EU: Steuerflucht als Geschäftsmodell
Von Axel Troost
Lange Zeit galt Steuerflucht als Kavaliersdelikt, das nicht ernsthaft verfolgt wurde. Mit der Anklage des Fußballfunktionärs Uli Hoeneß rückt zwar derzeit die Steuerhinterziehung durch wohlhabende Privatpersonen wieder in den Fokus der Politik. Das Ausnutzen von Steuerschlupflöchern durch Unternehmen und die damit verbundene Steuervermeidung werden jedoch noch immer als mehr oder weniger legitime Form der Wirtschaftsförderung angesehen. Dem will die EU nun endlich einen Riegel vorschieben. Doch schon jetzt ist absehbar, dass daraus nichts wird.
Der Schaden durch die Steuervermeidung ist gigantisch. Laut Europäischem Parlament gehen „in der EU pro Jahr schätzungsweise eine Billion Euro durch Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und aggressive Steuerplanung verloren“. Dies entspricht einer „jährliche[n] Kostenbelastung von annähernd 2000 Euro pro EU-Bürger“.[1] Groben Schätzungen zufolge dürften sich die Verluste durch die Nichtversteuerung von Unternehmensgewinnen in Deutschland auf das 20fache dessen belaufen, was der Fiskus durch die private Steuerhinterziehung in Steueroasen verliert.[2]
Meister der kreativen Buchführung
Besonders Apple gilt als Vorreiter der kreativen Steuerbuchhaltung. Der Konzern mit Sitz in Kalifornien kombiniert die Lücken im irischen, niederländischen und US-amerikanischen Steuerrecht geschickt, um Gewinne in karibische Steueroasen umzuleiten. Auf diese Weise zahlt er auf seine Auslandsgewinne nur einen Steuersatz von 1,9 Prozent. Für Gewinne im US-Inland wird für Apple dagegen ein Körperschaftsteuersatz von bis zu 35 Prozent fällig.
Auch die anderen Riesen des digitalen Zeitalters, Google, Facebook und Amazon, zahlen auf ihre Auslandsgewinne kaum Steuern. Google und Facebook nutzen dabei ebenfalls irische und niederländische Konzerntöchter, um Gewinne in die berüchtigten Steueroasen Bermuda bzw. Kaimaninseln zu schleusen.
Amazon hingegen hat Markenrechte, Patente und andere Formen geistigen Eigentums auf eine Gesellschaft in Luxemburg übertragen. Luxemburg erhebt auf Lizenzgewinne kaum Steuern, weswegen es für Amazon lukrativ ist, dass seine europäischen Unternehmenstöchter ihre Gewinne über Lizenzgebühren nach Luxemburg verschieben und nicht an Ort und Stelle versteuern. So konnte Amazon seinen in Deutschland zu versteuernden Gewinn kräftig drücken und musste trotz eines Umsatzes von 8,7 Mrd. Euro lediglich 3,2 Mio. Euro Unternehmensteuer an den deutschen Fiskus abführen.[3]
Doch nicht nur ausländische Konzerne praktizieren aggressive Steuervermeidung. Auch der deutsche Software- und DAX-Konzern SAP reduziert mit Hilfe irischer Tochterfirmen seine Steuerlast. Auf diese Weise spart er jährlich über 100 Mio. Euro ein,[4] wovon nach Schätzungen des Tax Justice Network etwa 17 Mio. Euro dem deutschen Fiskus entgehen.
Derlei Steuertricks belasten die öffentlichen Kassen und ruinieren die Steuermoral. Die Multis können die eingesparten Gelder zudem noch dazu nutzen, kleinere Unternehmen vom Markt zu verdrängen, die diese Tricks mangels Auslandsgeschäft oder Größe nicht anwenden können. Nichts jedoch ruft die EU-Kommission so schnell auf den Plan, wie die Beeinträchtigung des fairen Wettbewerbs.
