a).
[6] Bundesrat- Drucksache 687/13, Gesetzesantrag der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz »Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen und zur Verhinderung der Umgehung von Arbeitsrechtlichen Verpflichtungen«, 11. September 2013.