HSH Nordbank: Desaster eines Prozesses
Knut Persson
Seit dem 24.7.2013 läuft in Hamburg der Prozess gegen den Vorstand der HSH Nordbank. Es geht um ein Projekt aus dem Dezember 2007 mit dem die Bank riskante Wertpapiere über die Niederlassung London (»London Branch«) kurzfristig auslagern wollte, um die aufsichtsrechtlichen Kennziffern (»Kernkapitalquote«) nach Basel 1 einhalten zu können.
Das Projekt hatte den Titel »Omega 55« – intern hieß es: »07/113 RWA Hedge BNPP«. Es stand in einer Reihe mit fünf weiteren Auslagerungen: alle mit den Ziel, riskante Wertpapiere in SPVs (Zweckgesellschaften) auszulagern. Das Projekt fuhr Verluste in Höhe von 158 Mio. Euro ein, sagt die Anklage und deswegen sei »Untreue in einem besonders schweren Falle« festzustellen. Der Strafrahmen hierfür reicht nach §266 StGB bis zu fünf Jahren Gefängnis (und weiter bis zu zehn Jahren). Es geht für die Angeklagten also um einiges.
Der Richter machte einleitend allerdings klar, dass nicht der Verlust, der durch unternehmerisches Risiko möglicherweise eingetreten sein könnte, Grundlage des Urteils ist, sondern der billigend durch Verträge (Stichtag ist der 21.12.2007) und Nebenabreden (Side Letters oder Credit Linkes Notes [CLN]) eingeplante Verlust zu Lasten der Bank. Ein Gutachten soll den tatsächlichen Verlust klären und das ist für Januar eingeplant. Alle sind gespannt.
Es geht in diesem Prozess um Risiken und deren Einschätzung: »Das bloße billigende Inkaufnehmen der Umstände des objektiven Tatbestands genügt. Bei Risikogeschäften, denen eine Verlustgefahr immanent ist, stellen sich daher besondere Probleme, weil der Täter meist in Kenntnis der Risikolage gehandelt hat«, sagt Wikipedia (abgerufen am 30.12.2013). Etliche Zeugen werden zu diesem Punkt befragt. Das Ergebnis der Befragung ist widersprüchlich. Staatsanwaltschaft und Richter tun sich schwer, das Gewirr aus ökonomischen und aufsichtsrechtlichen Risiken auseinander zu halten. Der Bank ging es Ende 2007 um das Letztere. Als sie im September 2008 zusammenbrach, ging es um die tatsächlichen ökonomischen Risiken.
Ob denn nun aus Omega 55 überhaupt ein Schaden entstanden ist für die Bank, ist aufgrund der Beweisaufnahme noch nicht geklärt. Der erste Zeuge (Mr. Sch. aus der London Branch), der hierzu befragt wurde, sagte aus, dass die Bank mit einem jährlichen Gewinn aus dem Omega 55 Geschäft in Höhe von drei Mio. Euro pro Jahr rechnete. Der Zeuge hat das zentrale Projekt-Dokument verfasst, dass als Grundlage für Omega 55 gilt: die »Credit Application«.
Er zeigte sich überhaupt sehr aufgeschlossen gegenüber der Aufforderung des Vorstandes, risikoreiche Wertpapiere auszulagern. Dafür gäbe es auch einen Markt, sagte Sch. »Der Markt« war allerdings äußerst zugeköpft, als es um die Auslagerung von spekulativen US-Immobilienpapieren ging. Lehman Brothers sagte dankend ab. Das war dann doch zu risikoreich für die Amis. BNP Paribas (BNPP) sagte zu, ließ sich das Geschäft dann aber so absichern, dass das ökonomische Risiko voll bei der HSH Nordbank blieb und für die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) lediglich die Auslagerung der aufsichtsrechtlichen Risiken wichtig erschien. Alle waren zufrieden Ende 2007 – bis dann Anfang 2008 die Liquiditätsfazilität zu Lasten der HSH Nordbank gezogen wurde. Da war es bereits Fünf vor Zwölf. Wenige Monate nur noch bis zum Zusammenbruch der Bank.
Zusammen gebrochen ist das Argument der Angeklagten, dass Omega 55 lediglich von untergeordneter Bedeutung gewesen und der Vorstand deshalb nicht in den Entscheidungsprozess involviert gewesen sei. Omega 55 erscheint in der Bilanz als Kredit der HSH Nordbank in Höhe von 2,4 Mrd. Euro. Hierbei handelt es sich um einen »Großkredit« – von Hans Berger (Vorstandsvorsitzender 2007) zunächst bestritten, um die Bedeutung des Projektes Omega 55 herunterzuspielen. Tatsächlich hatte die HSH Nordbank AG ein Eigenkapital (EK) am 31.12.2007 von 7,369 Mrd. Euro. Nach dem Kreditwesengesetz (KWG) darf ein Kredit an einen einzelnen Kunden maximal 10% des Eigenkapitals betragen (§ 13 KWG), also maximal 0,737 Mrd. Euro der gesamten Kreditsumme an den Kunden. Die Grenze war also glatt überschritten. Selbst wenn man die 25%-Linie nach KWG §13 III zugrunde legt (Anzeigepflicht gegenüber der BaFin nebst Genehmigung), war die Grenze überschritten.