Daher präsentierte sie im Dezember 2012 einen Aktionsplan sowie zwei Empfehlungen wider aggressive Steuervermeidung und Steueroasen. Dabei hat sie erfreulicherweise auch Forderungen zivilgesellschaftlicher Akteure wie dem Tax Justice Network und Attac aufgegriffen. Die OECD legte ebenfalls einen Aktionsplan zur Besteuerung multinationaler Konzerne vor, den die G 20 auf ihrem letzten Gipfel in St. Petersburg im September übernahm. Der Haken ist nur: Die Vorschläge von EU wie OECD sind lückenhaft und dürften zudem im weiteren politischen Prozess weiter aufgeweicht werden. So droht die Jagd auf die Steuersünder schon bald als politischer Aktionismus wieder zu verpuffen.
Das Schließen von Steuerschlupflöchern
Für den schleppenden Reformprozess ist auch die Komplexität des Themas verantwortlich. Steuertricks lassen sich nur äußerst schwer nachvollziehen, da jede nationale Konzerngesellschaft für Steuerzwecke als getrennte Einheit betrachtet wird. Umso wichtiger aber wäre es, dass Unternehmen konsequent offenlegen müssen, in welchen Ländern sie mit welchen Tochtergesellschaften aktiv sind, wo sie welche Umsätze und Gewinne erzielen und wo sie welche Steuern abführen (sogenanntes country-by-coun-try-reporting). Dadurch ließen sich legale und illegale Tricks aufspüren und Steuerschlupflöcher auf mittlere Sicht durch geeignete Gegenmaßnahmen stopfen. Auch Korruption wäre damit erschwert.
Seit Sommer dieses Jahres müssen laut einem EU-Beschluss alle Unternehmen aus dem Rohstoff- und Forstsektor ihre Gewinne Land für Land offenlegen. Zudem müssen Banken ab 2015 länderbezogene Angaben über Gewinne, Steuern und Beihilfen veröffentlichen. Doch für Apple und Co. bleibt leider alles beim Alten. Dabei sind gerade Unternehmen der digitalen Wirtschaft besonders stark als Steuertrickser aufgefallen. Sie können ohne physische Präsenz in erheblichem Maß in der Wirtschaft eines Landes aktiv sein und operieren stark mit immateriellen Vermögensgütern, über die sich Gewinne besonders leicht verschieben lassen.
Nicht nur die EU tut sich schwer, die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Die OECD will vorerst hauptsächlich nur die Schwierigkeiten identifizieren, die überwunden werden müssen. So beschränken sich ihre „Maßnahmen“ gegen einzelne Varianten der Gewinnverschiebung in Steueroasen (etwa durch übermäßige Zins- und Lizenzüberweisungen oder manipulierte konzerninterne Verrechnungspreise) darauf, ausführliche Studien anzuregen.
Der Kampf gegen Steuerflucht wird somit auf die lange Bank geschoben. Im Abschlusskommuniqué des Sankt-Petersburger G 20-Gipfels heißt es entsprechend lapidar, der OECD-Aktionsplan „entwickelt eine ambitionierte Agenda zur Untersuchung fundamentaler Aspekte der internationalen Steuerregeln“.
Der Kampf gegen die doppelte Nichtbesteuerung
Immerhin kündigte die EU an, die Regeln zu steuerbefreiten Gewinnausschüttungen von Tochter- an ihre Muttergesellschaften zu ändern, was sich etwa im irischen Steuerrecht bemerkbar machen würde. Auch die Regeln zur Steuerbefreiung von Zins- und Lizenzeinnahmen sollen überarbeitet werden. Doch dafür ist Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten erforderlich. Kein Wunder also, dass die Verhandlungen über die entsprechenden Richtlinien nicht vorankommen.
