Ein europäisches Recovery Programm
Von Axel Troost
Die G-20-Staaten haben viele Vorschläge entwickelt, „um Wachstum zu ermöglichen, bessere Investitionen zu fördern, Arbeitsplätze zu schaffen, den Handel und den Wettbewerb auszuweiten“. Bis 2019 wollen die G 20 zwei Prozent zusätzliches Wachstum schaffen, was einem Wert von rund zwei Billionen Dollar entspricht. Vor allem ein Fünf-Jahres-Programm für Infrastrukturmaßnahmen soll die Konjunktur anschieben.
Ziel der G20-Minister war es, für den Gipfel der Staats- und Regierungschefs im November 2014 die Grundlage für einen Aktionsplan zu erarbeiten, der mehr Wachstum und Beschäftigung in der Welt bringen soll. Selbst Finanzminister Schäuble räumt ein: dieser Kurs sei noch dringlicher geworden, weil die geopolitischen Risiken sich verstärkt hätten. „Auch in Deutschland hätten sich die wirtschaftlichen Prognosen leicht verschlechtert“, argumentiert der Finanzminister, wenngleich die Entwicklung robust sei. Robust heißt: Für dieses Jahr ist mit einem Wachstum von 1,5 Prozent in Deutschland zu rechnen. Für ein deutsches Wachstums- und Konjunkturprogramm sieht Schäuble deshalb keinerlei Notwendigkeit.
Ausgeblendet wird bei dieser Bewertung die Stagnation im Euro-Raum. Denn die Wirtschaft in der Euro-Zone hat im September einen weiteren Dämpfer erhalten. Der Währungsraum steckt weiter in der Krise. Wachstum und Nachfrage haben sich weiter abgeschwächt, so dass auch der Jobaufbau nicht in die Gänge gekommen ist. Dieser Stillstand war wiederum dafür verantwortlich, dass die Preise angesichts des scharfen Wettbewerbs weiter reduziert wurden. Die Daten signalisieren einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 0,3 Prozent im zu Ende gehenden Quartal. Die Konsequenz: die Industrie registriert wieder einen Rückgang beim Auftragseingang. Die Ukraine-Krise und Sorgen über die generelle Konjunkturabkühlung drücken die Stimmung und erhöhen die Gefahr, dass die Bemühungen der Europäischen Zentralbank zum Ankurbeln der Konjunktur wirkungslos verpuffen.
Das ruft die Industrie-Unternehmen auf das politische Feld und der BDI-Chef attackiert die Bundesregierung heftig. Ulrich Grillo macht die Politik der Bundesregierung für die Schwächephase der deutschen Wirtschaft mitverantwortlich: „Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung wirkt nicht unbedingt vertrauensstärkend.“ Sie habe zu wenig getan, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Deutschland müsse nun vor allem wieder mehr investieren. „Deutschland ist im Begriff, seine Verkehrswege zu ruinieren - sie bröckeln“, warnte Grillo. Auch in den Ausbau schneller Internetverbindungen und für die Energiewende müsse mehr Geld ausgegeben sowie Forschung und Innovationen steuerlich gefördert werden.
Der BDI fordert eine Investitionsoffensive. Weil die privatkapitalistischen Investitionen keinen Sinn machen angesichts der unzureichenden gesellschaftlichen Nachfrage, soll der Staat mit öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur die Stagnation aufbrechen. Auch die Nachfrage aus dem Euroraum schwächelt . Aus diesem Grund fehlt auch der deutschen Wirtschaft ein Anlass mehr in Maschinen zu investieren.
Die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister können sich dem breiten Druck von Wirtschaftsorganisationen und -verbänden immer weniger entziehen. Ihre Verteidigungslinie: Investitionen ja, aber keine Erhöhung der Kredite und damit der Schulden: Bundesfinanzminister Schäuble räumt also ein, nur mit höheren Investitionen in der Eurozone kann die aktuelle Konjunkturschwäche im gemeinsamen Währungsraum überwunden werden. „Wir sind in einem wirtschaftlichen Umfeld, das eine Verstärkung der Investitionen überall in Europa, auch in Deutschland erfordert“, sagte Schäuble.
