Diebstahl an der Allgemeinheit
Otto König und Richard Detje
Die Liste prominenter Steuerbetrüger wird immer länger. Von Uli Hoeneß und Theo Sommer über Arthur Brauner und Alice Schwarzer bis hin zu André Schmitz haben alle eines gemeinsam – ein Konto in der Schweiz. Sie sind nicht nur Steuerbetrüger, sondern auch »ehrenwerte« Personen, die – kaum erwischt – sich selbstgerecht vom Täter zum Opfer stilisieren.
Mediengerecht bedauert Uli Hoeneß: »Ich habe einen großen Fehler gemacht, zu dem ich stehe«.[1] Die nachgeschobenen Erklärungsversuche klingen dagegen albern: Da vergisst der Präsident des FC Bayern München, dass er für seine Zockerei in der Schweiz »Spielgeld« parkte. Da verlor Theo Sommer, ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber der ZEIT, »wegen Schusseligkeit seine Steuererklärung aus dem Blick«. Berlins Ex-Kulturstaatssekretär André Schmitz verdrängte, dass er eine Erbschaft in der Alpenrepublik einzahlte, die sich wundersam in einem Schweizer Banktresor in »eine Lebensversicherung« verwandelte.
Alice Schwarzer setzt all dem die Krone auf. Sie inszeniert zynisch das eigene Unrecht als Story einer »politisch Verfolgten«. So war ihr Schweizer Konto,[2] in den 1980er Jahren angelegt, kein Steuervermeidungs-Modell, sondern »Selbstschutz«, weil sie befürchtete, vor der »Hatz« gegen sie »ins Ausland« fliehen zu müssen. Nicht genug, dass sie das schlimme Schicksal und die Angst politischer Flüchtlinge zu ihrer Reinwaschung nutzen will, bemüht die selbsternannte und über Jahre von den öffentlich-rechtlichen Talkshows zur »Ikone hochstilisierte Frauenrechtlerin« auch abwegigste Verschwörungstheorien: Die Prostitutionsmafia habe sie an das gewissenlose Spiegel-Patriarchat verpfiffen, um sie daran zu hindern, der Puff-Industrie das milliardenschwere Handwerk zu legen (TAZ, 3.2.2014).
Hoeneß, Schwarzer & Co stehen beispielhaft für das asoziale Verhältnis der wohlhabenden Eliten zur Gesellschaft. Sie leiden keineswegs unter Schuldgefühlen, wenn sie dem Staat die notwendigen finanziellen Mittel zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben verweigern – wie für den Bau von Straßen, Kindertagesstätten, Schulen oder Krankenhäusern. Die Hans-Böckler-Stiftung schätzt den Gesamtschaden durch Steuerhinterziehung auf 100 Mio. Euro pro Jahr. »Dies ist Diebstahl an der Allgemeinheit« (Brigitte Unger).
Dagegen sind die Steuerbetrüger davon überzeugt, dass sie sich gegenüber dem System in Notwehr befinden. Sie fühlen sich von furchterregenden klassenkämpferischen Begriffen wie Vermögens-, Erbschafts- und Reichensteuer bedroht und empfinden ihre Steuerflucht sogar noch als Aufstand gegen die Obrigkeit. Deshalb treibt sie nicht nur die Gier nach ungeschmälerter Rendite ins Ausland, sondern die Angst vor dem staatlichen Griff ins Portemonnaie.
Wilhelm Heitmeyer hat in langjährigen Befragungen die Beobachtung der Herausbildung einer »rohen Bürgerlichkeit« gemacht, die sich »durch Tendenzen eines Rückzugs aus der Solidargemeinschaft«[3] auszeichnet. Die Attitüde der elitären Steuerbetrüger ist die des asozialen Rückzugs, auch wenn sie noch nicht Formen autoritärer Rohheit angenommen hat. Dem widerspricht öffentlich zelebriertes soziales Engagement – »Ich habe in den letzten fünf Jahren über fünf Millionen gespendet« (Uli Hoeneß). So kündigte Alice Schwarzer nach Bekanntwerden ihres Betrugs die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung an, »die Projekte fördern will, die der Chancengleichheit und den Menschenrechten von Mädchen und Frauen zugute kommen«. Das wäre ja zu begrüßen, wenn damit nicht der Entzug von Steuergeldern verknüpft wäre, über deren Verteilung ein demokratisches Gemeinwesen – und eben nicht die Vorliebe der Spender – entscheidet.
Beklagenswert findet es die neoliberale Edelfeder Rainer Hank mit seinem Koautor Winand von Petersdorff, dass »der öffentliche Zorn fehlt, wenn es um die Grundrechte von Steuersündern geht«. Ihr Vorwurf: Der Staat werte die fiskalischen Interessen an Steuer-CDs höher »als mögliche Verletzungen von Strafrecht, Völkerrecht und nicht zuletzt Bürgerrecht« (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 9.2.2014). Es ist für sie ein Menschenrecht, dass die Gier nach Renditen und die daraus resultierenden Straftaten geheim bleiben.