Ähnlich zäh geht es im Kampf gegen die doppelte Nichtbesteuerung voran. Eigentlich sollen weltweit mehr als 3000 Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) die Besteuerungsrechte zwischen Staaten austarieren und so doppelte Versteuerungen von Unternehmensgewinnen vermeiden. Allerdings sehen die bilateralen Verträge bislang nur selten Regeln vor, die wirksam eine doppelte Nichtbesteuerung von Unternehmen verhindern. So kann es vorkommen, dass der Wohnsitzstaat eine steuerliche Freistellung gewährt, obwohl auch im Quellen- bzw. Tätigkeitsstaat die betreffenden Einkünfte steuerfrei bleiben. Um diese ungewollte Begünstigung abzuschaffen, wollen die EU-Kommission und die OECD neue Klauseln in Doppelbesteuerungsabkommen einführen.
Die Bundesrepublik hat solche Klauseln bereits in seine DBA unter anderem mit Österreich, der Schweiz und den USA aufgenommen. In der nationalen Steuergesetzgebung sollen außerdem allgemeine Missbrauchsklauseln verankert werden. Demnach sollen künstliche Vorkehrungen, die nur der Steuervermeidung dienen, von den Finanzämtern künftig nicht mehr berücksichtigt werden.
Doch selbst wenn die DBA angepasst werden, bleiben solche einzelstaatlichen Maßnahmen stets Flickschusterei. Weitaus effektiver wären multilaterale Abkommen. Aus diesem Grund fordert auch das Europaparlament, dass die EU-Kommission fortan im Namen aller Mitgliedstaaten Steuerabkommen mit Drittländern aushandelt.[5] Auch die OECD regt ein multilaterales Instrument zur Änderung bilateraler Steuerabkommen an. Statt jedes DBA einzeln neu zu verhandeln, könnten diese dann in relativ kurzer Zeit auf einen Schlag geändert und auch künftig je nach Bedarf schnell angepasst werden.
Die Trockenlegung von Steueroasen
Um das Problem der Steuervermeidung jedoch direkt an der Wurzel zu packen, müssten die Steueroasen gänzlich trockengelegt werden – innerhalb wie außerhalb der EU. Seit langem fordern Nichtregierungsorganisationen, Geschäftstätigkeiten von Unternehmen in Steueroasen zu sanktionieren und schlagen dafür eine schwarze Liste von Staaten vor, die als Steueroasen fungieren.[6] Diese Idee griff das EU-Parlament auf und forderte entsprechend harsche Auflagen für Geschäfte mit Staaten auf dieser Liste. So soll es EU-Finanzinstituten und Finanzberatern untersagt werden, Töchter in Steueroasen zu unterhalten. Auf alle Transaktionen in oder aus Steueroasen sollen zudem Sonderabgaben anfallen und für den Handel mit Steueroasen Zollschranken errichtet werden. Diese Forderungen des EP finden jedoch bislang in den EU-Mitgliedstaaten kein Gehör.
Auch eine grundlegende Reform der Unternehmensbesteuerung könnte Steuerflucht eindämmen, genauer eine Unitary Taxationoder zu Deutsch: eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB). Eine solche einheitliche Besteuerung böte zahlreiche Vorteile, da sie nicht mehr auf dem für jedes Land einzeln ausgewiesenen Unternehmensgewinn basiert. Stattdessen nähme der Fiskus den Anteil des globalen Konzerngewinns als Bemessungsgrundlage, der der Wertschöpfung des Konzerns in dem jeweiligen Land entspricht – gemessen an Umsatz, investiertem Kapital und Anzahl der Beschäftigten. Ein Konzern, dessen Wertschöpfung zur Hälfte in Deutschland stattfindet, muss dann auch die Hälfte seines Gesamtgewinns in Deutschland versteuern – ganz gleich, wo er seine Profite ausweist. Die traditionelle Gewinnverschiebung in Steueroasen ließe sich damit effektiv unterbinden.
