Replik zur Kritik von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker am Interview Heinz Bontrup: "Wenn ich das vorrechne, sind alle erstaunt"
Von Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup
Heinz-Josef Bontrup: "Wenn ich das vorrechne, sind alle erstaunt"
Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker: Professor Bontrup und ein ziemlich alter Trugschluss
Es verwundert immer wieder, dass sich „linke“ ÖkonomInnen gegen Arbeitszeitverkürzung aussprechen. Hier empfehle ich einen Blick in die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften als auch einen Besuch bei John Maynard Keynes oder Fritz Vilmar. Der herausragende deutsche Ökonom Oswald von Nell Breuning forderte schon in den 1960er Jahren die 10-Stunden-Woche als er schrieb: „Auch die heutigen Schritte sind nicht kampflos vor sich gegangen. Aber ich denke nicht an die 35-Stunden-Woche, auch nicht an die 24-Stunden-Woche. Ich denke an eine viel weiter gehende Arbeitszeitverkürzung. Ich stelle mir vor, daß wir dahin kommen werden, daß zur Deckung des gesamten Bedarfs an produzierten Konsumgütern ein Tag in der Woche mehr als ausreicht.“ Arbeitszeitverkürzung war in Theorie und Praxis immer ein wichtiges Thema. Gott sei Dank! Wie hoch wäre die bestehende Arbeitslosigkeit wohl, nicht nur in Deutschland, wäre die Arbeitszeit nie abgesenkt worden? Technologischer Fortschritt hat die Verkürzung von Arbeitszeiten möglich gemacht. Dies wird auch weiter der Fall sein. Dafür sorgt die Entwicklung – allein durch Robotertechnik (Stichwort: Fabrik 4.0).
In der Vergangenheit war die Umsetzung (Transformation) von Technik in Arbeitszeitverkürzung) aber immer zu gering, ansonsten müssten wir keine Massenarbeitslosigkeit beklagen. Was Heiner Flassbeck und Friedericke Spiecker, die ich beide als Wirtschaftswissenschaftler schätze, auf mein Interview an Kritik äußern, ist schon allein deshalb zu verwerfen bzw. um in ihrem sprachlichen Duktus zu antworten: Eure Kritik ist „unsinnig“ und „falsch“ und nicht meine ökonomische Deduktion. Ich finde es aber immer gut, wenn es unter Wissenschaftlern zu einem dialektischen Disput kommt. Nur so kann es eine verbesserte wissenschaftliche Erkenntnis geben. Der triviale Vorwurf ich würde mit Definitionen im Kontext der sogenannten „Scherentheorie“ arbeiten (argumentieren), bzw. aus einer Identitätsgleichung (BIPreal < Produktivität = rückläufiges Arbeitsvolumen (Beschäftigte * Arbeitszeit je Beschäftigten) auf eine nicht erklärte Kausalität schließen, ist nicht richtig, wenn es auch womöglich den Anschein macht. Identitätsgleichungen sind das tägliche Brot eines jeden (Wirtschafts-)Wissenschaftlers; hier zur Darlegung von ökonomischen Wirkungen, genauso wie jede Theorie auf Prämissen basiert. Aber: natürlich erklären Gleichungen keine Kausalität. Diese habe ich aber aufgezeigt. Die Ursache der Massenarbeitslosigkeit in den hochentwickelten Industriestaaten ist eine nicht hinreichende Umsetzung von durch Technik und besserer Arbeitsorganisation generierter Produktivitäten in Arbeitszeitverkürzungen. Hier hilft dann auch nicht der Hinweis von Flassbeck und Spiecker auf die Konjunkturtheorie. Zitat: „In Wirklichkeit wechseln sich Phasen steigender und sinkender Arbeitslosigkeit ab, mal steigt also die Produktivität stärker als das Wachstum und mal ist es umgekehrt. In jeder der Phasen, die ‚Aufschwung‘ genannt werden, steigt die Beschäftigung trotz steigender Produktivität, in den Abschwungphasen hingegen sinkt die Beschäftigung bei steigender Produktivität. Folglich ist das Entstehen und Andauern von Arbeitslosigkeit die Folge unterschiedlicher Intensität und Dauer von Auf-und Abschwüngen, also eine Frage der Konjunktur. Es‚ entlädt sich also der technische Fortschritt nicht in Arbeitslosigkeit, wie Bontrup meint, sondern aus irgendwelchen Gründen (und die zu erklären ist die eigentliche Herausforderung der Volkswirtschaftslehre) entsteht Arbeitslosigkeit.“ Auch hier wird von Flassbeck und Spiecker lediglich auf eine Trivialität verwiesen, wobei es übrigens falsch ist, dass im Abschwung die Beschäftigung bei steigender Produktivität sinkt. Im Abschwung geht die Produktivität auf Grund nicht ausgelasteter Kapazitäten massiv zurück. Entscheidend ist aber nicht die Zu-und Abnahme von Arbeitslosigkeit im Zyklus, sondern ihr überzyklischer Aufbau. Dies zeigt der empirische Befund. Ansonsten müsste es ja gemäß Flassbeck und Spiecker immer wieder im Konjunkturaufschwung zu einem vollständigen Abbau der Arbeitslosigkeit kommen. Dies ist aber nicht der Fall. Wir haben es in Wirklichkeit mit einer Sockelarbeitslosigkeit zu tun.
