An den Spieltischen des internationalen Kasinos: Finanzmarktkapitalismus: Was ist das, wer sind die Akteure und wie können Staaten das Krisenpotenzial bändigen?
Von Rudolf Hickel
Spätestens seit der Finanzmarktkrise ist ein Epochenwechsel der globalisierten kapitalistischen Entwicklung offenbar geworden. Die Entwicklungsdynamik und vor allem die Kräfteverhältnisse haben sich grundlegend verschoben. Zuvor dominierte die profitwirtschaftlich getriebene Wertschöpfung mit dem darin angelegten Grundkonflikt zwischen Arbeit und Kapital. Die alt bekannten Auseinandersetzungen um die Verteilung von Einkommen und die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse sowie die durch Überakkumulation ausbrechenden Krisen mit Arbeitslosigkeit prägten diese kapitalistische Epoche. Heute wird diese Entwicklung durch die Dominanz der Finanzmärkte überlagert. Das neue Etikett heißt finanzmarktgetriebener Kapitalismus bzw. Finanzkapitalismus.
Welches sind die Merkmale dieses Finanzkapitalismus? Bei einer ersten Annäherung ist zu erkennen, dass sich die Aktivitäten auf den Finanzmärkten gegenüber dem Geschäft der Wertschöpfung in der realen Produktion bereits seit Anfang der neunziger Jahre im letzten Jahrhundert relativ entkoppelt haben. Wesentlich ist die sich dahinter verbergende Verschiebung der Hierarchie der Märkte in Richtung einer machtvollen Dominanz der Akteure auf den Finanzmärkten. Auch die Politik geriet durch die ökonomische Macht des Finanzmarktsystems unter Druck. Die vor dem Epochenwechsel großteils dienende Funktion auch der Großbanken für die Gesamtwirtschaft ist durch den Wahn, schnell Gewinne über riskante Spekulationsgeschäfte zu erzielen, geschrumpft. Auf diesen Finanzmärkten herrscht keine wohlstandsmehrende idyllische Wettbewerbswirtschaft. Im Klima monopolistischer Konkurrenz dominiert vielmehr machtvoll eine Finanzoligarchie.
Wer sind die Megaakteure? Großbankendominieren mit ihrem spekulativen Investmentbanking. Sie setzen auf den nicht mehr den Kunden dienenden Eigenhandel, um die selbst kreierten Finanzmarktprodukte gewinnmaximal zu verhökern. Zur neuen Finanzoligarchie zählen auch die vielen Formen von weltweit agierenden Investmentfonds. Typisch sind die Hedge-Fonds, die gleichsam wie Staubsauger Geldvermögen nicht nur der Reichen mit dem Versprechen, mit allen Mitteln hohe Renditen zu bescheren, einsammeln. Dabei geraten auch reale Produktionsunternehmen, die mit dem Ziel schneller Ausbeute gekauft, geplündert und weiterverkauft werden, ins Visier dieser „Heuschrecken“.
Ein Blick auf die Produkte, die auf den Finanzmärkten gehandelt werden, lässt den Schwindel, der die Krisenanfälligkeit der Gesamtwirtschaft erhöht, erkennen. Es handelt sich um Spekulationsgeschäfte, die mit den Finanzierungsanforderungen der realen Wirtschaft nichts zu tun haben. Spekulationen mit Wechselkursen dienen beispielsweise nicht der Absicherung eines exportierenden Unternehmens. Vielmehr wird das massenhafte Spekulationsgeschäft mit der Erwartung sich marginal ändernder Wechselkurse durchgesetzt. Im Zentrum des neuen Geschäftsmodells stehen Derivate. Das sind hoch riskante Kunstprodukte, etwa die Spekulation auf einen Aktienindex oder Veränderung der Struktur zwischen kurz- und langfristigen Zinssätzen. Zu den Erfindungen der
Finanzalchemisten gehören auch die durch mehrfaches Verpacken unkenntlich gemachten Risiken von Hypothekenkrediten in strukturierte Wertpapiere. Ohne Rücksicht auf die Risiken durch nicht mehr bedienbare Hypotheken sind diese Verpackungsprodukte von deutschen Banken gekauft worden. Ratingagenturen, die ordnungspolitisch eigentlich die Risiken transparent machen müssten, haben im Zuge bester Bezahlung durch ihre Auftraggeber Bestmarken für die Risikopapiere vergeben, die Märkte also (wissentlich) falsch informiert. Dazu gehört auch der riesige Handel mit Versicherungen auf Kredite. Diese hoch gelobten Finanzmarktinnovationen, die am Ende mangels ökonomischer Werthaltigkeit abgeschrieben werden müssen, erweisen sich als Schrott. .