Doch weder die OECD noch die EU verfolgen derzeit ernsthaft den Plan, eine Unitary Taxeinzuführen. Zwar legte die Kommission im Jahr 2011 einen ersten und noch unzureichenden Richtlinienentwurf für eine GKKB vor. Der Vorschlag ist jedoch inzwischen in Vergessenheit geraten. Stattdessen treibt die Kommission – nicht zuletzt auf Betreiben der Bundesregierung – bloß eine europaweite Harmonisierung der Regeln zur Gewinnermittlung voran (das heißt eine gemeinsame Bemessungsgrundlage), aber ohne letztlich die Gewinne gemäß der Anteile an der Wertschöpfung auf die einzelnen Staaten aufzuteilen. An der Gewinnverschiebung ins Ausland und dem ruinösen Steuersenkungswettlauf wird sich dadurch nichts ändern.
Der angeheizte Steuerwettbewerb
Offenbar ist es den EU-Staaten also doch nicht so ernst mit dem Kampf gegen die Steuervermeidung. Das zeigt sich auch daran, dass der ganz normale Steuerwettbewerb in Europa unvermindert weitergeht. So gab die portugiesische Regierung Ende Juli 2013 bekannt, den Körperschaftsteuersatz von 25 auf 19 Prozent zu reduzieren. Sie begründete die Senkung damit, dass der Steuersatz gleichauf mit denen Polens und Tschechiens liegen müsse, um Investoren abzuwerben. Auch Griechenland, Irland und Zypern haben Unternehmen aktiv zur Steuervermeidung eingeladen. Gerade hier hat die Union die Chance auf eine Regulierung tatenlos verstreichen lassen: Obwohl diese Staaten infolge ihrer hohen Staatsverschuldung von der Union umfangreiche Strukturreformen aufgedrückt bekamen, spielten Maßnahmen gegen Steuerflucht darin praktisch keine Rolle.
Dieses Versagen der EU wird sich noch bitter rächen. Der europäische Steuersenkungswettbewerb reißt die Union nur noch tiefer in den Krisenstrudel, denn die Annahme, dass niedrigere Steuersätze zu mehr Investitionen und folglich höheren Einnahmen führen, ist historisch längst widerlegt. Dennoch bekämpft die EU hohe Defizite immer noch primär auf der Ausgaben- und nicht auf der Einnahmeseite. Mit weiteren Sparmaßnahmen wird sie der Krise aber nicht beikommen, im Gegenteil.
Zur Farce gerät die angekündigte Jagd auf Steuersünder nicht zuletzt durch die Aufnahme Lettlands in die Eurozone. Denn das frischgebackene EU-Mitglied etabliert sich mehr und mehr als das Zypern des Nordens. Mit der Euro-Einführung am 1. Januar 2014 werden dort weitere Steuererleichterungen für Holdings eingeführt – und das, obwohl der Unternehmensteuersatz mit 15 Prozent schon jetzt zu den niedrigsten in der Europäischen Union zählt.
Statt die Steueroasen innerhalb der EU trockenzulegen, werden somit sogar noch neue Fluchtmöglichkeiten für unternehmerisches Kapital geschaffen. Aggressive Steuervermeidung scheint für die EU ein fester Bestandteil ihres Wirtschaftsmodells zu bleiben.
[1] Europäisches Parlament, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Mai 2013 zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerflucht und Steueroasen, 2013/2060(INI), Brüssel 21.5.2013.
[2] Nicola Liebert, Steuergerechtigkeit in der Globalisierung, Münster 2011.
[3] Vgl. Amazon zahlt kaum Steuern in Deutschland, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 15.7.2013.
[4] Vgl. Special Report: How a German tech giant trims its U.S. tax bill, in: „Reuters“, 20.9.2013.
[5] Vgl. Europäisches Parlament, Ausschuss für Wirtschaft und Währung, Bericht über die Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerflucht und Steueroasen, Brüssel 2.5.2013.
[6] Vgl. dazu ausführlicher: Axel Troost, Die Europäische Union bläst zur Jagd auf Steuersünder, www.axel-troost.de.
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