Freihandelsabkommen USA-EU - Gewerkschafliche Positionierung gefragt
Interview mit Axel Troost
Fairer und freier Handel mit Chancen auf Wachstum und zusätzliche Arbeitsplätze klingt doch erst mal gut. Darin sehen Befürworter die Vorteile eines solchen Abkommens. Gibt es da Pferdefüße? Warum wird seit letztem Juli bewusst hinter verschlossenen Türen verhandelt?
Die Verhandlungen über Freihandelsabkommen haben eine sehr lange Geschichte. Zu Beginn werden sie immer als riesige Chance für mehr Wachstum und Arbeitsplätze angekündigt, aber mir ist kein Abkommen dieser Art bekannt, das am Ende die gemachten Versprechungen gehalten hat. Die Strategie beim Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) ist die gleiche: die potentiellen Chancen werden maßlos überbetont und die potentiellen Gefahren unter den Teppich gekehrt.
Zu den angeblichen Chancen: Das Potential für mehr Wachstum und Beschäftigung ist sehr bescheiden. Selbst die offiziellen Auftragsstudien sind mehr als ernüchternd, denn selbst im besten Fall und bei unrealistisch positiven Annahmen würden nicht Millionen neue Jobs entstehen. Der angebliche Jobmotor TTIP schmilzt in den Studien auf einen kleinen Wachstumsschubs für die EU von mageren 0,5 Prozent zusammen – verteilt auf mehrere Jahre.
Viel wichtiger sind aber die Schattenseiten des Freihandelsabkommens: Das Abkommen soll – das ist das Prinzip von Handelsabkommen – möglichst einheitliche Spielregeln für alle Handelspartner festlegen. Das kann zwar theoretisch dadurch erfolgen, dass alle die gleich hohen Standards bei Umweltschutz, Arbeitsschutz, Kündigungsschutz, Sozialleistungen, Verbraucherschutz usw. einführen. In der Praxis passiert aber immer das Gegenteil: die Länder mit den hohen Standards werden aufgefordert, den Produkten mit den niedrigen Standards den gleichen Marktzugang zu gewähren. Am Ende eines TTIP wird daher stehen, dass gentechnisch manipulierter US-Mais flächendeckend in der EU verkauft und angebaut werden darf. Natürlich darf jeder Bauer weiterhin den gentechnikfreien Mais kaufen und anbauen, aber da sich die Maissorten auf dem Feld kreuzen, bekommt er trotzdem nicht mehr Geld als für Gen-Mais. Das Ende vom Lied: die Bauern mit ökologischer oder konventioneller Landwirtschaft gehen bankrott, die Gen-Landwirtschaft bleibt übrig. Und die Verbraucher müssen essen, was ihnen vorgesetzt wird, weil man vor gentechnischen Produkten nicht mehr warnen darf.
Handelt es sich nur um einen weiteren Versuch, nach einer Reihe gescheiterter Anläufe wie MAI und ACTA die „Beseitigung von Investitionshemmnissen“ doch noch umzusetzen? Oder was ist neu an den Plänen für dieses Abkommen?
Ja, das TTIP folgt derselben Logik wie das MAI, dass es Investoren ermöglichen soll, gegen Vorschriften von Standards, die höher als die vereinbarten Minimalstandards sind, auf Schadensersatz zu klagen. Wenn also ein Land höhere Anforderungen beim Arbeitsschutz oder beim Kündigungsschutz als der Basis-Standard stellt, dann sollen in Zukunft die Konzerne den Staat auf Schadenersatz für die dadurch entstehenden Mehrkosten verklagen können – oder auf Schadenersatz für die durch höhere Produktionskosten geringeren Verkaufschancen
Wir lehnen die im TTIP enthaltenen Investitionsschutzklauseln strikt ab. Das im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) und den unzähligen bi- und multilateralen Verträgen in den letzten Jahrzehnten stark ausgebaute Instrumentarium ist völlig ungeeignet, um die Interessen der jeweiligen Bevölkerung und der investierenden Unternehmen annähernd in Einklang zu bringen. Eine Ausweitung des Instrumentariums der „Streitschlichtung“ über geheime Verhandlungen im kleinen Kreis ausgewählter Anwälte lehnen wir ab, da so den Unternehmen unzulässiger Weise parallele Rechte eingeräumt werden, ihre Interessen zu Lasten der Steuerzahler durchzusetzen. Insbesondere zwischen den Industrieländern in der OECD besteht überhaupt kein Anlass, solche Investitionsschutzklauseln und das Instrument der Streitschlichtung in Abkommen untereinander zu verankern. In der EU wie den USA gibt es ein weithin ausgebautes Rechtssystem, in dem allen Unternehmen der geltende Rechtsweg offen steht.