Zurzeit arbeiten mehrere Ministerien an einer Innovations- und Investitions-Agenda. Sie soll helfen, die seit über einem Jahrzehnt bestehende Investitionsschwäche zu überwinden - ohne die Staatsfinanzen massiv zu belasten. Um bei den öffentlichen und privaten Investitionen auf das Niveau der OECD-Länder zu kommen, müsste Deutschland 80 Mrd. Euro mehr ausgeben. Wegen der Schuldenbremse sind die staatlichen Spielräume des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, d.h. ca. auf 9,5 Mrd. Euro beschränkt. Außerdem will die Bundesregierung im kommenden Jahr erstmals seit 1969 keine neuen Schulden mehr aufnehmen und den staatlichen Schuldenberg bis zum Ende des Jahrzehnts von knapp 80 Prozent des BIP auf die EU-Obergrenze von 60 Prozent abbauen.
Was ist also des Rätsels Lösung?
Auf der Suche nach Vitaminspritzen für die schwächelnde EU-Wirtschaft ist gar der Euro-Krisenfonds ESM ins Spiel gekommen. Realistischer ist eine Katalysator-Rolle der Europäischen Investitionsbank. Die Europäische Investitionsbank (EIB) ist gemessen an den geleisteten Finanzierungen die weltweit größte multilaterale Entwicklungs- bzw. Förderbank. Ihre Aktionäre sind die 28 EU-Staaten. Sie fördert langfristige Projekte in Bereichen wie Infrastruktur, Forschung und Innovation oder KMU-Finanzierung in der EU und in geringem Umfang auch in Partnerstaaten. In der Regel finanziert sie ein Drittel der Kosten eines Projekts, der Rest stammt von privaten und von anderen öffentlichen Quellen, darunter insbesondere auch der EU-Haushalt. 2013 betrug ihre Bilanzsumme 512 Mrd. Euro.
Unter dem Dach der Europäischen Investitionsbank (EIB), der „Hausbank“ der EU, soll ein Europäischer Investitionsfonds mit einer Kapazität von mehreren 100 Mrd. Euro eingerichtet werden. Nach dem Vorbild des Euro-Krisenfonds ESM soll er von den EU-Staaten mit Kapital und Garantien versehen werden und könnte so Geld aufnehmen, um europäische Infrastrukturprojekte zu finanzieren.
Die EU-Finanzminister, die EIB und die EU-Kommission haben eine Kommission eingesetzt, um im Zusammenspiel mit den Mitgliedstaaten und der Privatwirtschaft eine Liste existierender Projekte und von Investitionsmöglichkeiten zu erstellen, die das Wachstum anschieben könnten. Diese Arbeitsgruppe soll Anfang Oktober einen Zwischenbericht vorlegen.
Allerdings warnt EIB-Präsident Werner Hoyer vor überzogenen Erwartungen. Die EIB sei „kein Allheilmittel“ und werde nichts tun, was ihr „AAA“-Rating gefährden würde. Die EIB müsste also entsprechend ausgestattet werden, etwa durch eine weitere Kapitalerhöhung oder die Nutzung von Geldern aus dem EU-Haushalt (Strukturfonds) zur Absicherung von EIB-Engagements. Laut Hoyer könnten die EU-Strukturfonds eine größere Multiplikatorwirkung entfalten, wenn sie stärker für Garantien statt für Zuschüsse verwendet würden. Doch ohne zusätzliches Engagement der Mitgliedstaaten, die den EU-Haushalt finanzieren und das EIB-Kapital stellen, bleiben alle diese Möglichkeiten begrenzt – was die Versuchung aufrechterhalten könnte, trotz ordnungspolitischen Bedenken brach liegende Kapazitäten des ESM zu nutzen und mit diesen Mitteln Pläne der EIB zu unterstützen. Für den deutschen Finanzminister Schäuble ist das Anzapfen des ESM-Fonds tabu. Schäuble führte aus, es gebe weltweit und auch in Deutschland genügend Kapitalgeber, die nach rentablen Anlagemöglichkeiten suchten. „Wir müssen über neue Formen der Aufgabenteilung zwischen Staat und Privaten nachdenken.“ Der Staat müsse für einen verlässlichen Rahmen sorgen, damit private Investoren ihre Leistungen gegen Entgelt und bei Übernahme des unternehmerischen Risikos anbieten könnten. Dies funktioniere im Energie- oder IT-Bereich und könne auch bei der Verkehrsinfrastruktur stärker eingesetzt werden. Das klingt nach einer Wiederauflage der unsinnigen PPP-Projekte, die sich in den letzten Jahren als Rohrkrepierer entpuppt haben. Die Verschiebung von Aufgaben bei der Herstellung und Unterhaltung der öffentlichen Infrastruktur ist letztlich teurer und räumt privaten Investoren einen noch größeren Handlungsspielraum ein. Ein Ausweg aus der wirtschaftlichen Stagnation kann nur durch ein umfassendes, europäisch angelegtes Investitionsprogramm und .nachfolgenden Reformen in den Verteilungsverhältnissen erreicht werden.