Entschuldigend weist die Zeitschrift Cicero (7.2.2014) daraufhin: Es sei in den 1960er Jahren die Angst vor dem Kommunismus gewesen, dass man den Wohlstand, den man über den Krieg gerettet oder nachher mühsam erworben habe, auf einem Nummernkonto auf Schweizer Banken deponiert habe.
Tatsächlich kommt auf keinem anderen Rechtsgebiet der Staat Kriminellen so weit entgegen wie bei der Steuerhinterziehung. Wer sich selbst anzeigt, also das Hinterziehen seiner Steuerschulden offenbart und inklusive Zinsen und Gebühren zurückzahlt, der geht komplett straffrei aus. Es müssen noch nicht einmal die gesamten Steuern zurückgezahlt werden.
Die Verjährungsfristen schonen besonders diejenigen, die lange und hartnäckig hinterzogen haben. So musste Alice Schwarzer, obwohl sie seit den 1980er Jahren Zinsgewinne eingestrichen hat, nur für die letzten zehn Jahre 200.000 Euro Steuern und Säumnisgebühren nachzahlen. Die restlichen 20 Jahre, womöglich mit weiteren 400.000 Euro hinterzogenen Steuern, sind verjährt.
Eine Umfrage der Nachrichtenagentur dpa ergab, dass sich 2013 mehr als 26.000 Bürger selbst angezeigt haben. Diese Selbstanzeigen sind nicht auf ein Umdenken bei den Steuerbetrügern zurück zu führen. Der Kauf von Kontodatensätzen durch die Ermittlungsbehörden übte den notwendigen Druck aus, um die Ansprüche des Staates durchzusetzen. »Die Steuer-CDs wurden die erfolgreichsten CDs der Welt: Sie spielten Hunderte Millionen Euro ein, und zwar schon, bevor sie in ein Abspielgerät eingelegt wurden. Deren bloße Existenz trieb Tausende Steuerhinterzieher dazu, Selbstanzeige zu erstatten, um so der Strafe zu entgehen« (Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, 5.2.2014).
Doch die Strafbefreiung der Selbstanzeiger schützt in der Tendenz die Reichenkriminalität. Deshalb täte der Staat gut daran, den »schwunghaften Ablasshandel« mit vermeintlich reuigen Steuerhinterziehern zu beenden. Die strafbefreiende Selbstanzeige gehört abgeschafft; sie bringt den Finanzministern zwar viel Geld ein, doch sie leistet der steuermoralischen Verwahrlosung Vorschub. Damit muss Schluss sein.
Steuerflucht muss konsequent bekämpft werden. Die Steueroasen gehören ausgetrocknet. Das Fluchtkapital muss zurückgeholt und im Heimatland ordnungsgemäß besteuert werden. Das Wettrennen europäischer Staaten um die günstigen Steuerregeln für internationale Konzerne muss unterbunden werden.
US-amerikanische Konzerne wie Apple, Amazon und Starbrucks, aber auch deutsche Konzerne nutzen staatliche Steuervermeidungsstrategien, um »legal« ihre Gewinne zu verschieben und sich arm zu rechnen. Dafür eignen sich komplexe Holding-Konstruktionen. EU-Länder wie Luxemburg, Irland oder die Niederlande leisten tatkräftig Unterstützung, letzteres hat jüngst dem Automobilkonzern Fiat-Chrysler steuerpolitisches Asyl verschafft.
Doch vergessen wir nicht den jüngsten Bericht des Tax Justice Network über die weltweiten »Schattenfinanzzentren«, wonach Deutschland auf Rang acht der lukrativsten Steueroasen liegt, zwar hinter der führenden Schweiz, aber vor Steuerparadiesen wie Jersey, den Marshall-Inseln oder den Bahamas. Doch auch dieses Ranking schützt nicht vor Steuerhinterziehern.
[1] Vgl. Otto König: Asoziales Verhalten mit hoher krimineller Energie, Sozialismus Aktuell 24.4.2013. Der Aufsichtsratsvorsitzende des FC Bayern-München, Uli Hoeneß, muss sich vom 10. März 2014 an wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung von mehr als drei Mio. Euro vor Gericht verantworten.
[2] Schwarzer soll zuletzt 3,5 Millionen Euro bei der Zürcher Privatbank Lienhardt & Partner angelegt haben. (Sonntags Zeitung/Schweiz, 8.2.2014).
[3] Wilhelm Heitmeyer: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in einem entsicherten Jahrzehnt, in: ders (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 10. Berlin 2012, S. 35.
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