Kommunen in Not
Von Bernhard Sander
Die Beratungsfirma Ernst & Young hat ihre Studie zur Finanzlage der Gemeinden aktualisiert. Die Beratung der Kämmerer ist ihr Geschäftsfeld und die consulting-Konzepte für Public-Private-Partnership liegen auf den Festplatten. Denn eines ist sicher: Für öffentliche Investitionen ist faktisch kein Geld mehr vorhanden, der öffentliche Kapitalstock verfällt.
Bereits im Vorjahr hatte E&Y um 0,9% sinkende Gesamteinnahmen der Städte für 2013 prognostiziert. Sowohl die Gewerbesteuereinnahmen als auch die Schlüsselzuweisungen der Landesregierungen sollten demnach sinken. Gleichzeitig würden die Sozialausgaben um etwa 3,6% wachsen und die Investitionen stagnieren bis leicht zurückgehen. »Die Sozialausgaben, so das Fazit, verhindern die finanzielle Gesundung der Gemeinden.« Die Mehrheit (55%) der Städte in Ost und West gleichermaßen lebt mit einem Haushaltsdefizit. Für zwei Drittel wurde bis 2015 Haushaltssicherungskonzepte erwartet, das heißt Genehmigungsvorbehalte der Innenministerien und die partielle Aushebelung kommunaler Demokratie. In der Befragung der Beratungsfirma sagt jede dritte Kommune, dass sie ihre Schulden aus eigener Kraft nicht tilgen wird können. 13% der befragten Kommunen steht bereits unter einem »Rettungsschirm« der jeweiligen Landesregierung, die nach ähnlichen Prinzipien funktioniert wie die Troika-Vorgaben auf europäischer Ebene: zwangsweiser Leistungsabbau, Unterlassung von Erhaltungsinvestitionen, Zwangsversteigerung öffentlichen Eigentums. Zum Ausgleich bekommen die Gemeinden Zinszuschüsse, Finanzhilfen usw. um ihren Haushalt in einer vorgegebenen Frist auszugleichen.
Die Schieflage ist struktureller Natur. Die Kämmerer NRWs sind der „Auffassung, dass die derzeitige Finanzausstattung nicht dem aktuellen Aufgabenbestand entspricht“ (Verletzung des Konnexitätsprinzips). Zweitens ist deutlich, dass Städte mit vielen armen Menschen selbst auch arm sind, Hartz IV-ler unter den Städten sind. Drittens erklärt sich daraus, dass die Schere zwischen Armen und Reichen nicht nur bei den privaten sondern auch bei den öffentlichen Haushalten auseinander geht.
Letztlich sind die Länderhilfen für die Kommunen aber keine neuerwachte Freundschaft zur kommunalen Familie, sondern dem Haftungsverbund geschuldet. Wenn man eine Kommune durch Finanzhilfen zu Leistungsabbau oder – was fast dasselbe ist – zu Personalkürzungen motivieren kann und der Haushaltsausgleich auf diese Weise durchgesetzt wird, kommt man um das Problem drohender, und rechtlich völlig ungeklärter Insolvenz und damit Haftung eines Bundeslandes für die Gesamtschulden seiner Gemeinden herum.
Beispiel NRW
Die Kommunalfinanzen sind nur die Spitze eines Eisberges. Unter der Linie des Sichtbaren bleibt in dieser Auseinandersetzung die Problematik der Schuldenbremse, die in erheblichem Maße auch auf die Kreise und Städte zusteuert. NRW hat 140 Mrd. Euro Schulden und zahlt dafür ca. vier Mrd. Euro Zinsen jährlich. Das schränkt den landespolitischen Handlungsspielraum schon mal erheblich ein. Aber bis 2020 sollen die Bundesländer ebenso wie die Kommunen im NRW-Stärkungspakt, einen ausgeglichen Haushalt, also keine Neuverschuldung mehr ausweisen. Dazu bedarf es noch erheblicher Anstrengungen, da z. B. NRW in diesem Jahr noch zwei Mrd. Euro zusätzlich aufgenommen hat.
Bisher hat die Landesregierung NRW keine besonderen Anstrengungen zum Erreichen der Schuldenbremse unternommen. Lediglich den Beschäftigten mit gehobener Beamtenlaufbahn wurde die Anpassung an die Tariferhöhung im öffentlichen Dienst verweigert, die Mittel für Denkmalschutz zum allgemeinen Unmut gekürzt und einige hundert Stellen gestrichen. Mit jedem Jahr Verzögerung schrumpfen die Spielräume und da die neue Koalition auf Bundesebene sich darauf verständigt hat, keine strukturelle Einnahmeverbesserungen durch Steuererhöhungen zu erzielen, wird der Engpass immer drückender.
