Operation Verschrottung - Italiens Ministerpräsident Letta ist
Von Joachim Bischoff
Der italienische Ministerpräsident Enrico Letta ist mit seinem Regierungsprogramm »Impegno 2014« (Verpflichtung 2014) gescheitert. Das Regierungsprogramm war die Antwort auf den Austritt der Mitte-Rechts-Partei Forza Italia um Ex-Premier Silvio Berlusconi aus der Koalition im vergangenen Dezember. PolitikerInnen der Mitte-Links-Partei Partito Democratico (PD) drängten auf seinen Rücktritt, um den Weg für den jungen PD-Vorsitzenden Matteo Renzi freizumachen.
Schwerpunkt des neuen Programms waren Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums und der Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Industrie. Letta plante außerdem ein Maßnahmenpaket, um die Gefahr eines Wirtschaftswachstums ohne zusätzliche Beschäftigung abzuwenden. Zur Förderung der Industrie strebte er Schritte zur Steuervereinfachung, Anreize für die Internationalisierung von Klein- und Mittelunternehmen, zur Reduzierung der Energiekosten, zum einfacheren Zugang zu Krediten, zur Digitalisierung und Entbürokratisierung an.
Außerdem sollte mehr Geld für öffentliche Investitionsprogramme bereitgestellt werden, um die Beschäftigung anzukurbeln. Damit hoffte Letta ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent im laufenden Jahr 2014 und von zwei Prozent 2015 zu erreichen. Auch den Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Einsatz für mehr Legalität im Land wollte seine Regierung verstärken.
Italiens Wirtschaft ist erstmals seit Mitte 2011 wieder gewachsen. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) legte im vierten Quartal um 0,1% zu. Im dritten Quartal 2013 stagnierte die Wirtschaft noch. Insgesamt schrumpfte das BIP im Jahr 2013 um 1,9%. Für 2014 peilte die Regierung in Rom ein Wachstum von 1,1% an. Das hoch verschuldete Land steckt seit längerem in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Lage ist durch eine Kreditklemme und hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet.
Ministerpräsident Enrico Letta ist in dieser Situation von der eigenen Partei wegen »mangelnden Reformeifers« zum Rücktritt gezwungen worden. Treibende Kraft ist der Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, der durch ein Plebiszit im Dezember 2013 Parteivorsitzender geworden war. Renzi hatte seither in allen Medien keine Gelegenheit ausgelassen, Letta in ein schlechtes Licht zu rücken. Erst versicherte der neu gewählte Sekretär der Demokratischen Partei (PD) dem Premier, er habe es nicht auf seinen Job abgesehen. Kurz darauf zwang er ihn mit einem Votum des höchsten Parteigremiums aus dem Amt.
Renzi betreibt eine Kampagne gegen die verkrusteten Strukturen der Politik in Italien. Sein Mantra von der »Verschrottung« der bisherigen Politikerklasse soll einen Abbau der Bürokratie und eine radikale Reform der Institutionen des politischen Systems bringen. Wegen seines unkonventionellen jugendlichen Auftretens und wegen seiner Respektlosigkeit gegenüber den Institutionen hat Renzi einen nicht unbeträchtlichen Rückhalt in der Bevölkerung. Denn die ItalienerInnen haben schon lange den Respekt vor den Institutionen und ihren Vertretern verloren. Auch konservative Parteien reagieren mit Neugier auf den Neuen aus der Toskana. Niemandem in Italien wird so viel zugetraut wie dem Bürgermeister von Florenz.
Für Renzi spricht, dass er in wenigen Wochen einen Reformkompromiss für eine Änderung des Wahlrechts und die Umwandlung der zweiten Parlamentskammer zustande gebracht hat. Dass dieser Kompromiss, der sobald wie möglich vom Parlament verabschiedet werden muss, mit Silvio Berlusconi zustande kam, hat viele auf Seiten der Linken verärgert. Renzi ist zwar ein populistischer Profi, aber seine Ziele liegen im Ungefähren. Er proklamiert nur eine vage gesellschaftliche Erneuerung.
Wie groß die Enttäuschung über die politische Klasse ist, wird auch daran deutlich, dass die PD-Führung mit überwältigender Mehrheit Letta das Vertrauen entzogen hat. Das war in dieser Partei, deren Mehrheit aus dem früheren sozialistisch-kommunistischen Lager kommt, bis vor kurzem undenkbar. Renzi und die PD haben alles auf eine Karte gesetzt: Gelingt die Operation Verschrottung nicht, wird Italien weiter in einem krisenhaften Abwärtsstrudel versinken.