Schon John Maynard Keynes hat in seiner „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ 1936 bereits die durch die Finanzoligarchen und dienende Politik unterdrückte Warnung ausgesprochen: „Spekulanten mögen als Seifenblasen auf einem stetigen Strom des Unternehmertums keinen Schaden anrichten. Aber die Lage wird ernst, wenn das Unternehmertum die Seifenblase auf einem Strudel der Spekulation wird. Wenn die Kapitalentwicklung eines Landes das Nebenerzeugnis der Tätigkeiten eines Spielkasinos wird, wird die Arbeit voraussichtlich schlecht getan werden.“ Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus ist durch Instabilität, Volatilität und starke Krisenanfälligkeit geprägt. Die erste tief greifende Finanzmarktkrise, die 2007 ausbrach, wurde zum bitteren Beweis. Als Folge der geplatzten Spekulationsblase sind wegen der hohen Verluste durch Abschreibungen die Banken entweder in den Absturz getrieben worden oder mussten mit hohen Kosten für den Staat über eine „Bad Bank“ gerettet werden. Aber auch Sparer, durch den Abbau der gesetzlichen Mindestrentensicherung in die private Kapitalvorsorge gezwungen, mussten hohe Verluste hinnehmen. Schließlich ist Ende 2008 die gesamte Weltwirtschaft abgestürzt und Arbeitsplätze sind vernichtet worden. Bis heute hat sich die Wirtschaft von dem finanzmarktgetriebenen Absturz nicht erholt.
Der Schock nach dem finanzmarktgetriebenen Absturz schien groß. Die Schwüre auf die Bekämpfung der Ursachen dieser Finanzmarktkrise klangen auf den nachfolgenden G-20-Gipfeln und in der deutschen Politik geradezu revolutionär. Auch sind viele Gesetze zur Bändigung der Finanzmärkte erlassen worden. Jedoch, die vielen Korrekturen reichten nicht aus, die Systemkrise zu bändigen. Das Beispiel Deutschland zeigt, dass in der Summe die Maßnahmen etwa zur Aufspaltung der Banken, der Risikoabsicherung, verstärkten Haftung und gegen den Turbo-Börsenhandel weit unterhalb eines Ausstiegs aus der Krisendynamik blieben. Dazu hat die Bankenlobby weltweit erfolgreiche Lobbyarbeit geleistet. Sie ist dabei, wieder unkontrollierte Macht zurückzugewinnen. Und diejenigen, denen jede kleinste Regulierung zuwider ist, sind in den Sektor der „Schattenbanken“ abgewandert. Das sind vor allem Investmentfonds, die ohne jegliche kontrollierte Regulierung bankenähnliche Geschäfte betreiben. Durch die Verbändelung mit dem lizensierten Bankenbereich ist ein neues Krisenpotenzial herangewachsen. Anstatt rigoros die „Schattenbanken“ zu schließen, preist die EU- Kommission deren Vorteile für weltweite Finanzierungsgeschäfte. Unterstützt wird dieser Bankenlobbyismus auch durch die vorherrschende Wirtschaftswissenschaft. Heute ist schon wieder die Rede von der Effizienz, Stabilität und den Wohlstand stiftenden entfesselten Finanzmärkten.
Um die Zentren des zerstörerischen Finanzsektors lahm zu legen, braucht es einer radikalen, demokratisch fundierten Politik. Eine der wichtigsten Aufgaben konzentriert sich auf die Schaffung eines strengen Rahmens für die Finanzmärkte, deren Stabilitätssicherung ein öffentliches Gut darstellt. Die Stichworte dieser der Wirtschaft und Gesellschaft dienenden Finanzmarktordnung sind: Zerschlagung des spekulativen Investmentbankings, Verbot gefährlicher Finanzmarktprodukte, Abschaffung des Handels außerhalb der Börse, Verzicht auf den krisenverschärfend wirkenden Turbohandel an der Börse, grundsätzliches Verbot der Schattenbanken.
Die Regulierung der Finanzmärkte allein reicht jedoch nicht aus. Die Frage stellt sich, wer sein Kapital an den Spieltischen des internationalen Kasinokapitalismus eingesetzt hat. Der auf Wenige konzentrierte Reichtum sowie auch Unternehmen, die ihre Gewinne nicht in Wachstum und Beschäftigung investiert haben, sind die Nachfrager nach den riskanten Spekulationsprodukten. Am Ende ist es die Reichtumskonzentration, die auch Hedge-Fonds ohne Rücksicht auf die Produktionsstätten und Beschäftigen mit Unternehmen bzw. Unternehmensanteilen handeln lässt. Wer die Exzesse auf den Finanzmärkten und die Angriffe auf die Produktionswirtschaft abstellen will, der muss sich für den Abbau der Vermögenskonzentration in Richtung gerechter Verteilung engagieren. Denn die Stabilisierung der Finanzmärkte ist nur mit einer gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung zu erreichen. Dazu dienen die deutliche Erhöhung des Spitzensatzes bei der Einkommensteuer, eine dauerhafte Vermögenssteuer und eine zeitlich befristete Vermögensabgabe zum Abbau der staatlichen Schuldenberge.
Zuerst (in gekürzter Fassung) erschienen in: Frankfurter Rundschau, 30. September 2014
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