"Und was wollt ihr jetzt machen? Uns umbringen?" Chrysi Avgi und der Rechtspopulismus in Europa
Von Otto König und Richard Detje
Der Parteichef Nikolaos Michaloliakos sitzt in Haft und gegen die halbe Parlamentsfraktion der griechischen rechtsextremen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) wird ermittelt. Erst kürzlich hob das griechische Parlament die Immunität von sechs Abgeordneten dieser Gruppierung auf. Die Anklage-Liste ist lang: Sie reicht von Totschlag über Körperverletzung, Erpressung, illegalem Waffenbesitz, Sprengstoffanschläge bis hin zur Geldwäsche.
Jetzt stoppte die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten die staatliche Finanzierung für Chrysi Avgi. 235 der 300 Abgeordneten verabschiedeten eine Gesetzesänderung, die unter bestimmten Voraussetzungen den Entzug staatlicher Hilfen vorsieht.[1] Auf Grundlage des Wahlergebnisses vom Juni 2012 standen ihr Mittel in Höhe von 3,75 Millionen Euro zu (Griechenland net, 23.10.2013).
Den Ausschlag für das Vorgehen von Politik und Justiz gegen die Neonazi-Szene gab die Ermordung des 34-jährigen Rappers Pavlos Fyssas. Der Musiker, bekannt unter dem Namen Killah P, der in verschiedenen Formationen und Projekten in der Hip-Hop-Szene engagiert war, verfasste und sang antifaschistische Lieder und unterstützte als Gewerkschafter Mobilisierungskampagnen der Werftarbeiter.
Am 18. September 2013 wurde er in Keratsini, einem Arbeiterviertel in Piräus, auf offener Straße niedergestochen. Das Mitglied der Metall-Gewerkschaft verfolgte in der Tatnacht mit Freunden ein Fußballspiel in einem Café. Dabei kam es zum Streit mit Chrysi Avgi-Anhängern, die per SMS Schläger zur Verstärkung herbei riefen. Laut Zeugen waren Fyssas letzte Worte: »Und was wollt ihr jetzt machen? Uns umbringen?« (Spiegel online, 19.9.2013)
Die Gewalttat löste landesweit und international Empörung hervor. Durch zahlreiche antifaschistische Aktionen in den griechischen Städten sahen sich die politisch Verantwortlichen gezwungen, Maßnahmen gegen die Rechtsradikalen einzuleiten. Schon geraume Zeit zuvor hatten kritische Beobachter Polizei und Justiz vorgeworfen, die Hetzreden und Gewalttaten der Rechtsextremen viel zu lange geduldet bzw. sogar stillschweigend toleriert zu haben – auch in der Nacht, als Fyssas zu Tode gehetzt wurde.
Die Justiz übte sich lange in Lethargie. Ein Antirassismus-Gesetz wurde nie umgesetzt. Faschistisch motivierte Gewalttäter gingen straffrei aus. Hatte doch die Regierung der »Nea Demokratia« unter Andonis Samaras mit ihrer »Law und Order«-Politik selbst eine Kampagne mit dem Versprechen gestartet, die »illegalen« Migranten zu deportieren und damit zu zeigen, dass Griechenland ein »souveränes« Land sei.
Die zunehmende Verelendung breiter Bevölkerungsschichten verschaffte rassistisch-rechtsextremistischen Gruppierungen Aufwind. Die von der Troika dem griechischen Volk aufoktroyierte Austeritätspolitik greift seit 2010 massiv in das Sozialgefüge des Landes ein: Zentrale Angriffspunkte waren und sind Entlassungen, Privatisierungen, die umfassende Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, rabiate Lohnkürzungen und tiefe Eingriffe ins Pensionssystem. Per Gesetz wurde das Branchenkollektivvertragssystem de facto ausgehebelt, die Nachwirkzeit von Kollektivverträgen eingeschränkt sowie der gesetzliche Mindestlohn um 22% auf 548 Euro netto (für ArbeitnehmerInnen unter 25 Jahre auf 490 Euro) gekürzt.
Die perspektivische Privatisierung aller (teil) staatlichen Infrastruktureinrichtungen und Unternehmen wurde durch die Aufweichung des Kündigungsschutzes und totale Flexibilisierung der die Arbeitszeit flankiert. Darüber hinaus wurden im Gesundheitsbereich massive Einsparungen vorgenommen: Öffentliche Krankenhäuser und Gesundheitszentren wurden geschlossen, die Selbstbehalte für Patienten erhöht und Medikamente nur noch gegen Barzahlung abgegeben – mit der Folge breitflächigen medizinisch-sozialen Notstands.[2]
Die Wut der Menschen gegen die »ökonomische Verwüstung« und den sozialen Kahlschlag ließ zwar den Widerstand anwachsen, gleichzeitig fand jedoch rechtsextremes Gedankengut in allen Gesellschaftsschichten zunehmend Akzeptanz. Insbesondere geringqualifizierte Jüngere, Arbeitslose und Randgruppen wenden sich verstärkt der Neonazi-Partei zu. »Die Goldene Morgenröte spekuliert genau auf das von der Austeritätspolitik verursachte Elend der Menschen, aber auch auf ein diffuses Gefühl in der griechischen Gesellschaft, dass die das Land betreffenden Entscheidungen außerhalb Griechenlands getroffen würden.« (Maria Markantonatou)[3] Die Mandatsträger von Chrysis Avgi predigen den Schutz des Griechentums und agitieren mit volksverhetzenden und rassistischen Hasstiraden vor allem gegen Flüchtlinge aus Afrika und Südasien.