Der Zeuge van G., der im Group Risk Management tätig war, berichtete von gemeinsamen Sitzungen des Vorstandes und des Aufsichtsrates, bei denen er die Risiken des Geschäftes Omega 55 dargelegte. Die Prüfer attestierten denn auch: »Wir erachten die mit der Transaktion verbundenen Risiken als akzeptabel und unterstützen deshalb die Transaktion.« (zitiert nach Bischoff/Persson/Weber: Tatort HSH Nordbank, Hamburg 2010, S. 81). Prüfer können sich irren: Anfang 2008 wurde die Liquiditätsfazilität gezogen und die Bank kam in Schieflage. Das Risiko erschien den Prüfern auch nur deshalb »akzeptabel«, weil wenige Monate später (April 2008) Omega 55 gekündigt werden sollte. Tatsache ist: 1. der Vorstand und der Aufsichtsrat waren umfangreich informiert und voll involviert, 2. die Größe des Geschäftes war erheblich und gegenüber der BaFin berichtspflichtig.
Es ist schwer vorstellbar, wie die Richter im Sommer 2014 entscheiden werden. Vieles hängt vom Gutachter ab, der den (möglichen) eingeplanten Verlust beziffern muss. Ohne Verlust keine Verurteilung, mag auch noch so viel Ungereimtes in der Bank abgelaufen sein. Und davon war reichlich die Rede bei der Vernehmung der Zeugen. Es herrschte Chaos in der Bank und als Zuhörer hatte man den Eindruck, die Verantwortlichen hatten den Überblick verloren.
Auch werden die Richter überlegen müssen, ob nicht die Schuld an dem Desaster unterschiedlich ausfallen muss. Dr. No (der damalige Bankchef Dirk Jens Nonnenmacher) hatte wohl anfangs »No« gesagt. Er hatte Omega 55 erst am 29.12.2007 im Urlaub abgezeichnet, die anderen am 17.12. und 21.12.2007. Auch klang durch, dass aus dem »Accounting« Nachfragen kamen – auch bei anderen Transaktionen. Nonnenmacher ist erst am 1.10.07 zur Bank gestoßen, da war der Auslagerungsentschluss schon längst gefallen.
Unter Beschuss stehen insbesondere: Vorstand Jochen Friedrich, zuständig für die Niederlassung London, wo die Aktivitäten zur Auslagerung der Wertpapiere geplant und durchgeführt wurden, zudem war er Kapitalmarktvorstand; Vorstand Hartmut Strauss, bei ihm liefen die Risikoberichte des Group Risk Management (GRM) und des Kreditrisikomanagements (KRM) auf. Auch ist hier der Aufsichtsrat zu nennen. Aber der ist merkwürdigerweise gar nicht erst angeklagt.
Schwer zu bewerten sind die Einlassungen des Unternehmensbereichs Recht der HSH Nordbank. Es hatte seitens einer Zeugin schwere Vorbehalte gegenüber dem Projekt gegeben. Von Brandbriefen an Vorstand und BaFin war die Rede. Sie betrafen insbesondere den so genannten B-Teil des Projektes: synthetischen Single Tranch CDO. Der CDO wurde erst im Jahr 2008 realisiert und lag der Credit Application vom 14.12.2007 nur in Parametern vor. Im Klartext: Es war am 14.12.2007 nicht klar, was 2008 in die Tüte kam.
Und die BürgerInnen...? Die Freie und Hansestadt Hamburg hatte für das Jahr 2012 Rückstellungen in Höhe von 685 Mio. Euro gebildet. Verursacht wurde die Rückstellung »durch eine außerplanmäßige Abschreibung des Beteiligungswerts an der HSH Nordbank sowie durch die Bildung von Rückstellungen für drohende Inanspruchnahme aus der Garantie zugunsten der HSH Nordbank AG«(Geschäftsbericht 2012,Hamburg zieht Bilanz, PDF-Seite 20).
Im Klartext: Die Garantien, die die Länder Hamburg und Schleswig Holstein für die Bank gegeben haben (je fünf Mrd. Euro) drohen auszufallen. Intern wurden Rückstellungen von 2.000 Mio. Euro als notwendig erachtet. Doch das war wohl nicht vermittelbar. Immerhin stellt sich die Stadt Hamburg der Verantwortung und nennt den Umfang der Verluste. Das Land Schleswig Holstein dagegen verzichtet auf eine kaufmännische Rechnungslegung. Rückstellungen gibt es nicht in der Kameralistik. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, denkt man in Kiel.
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