Es bleibt dabei: Wer ernsthaft die „Geißel der Menschheit“ (Oskar Negt), die Massenarbeitslosigkeit, bekämpfen will, muss die Arbeitszeit verkürzen. Nur mit Lohnerhöhungen zur Nachfragesteigerung, hierauf setzen bekanntermaßen Flassbeck und Spiecker, geht das nicht. Außerdem sind Lohnsteigerungen bei vorliegender Massenarbeitslosigkeit nicht durchsetzbar. Ursache des Lohnverfalls und prekärer Beschäftigungsverhältnisse ist die Arbeitslosigkeit. Auch hier ist der empirische Befund eindeutig. Ich will an dieser Stelle nicht wachstumskritisch und ökologisch werden. Der Platz dazu fehlt. Ich möchte aber mit Verlaub auf das Elend der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten verweisen. Ohne Arbeitszeitverkürzungen werden wir ihr Schicksal nicht verändern, wobei von den gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgeproblemen bis zu den enormen fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit noch gar nicht gesprochen ist.
Meine Forderung nach einer Einführung einer 30-Stunden-Woche bei vollen Lohn-und Personalausgleich ist verteilungsneutral, gewinnsteigernd, inflationsneutral und senkt vor allen Dingen die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Lohnstückkosten und Preise steigen nicht, dafür bleibt aber das reale Einkommen der Beschäftigten konstant mit dem Benefiz einer verkürzten Arbeitszeit und die Arbeitslosen erhalten wieder Arbeit zu den gleichen Bedingungen wie die bereits Beschäftigten; auch mit Lohnsatzsteigerung und abgesenkter Arbeitszeit in Höhe des Produktivitätszuwachses. Somit fällt keine kaufkräftige Nachfrage aus, die hier kontraproduktiv wirken könnte. Das in Höhe der Produktivität nicht an die Beschäftigten ausgezahlte Einkommen (trotz Lohnausgleich) fließt an die Arbeitslosen, die jetzt wieder Arbeit haben. Siehe Personalausgleich! Das ist gelebte Solidarität! Die hier gemachten Vorwürfe von Flassbeck und Spiecker laufen deshalb sämtlich ins Leere und sind zum Teil auch falsch, wenn sie in ihrer Kritik behaupten: „Weiter sagt Bontrup ja, ‚Und es ist auch nicht zum Nachteil des Unternehmers, weil sein Gewinn mit der Produktivitätsrate steigt, nämlich um zwei Prozent. Demnach sind alle Gewinner. Die Gewinne steigen aber im Bontrup-Beispiel keineswegs, bevor nicht mehr Leute eingestellt werden, weil ja ohne Neueinstellungen die Gesamtproduktion dank AZV (Arbeitszeitverkürzung, HJB1) gleich bleibt und der Stückgewinn ebenfalls. Worin sollte dann aber der Anreiz für die Unternehmen (Flassbeck und Spiecker meinen hier die Unternehmer, HJB[1]) bestehen, neue Leute einzustellen?“ Zunächst einmal: Die Gewinne steigen immer bei vorliegender Verteilungsneutralität in Höhe der Produktivitätsrate. Kommt es dabei nicht zu einem vollen Lohn-und Personalausgleich, dann nehmen die Gewinne sogar überproportional zu. Die Gewinnquote steigt und die Lohnquote sinkt. Natürlich haben deshalb die Unternehmer nur ein Interesse daran, die Verteilungsneutralität zu ihren Gunsten zu verschieben. Dies haben sie übrigens bei der sukzessiven, viel zu lange dauernden, Einführung der 35-Stunden-Woche praktiziert bzw. auch realisiert. Dies ist aber, wie Flassbeck und Spiecker suggerieren, kein Argument gegen Arbeitszeitverkürzung. Man muss nur in den Tarifverträgen das richtige hineinschreiben und durchsetzen: Nämlich Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn-und Personalausgleich. Würde in Höhe der Produktivitätsrate nur der Lohnausgleich zum Tragen kommen, dann würde sich natürlich jeder Unternehmer über die Dummheit des Vertragspartners mehr als freuen.
Akzeptable Kritik wäre allerdings gewesen, dass diese „Milchmädchenrechnung“ (frauenfeindlicher Begriff), wie Flassbeck und Spiecker sagen, zu einer lohnklassenimmanenten Umverteilung führt und die Unternehmer sich nicht an der Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung beteiligen, weil ihre Gewinne mit der Produktivität automatisch steigen. Dies haben sie übersehen. Hier hätte ich aber Beiden geantwortet: Und deshalb brauchen wir zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigten eine Umverteilung von oben nach unten, von den Besitz - zu den Arbeitseinkommen. Denn ohne diese Umverteilung können wir das Elend an den Arbeitsmärkten nicht mehr beheben. Ohne Arbeitszeitverkürzung wird es, auch bei einem demographischen Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsangebots, nie mehr zu einer vollbeschäftigten Wirtschaft kommen. Alle seriösen Berechnungen und Schätzungen zur Produktivitätsentwicklung übersteigen die vermeintlichen „demographischen Belastungen“.
[1] Ein Unternehmen besteht immer aus den abhängig Beschäftigten und dem Unternehmer. Ein Unternehmen ist lediglich eine rechtliche Institution (Organisation) ohne einheitliche Interessen. Oder sind die Interessen der abhängig Beschäftigten gleich den Interessen der Unternehmer?
Literaturhinweis zur Vertiefung: Heinz-J. Bontrup / Mohssen Massarrat, Arbeitszeitverkürzung jetzt! 30-Stunden-Woche fordern! Mit demManifest zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, pad-verlag
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