Entsprechend steigt der ideologische Druck. So veröffentlichte das Arbeitgeber-Institut der deutschen Wirtschaft einen »Konsolidierungs-Check«, wonach Baden-Württemberg und NRW zu wenig sparen, während Berlin und Sachsen-Anhalt aus der Sicht des IW für ihren Schuldenabbau besonders hervorzuheben sind. Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg hätten ihre Haushalte bereits ausgeglichen und schlössen demnächst sogar – wie aktuell Bayern – mit Überschüssen ab. Die Länder sanieren sich dabei auch auf Kosten der Gemeinden.
Die schlaue rot-grüne Landesregierung in NRW ist auf die Idee verfallen, die zweite Stufe des Stärkungspaktes (weitere 27 Gemeinden) durch sogenannten Abundanz-Kommunen ko-finanzieren zu lassen, d.h. durch die Kommunen, deren Einnahmen deutlich über den Einnahmen liegen ( 59 »reiche« Kommunen sollen insgesamt 181,6 Mio. Euro »Kommunal-Soli« zahlen). Dagegen erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Verfassungsrechtliche Einwände wurden laut und auch der Landessprecher der Linken mochte von solcher Art Umverteilung nichts hören, da doch auch reiche Städte ihrer sozialen Verantwortung nachkommen müssten. In der Tat stellte sich heraus, dass ein Drittel der betroffenen »reichen« Kommunen selbst in Haushaltssicherung war. Das hat die Landesregierung dann so erschreckt, dass man den »Kommunal-Soli« auf jährlich 91 Mio. Euro in den nächsten sieben Jahren halbierte. Dennoch wurde Klage eingereicht.
Die Prognose der Berater von Ernst & Young scheint weitgehend einzutreten. Denn in der aktualisierten Ausgabe ihrer Untersuchung stellen sie fest, dass zwischen 2010 und 2012 der Gesamtschuldenstand von 44,8 auf fast 47,9 Mrd. Euro gestiegen ist. Dadurch wuchs die Pro-Kopf-Verschuldung allein zwischen 2011 und 2012 um 3,5%. Der Anteil der Großstädte mit einer sehr hohen Pro-Kopf-Verschuldung (> 4.000 Euro) ist in den vergangenen drei Jahren von 19 auf 29 % gestiegen. Der Anteil der Städte mit steigender Pro-Kopf-Verschuldung liegt in den Bundesländern NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz bei über vier Fünftel und in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen etwa bei einem Drittel.
Unter den Städten mit dem höchsten Schuldenzuwachs überwiegen NRW und Hessen. Dabei ist besonders Düsseldorf zu nennen, dass unter der CDU-Stadtregierung alles verkauft hat, was nicht niet- und nagelfest war. Düsseldorf galt zeitweilig (vor allem zur Zeit des CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers) als Vorzeigekommune und hat nun innerhalb von nur drei Jahren eine Verdopplung des Schuldenstandes zu verzeichnen hat. Insofern sollten die Spitzenreiter mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von nahe Null (Dresden, Wolfsburg, Stuttgart, Heilbronn, Jena – fast allesamt Automobilstädte) das Haupt nicht allzu hoch recken. Der sogenannte Strukturwandel, der die fünf Städte mit der höchsten Verschuldung (Oberhausen, Offenbach, Ludwigshafen, Hagen, Saarbrücken) bereits vor Jahren erwischt hat, könnte sich auch bei den exportverwöhnten Branchen ereignen.
Trübe Aussichten
Der Deutsche Städtetag lobt zwar die bekannt gewordenen Koalitionsvereinbarungen, die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen gesamtstaatlich zu finanzieren und Eingliederungshilfen für (Langzeit-) Arbeitssuchende aufzustocken. Aber niemand weiß bisher, wie viel dabei herauskommt. Rechenbeispiel: Wenn es auf Bundesebene eine Mrd. Euro mehr gibt, kommt in einer Stadt wie Wuppertal mit 350.000 Einwohnern etwa 20-25 Mio. Euro an.
Diese Entwicklung steigender kommunaler Verschuldung ist umso beunruhigender als die Liquiditätskredite trotz günstiger Rahmenbedingungen und Sonderfaktoren ansteigen statt zu sinken. Der Bund übernimmt ab 2014 die Grundsicherung im Alter und für Erwerbsgeminderte vollständig. Die Zinsen für öffentliche Kredite sind günstig wie nie. In NRW fließen über den Stärkungspakt Stadtfinanzen zusätzliche 421 Millionen Euro jährlich an überschuldete bzw. von Überschuldung bedrohte Gemeinden (bis 2020); ähnliche Regelungen gibt es in fast allen Bundesländern. Und nicht zu vergessen, dass im konjunkturellen Umfeld zwar nicht von Aufschwung, aber auch nicht von akuten rezessiven Tendenzen gesprochen werden kann. Diese günstige Situation wird nicht von Dauer sein.
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