Es zeichnet sich aber trotz des hartnäckigen Widerstandes der neoliberalen Vordenker Merkel und Schäuble eine Neuauflage eines „European Recovery Program“ (Europäisches Wiederaufbauprogramm) ab. Frankreich versinkt in Resignation und auch die Deutschen beobachten sorgenvoll, dass ihre Konjunktur die ersten Dämpfer erfahren hat. Für einen Aufschwung braucht es einen innereuropäischen „Marshall-Plan“.
Die politischen Eliten haben lange gezögert mit der Konkretisierung eines neuen Mix von Austeritäts- und Wachstumspolitik. Jetzt zeichnet sich ein Handlungskorridor ab, Allerdings wird der europäische Konjunktur- und Investitionsfonds zu gering ausfallen, um durchschlagende Wirkung erzeugen zu können. Außerdem setzt sich die Stagnation in der Einkommensentwicklung der privaten Haushalte immer stärker in eine Eintrübung der Verbraucherstimmung um. Das Barometer für die Konsumlaune in den 18 Ländern sank auf minus 11,4 Punkte von minus 10,0 Zählern im August, wie die EU-Kommission mitteilte. Auch die Stimmung in den Unternehmen des Euroraums hat sich im September weiter verschlechtert.
Die geplanten Maßnahmen bleiben deutlich hinter den Erfordernissen zurück. Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen in den Mitgliedsländern und gemeinsam finanzierte Infrastrukturinvestitionen auf europäischer Ebene. Die Fortsetzung des bisherigen Kurses würde nicht nur die politischen Widersprüche weiter befördern. Es liegt auch auf der Hand, dass vor allem die Euro-Kritiker und die rechtspopulistischen Parteien die Nutznießer dieses gesellschaftlichen Niedergangs wären. Sie speisen sich aus den nicht gelösten Krisen und Spannungen in Europa und auch in Deutschland. Unter der dünnen Decke der Zufriedenheit baut sich eine Struktur der politischen Entfremdung auf. Grund genug, die Warnzeichen der politischen Konjunktur für rechtspopulistische Parteien nicht gering zu schätzen und erfolgreiche Gegenstrategien zu entwickeln. Die Herausforderung besteht darin, die Inhalte einer gesellschaftlichen Alternative zu konkretisieren und in Allianzen mit Bürgerbewegungen, Gewerkschaften und Sympathisanten eine breite Debatte über notwendige Schritte dorthin zu erreichen.
Die LINKE in Deutschland und die europäische Linke fordert seit langem ein Ende der Austeritätspolitik! Der Bruch mit dem neoliberalen Spardiktat ist überfällig. Wer in der Krise kürzt und streicht, schwächt die Ökonomie zusätzlich und erhöht die Arbeitslosigkeit. Vor allem in den südlichen Krisenländern muss wieder investiert werden. Aber auch in den anderen Ländern wird dringend eine Investitionsoffensive gebraucht. Die Bildungssysteme, das Gesundheitswesen, die Verkehrsinfrastruktur und die Energieversorgung müssen dringend saniert und modernisiert werden. Deswegen fordern die europäischen Gewerkschaften seit Monaten ein Investitions- und Aufbauprogramm für den alten Kontinent. Europa hat ökonomisches und politische Potenzial für eine bessere Zukunft.
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