Fragen zum Investitionsschutz und den Rechten wie Pflichten (u.a. im Hinblick auf die Arbeits- und Produktionsbedingungen sowie der Besteuerung und Gewinnverlagerung) transnationaler Konzerne sind nicht im Rahmen der WTO bzw. in Freihandelsabkommen zu regeln. Die entscheidende Ebene wären die Vereinten Nationen, um ein entsprechendes System zu etablieren. Freihandelsabkommen sind völlig ungeeignet, da die Interessen der Unternehmen hier bereits strukturell zu hoch bewertet werden.
Was bedeutet es in der herrschenden Wirtschaftsform, die auf Wettbewerbsfähigkeit und Verdrängung beruht, wenn tatsächlich im transatlantischen Raum die Wettbewerbsfähigkeit steigt – wo fallen stattdessen Arbeitsplätze weg und sinken die Wachstumschancen?
Viele international agierende Unternehmen werden vom TTIP profitieren. Denn für sie werden die Regeln, Normen und Standards u.a. im Arbeits- und Urheberrecht sowie dem Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz passgenau gemacht. Bisher geltende gesetzliche Schranken und Auflagen werden fallen, Kosten sinken und der Marktzugang wird so erleichtert. Im Umkehrschluss bedeutet dies für zahlreiche Unternehmen in Deutschland und der EU insgesamt, dass der Verdrängungswettbewerb massiv zunimmt. Viele Unternehmen werden schlicht vom Markt verschwinden, Unternehmensbereiche werden ausgelagert und Arbeitsplätze vernichtet – das waren seit jeher zentrale Effekte aller Freihandelsabkommen. Insgesamt befürchten wir deshalb auch eine schlechtere Qualität der Arbeit, da soziale und arbeitsrechtliche Standards nach unten angeglichen werden. Ansonsten macht das geplante TTIP betriebswirtschaftlich für die Unternehmen in der EU und den USA gar keinen Sinn.
Noch mal zurück zu der Art der Verhandlungen. Warum wird im geheimen verhandelt und wie weit können wenigstens die einzelnen Abgeordneten des Bundestages die Verhandlungen kontrollieren?
Die Verhandlungen zum TTIP finden unter striktem Ausschluss der Öffentlichkeit und damit der Betroffenen statt. Die Verhandlungsinhalte und erreichten Ziele kennen nur die Verhandlungsparteien sowie mehr als 600 Unternehmenslobbyisten, die zentrale Dokumente vorab erhalten und Zugang zu den Verhandlungen haben. Diese Geheimniskrämerei, die eine bewusste Verletzung parlamentarischer Kontrollrechte darstellt, ist aber auch eine zentrale Schwäche des TTIP, die wir ausnutzen müssen. Denn die Bürgerinnen und Bürger sind zu Recht sehr misstrauisch gegen Alles geworden, von dem ihre Regierungen behaupten, zu viel Information sei schlecht für das Ergebnis. Nach sechs Jahren höchst intransparenten Bankenrettungen mit Milliardenkosten, nach einem NSA-Skandal, den selbst eine abgehörte Bundeskanzlerin immer noch kleinredet und nach einer Mordserie der NSU-Rechtsterroristen, die in den deutschen Sicherheitsbehörden verschlampt worden ist, nach all dem reagieren die Menschen höchst allergisch auf Verheimlichung und vermeintliche Vertraulichkeit zum Wohle der Sache. Innerhalb weniger Tage haben zum Beispiel 320.000 Menschen auf eine Internetaktion von Campact gegen das TTIP reagiert.