Die große Herausforderung lässt sich nicht bestreiten: umfassende Erneuerung und Modernisierung von Staat, Verwaltung und Wirtschaftsverfassung. Auch Renzi wird nur mit Wasser kochen und die Wahrheit der Operation Verschrottung wird sich an den Themen Arbeitsmarkt und Sozialreform zeigen. Die Mehrheit der ItalienerInnen drängt indes auf Neuwahlen. Nach Auffassung von 61% sollten vorgezogene Parlamentswahlen sofort oder spätestens im Herbst stattfinden, 25% teilen dagegen Renzis Hoffnung, dass eine Regierung bis 2018 im Amt bleiben könnte.
Italien steckt in der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Industrieproduktion ist seit 2008 um ein Viertel eingebrochen, die Arbeitslosigkeit ist enorm und die Scherenbewegung bei der Einkommens- und Vermögensentwicklung wird immer krasser. Das Bruttoinlandprodukt ist in den letzten Jahren um 10% gesunken.
Unter Letta ist der Schrumpfungsprozess der Ökonomie gestoppt worden und in eine stagnative Phase übergegangen. Er und sein Vorgänger im Amt, Mario Monti, hatten unter dem Druck des europäischen Fiskalpaktes ein Austeritätsprogramm verfolgt. Mit dem Negativeffekt eines ökonomischen Schrumpfungsprozesses und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit ist es gelungen, das italienische Haushaltsdefizit unter die für Euro-Länder geltende Drei-Prozent-Marke zu drücken. Das Spar-Programm hat dazu geführt, dass die Bankenkrise gestoppt wurde und Investoren sich bei den Banken zu einigermaßen niedrigen Zinsen Geld leihen können.
Die Sparprogramme sprechen eine deutliche Sprache: Das Volumen der staatlichen Sparmaßnahmen beläuft sich auf 4,5% des BIP im Jahr 2012, auf 6,1% im Jahr 2013 und auf 6,3% im Jahr 2014. Die Reduzierung der Nettoverschuldung wird sich auf 81 Mrd. Euro belaufen; 67% davon entfallen auf Einnahmeerhöhungen, 33% auf Ausgabenkürzungen. Die italienische Wirtschaft kann keine weiteren Steuerrestriktionen ertragen, die die Einkommen schmälern. Die Sparpolitik hat im Gegensatz zu allen Prognosen die Konjunkturdynamik verschlechtert.
Nach dem Ende der seit fast drei Jahren andauernden Rezession warnte die italienische Notenbank gleichwohl vor der unzureichenden Wirtschaftsdynamik. Bis Ende dieses Jahres rechnet die Banca d'Italia mit einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts von lediglich 0,75%. Vor allem die Arbeitslosenquote könnte im laufenden Jahr auf über 13% steigen. Das ist doppelt so hoch wie vor Beginn der Krise. Die Beschäftigungsrate ist gegenüber 2007 von 61% auf 43% gefallen. Vor allem die Jugendlichen haben die Auswirkungen der Rezession zu spüren bekommen.
Die relative Stabilisierung der italienischen Ökonomie ist vor dem Hintergrund einer Erholung in Europa zu sehen. Die Euro-Länder melden bei der Wirtschaftsleistung des Jahres 2013 ein Minus von 0,4%. In der EU insgesamt schaffte die Wirtschaft dagegen ein Mini-Wachstum von 0,1%. Gleichwohl signalisiert dies eine leichte Erholung. Denn das BIP stieg im vierten Quartal 2013 gegenüber dem Vorquartal um 0,3%. Damit verfestigt sich der Aufwärtstrend. Im dritten Quartal hatte die Wirtschaft in den Euro-Ländern erst ein Miniwachstum von 0,1% erreicht.
Wachstumslokomotive bleibt Deutschland, das zum Jahresende ein Plus von 0,4% meldete. Aber auch die anderen großen Volkswirtschaften im Euro-Raum legten zu: In Frankreich wuchs die Wirtschaft ebenso wie in Spanien um 0,3%, Italien meldete wie erwähnt 0,1%. Damit haben die Länder in der Peripherie wieder zum Kern der Euro-Zone aufgeschlossen. Ein Grund für die Entwicklung ist laut Ökonomen der milde Winter. Aber auch die unterliegende konjunkturelle Dynamik dürfte zugenommen haben. Aber ob die Erholung nachhaltig ist, bleibt fragwürdig. Ohne eine Beendigung der Austeritätspolitik werden die europäischen Krisenstaaten nicht aus der Stagnation herauskommen. Ob das der vermeintlich neue Ministerpräsident Renzi auf dem Zettel hat, darf eher bezweifelt werden.
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