In Folge der sozialen Spannungen erhielt Chrysi Avgi bei den letzten Wahlen fast 7% und zog damit zum ersten Mal mit 18 Abgeordneten ins Parlament ein. Mittels paramilitärischer Strukturen kontrollieren die Rechten inzwischen in der griechischen Hauptstadt ganze Stadtteile. In Athen kommt es inzwischen tagtäglich zu organisierten Überfällen auf Migranten. Im Zeitraum von Januar 2012 bis April 2013 gab es laut einer Studie der griechischen Ombuds-Behörde landesweit 281 Überfälle und Misshandlungen mit rassistischem Hintergrund (ND, 28.9.2013).
Auch die linksliberale Wochenzeitung »To Vima« listet für die vergangenen drei Jahre mindestens 300 Fälle rechter Gewalt auf. Diesen Terror weiteten die rechten Schläger nun gegen Linke und Gewerkschafter aus. Bereits eine Woche vor dem Mord an dem Antifaschisten Fyssas waren Mitglieder der Kommunistischen Partei (KKE) und der Werftarbeitergewerkschaft in Perama, einem Nachbarort von Keratsini, attackiert worden.
Der Mord an Pavlos Fyssas hat die griechische Öffentlichkeit aufgerüttelt. Die demokratische Bewegung hat die Regierung unter Druck gesetzt, Chrysi Avgi-Abgeordnete zu verhaften und ihrer Partei den staatlichen Geldhahn zuzudrehen. Dies ist ein wichtiger und hoffentlich kein singulärer Schritt.[4]
Doch die Signalwirkung ist insofern begrenzt, weil sich die antidemokratische und ausländerfeindliche Rechte eben nicht nur in diesen extremistischen Gruppierungen, sondern sehr viel mächtiger in jenem breiten europäischen rechtspopulitischen Spektrum von den Dänischen Volkspartei bis zur Lega Nord in Italien organisiert. Und eben nicht an den Rändern, sondern im Zentrum, wie die politischen Kräfteverhältnisse in Frankreich oder Österreich zeigen. Ein EU-Gipfel, dem zu Lampedusa partout nichts mehr einfällt, weil sich an der Asyl- und Ausländerpolitik nichts ändern soll, ist Wasser auf die Mühlen der antieuropäischen Rechtspopulisten ebenso wie die perspektivlose Fortsetzung der die sozialen Verhältnisse zersetzende Troika/EU-Politik.
Die politischen Stimmungslagen und Verhältnisse verändern sich gegenwärtig in Europa in einem atemberaubenden Tempo. Es wird höchste Zeit, dass die gesellschaftliche, demokratische Linke zu einer europäischen Antwort zusammenfindet.
[1] Die Gesetzesnovelle besagt: Parteien, von denen mindestens ein Fünftel der Abgeordneten oder der Parteivorsitzende wegen strafrechtlicher Vergehen oder terroristischer Taten juristisch verfolgt werden, dürfen keine staatlichen Zuschüsse mehr erhalten. Darüber muss jedoch im jeweiligen Fall das Parlament befinden.
[2] Vgl. Katrin Niedermoser: Die Auswirkungen der Krisenbearbeitung in Griechenland, in: Gegenblende (DGB), 27. Februar 2013.
[3] Maria Markantonatou unterrichtet Politische Soziologie an der Fakultät für Soziologie der Aegean Universität (Griechenland). Sie hat im Sammelband »Nation – Ausgrenzung – Krise. Kritische Perspektiven auf Europa«, Edition Assemblage 2013, einen Beitrag zu diesem Thema verfasst.
[4] Die rechtsradikalen NSU-Täter offenbaren, dass es auch in Deutschland eine rechtsterroristische Szene gibt. Die ermordeten Migranten mahnen im Kampf gegen Faschismus und Rassismus nicht nachzulassen. Ein Verbot der neofaschistischen NPD gehört auf die Agenda des neu gewählten 18. Bundestages in Berlin. Es ist längst überfällig, dass diesen ausländerfeindlichen Volksverhetzern die staatliche Subvention durch Steuergelder und die logistische Unterstützung durch V-Leute des Inlands-Geheimdienstes entzogen wird.
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