Als Bundestagsabgeordnete haben wir natürlich das Recht, uns von der Bundesregierung über den Stand der Verhandlungen informieren zu lassen. Aber die Bundesregierung macht es sich leicht und versteckt sich hinter dem Argument, dass die Verhandlungen schließlich von der EU-Kommission geführt würden und die Bundesregierung zu den Details gar keine Informationen hätte.
Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir am 10. Februar Ignacio Garcia Bercero, den Chef-Unterhändler der EU für das TTIP, in den Bundestag eingeladen, um ihn zu befragen. Bei einem Gespräch im Ausschuss für Wirtschaft und Energie hat er zwar über die aktuelle Situation in den Verhandlungen berichtet, wollte aber ebenfalls auf Details nicht eingehen. Stattdessen war er um Beschwichtigung bemüht. Wir als LINKE fordern das sofortige Ende der Geheimverhandlungen und die Offenlegung sämtlicher Arbeitsgruppen und ihrer Verhandlungsstände. Nur so ist es möglich, sich anstelle von Befürchtungen eine fundierte Meinung zu bilden. Dass dies nicht geschieht, werten wir als deutliches Zeichen, dass der Stand der Verhandlungen einen öffentlichen Eklat auslösen würde.
Droht mit TTIP ein weiterer Privatisierungsschub mit Ausdehnung auf alle Bereiche der öffentlichen Versorgung?
Auch dies ist ein zentraler Punkt im TTIP. Quer durch alle Parteien haben vor allem die Kommunen große Sorgen, dass die Bereiche der Daseinsvorsorge, d.h. die öffentlichen Dienste in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Erziehung, Ver- und Entsorgung etc. auf dem Altar der Privatisierungs- und Wettbewerbslogik geopfert werden. Auch hieraus ergibt sich ein guter Angriffspunkt gegen das TTIP. Beispielsweise hat der Bundesverband der öffentlichen Wasserwirtschaftsunternehmen in einem offenen Brief an alle CDU-Abgeordneten seine Sorgen zum Ausdruck gebracht, dass in den Verhandlungen die kommunalen Wasser- und Abwasserbetriebe gefährdet und das kommunale Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt werden. Solche Äußerungen – wir stehen immerhin kurz vor den Europawahlen und vor Kommunalwahlen in den meisten Bundesländern – sind ein klares Indiz, dass sich gerade auf kommunaler Ebene in den Reihen von Union und SPD Widerstand gegen das TTIP mobilisieren lässt. Die Erfahrung der Wasserprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe hat gezeigt, dass privatisiertes Wasser zu massiven Preissteigerungen führen kann. Nach der erfolgreich von den Bürgern durchgesetzten Rekommunalisierung des Berliner Wassers werden die Preise nun wieder sinken.
Letzte Frage: was können – oder müssen wir als GewerkschafterInnen tun, um nachteilige Regelungen zu verhindern?
Der größtmögliche Erfolg wäre die Einstellung der TTIP-Verhandlungen. Dazu müsste der Ministerrat der EU-Kommission das Verhandlungsmandat entziehen, oder die Kommission müsste es auf öffentlichen Druck oder auf Druck des Europäischen Parlaments von sich aus zurückgeben. Wem das zu weit geht, der sollte mindestens klare Ablehnungsgründe formulieren. So ist gerade eine eindeutige Positionierung der Gewerkschaften zum TTIP notwendig. Die Gewerkschaften in Deutschland verhalten sich uneinheitlich. Während ver.di das TTIP überwiegend kritisch sieht, haben IG Metall und IGBCE bislang keine eindeutig negative Bewertung signalisiert. Wenn also das TTIP gestoppt oder schlimme Verhandlungsergebnisse verhindert werden sollen, braucht es unmissverständliche Botschaften der Gewerkschaften – sowohl an die EU-Kommission über den Europäischen Gewerkschaftsbund als auch über nationale Gewerkschaften und den DGB an die deutsche Bundesregierung.
Darüber hinaus können GewerkschafterInnen über ihre Organisationen und die bestehende Infrastruktur die kritische Aufklärung der breiten Öffentlichkeit vorantreiben und die kritische Diskussion in Foren wie die Kommunalpolitik oder die Handels- und Handwerkskammern hineintragen. Nicht zuletzt der 1. Mai ist eine sehr gute Gelegenheit, um die Kritik am TTIP in eine breite Öffentlichkeit zu tragen.
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