Mit Blockupy für ein soziales Europa

Interview mit Sabine Zimmermann und Andrej Hunko

15.05.2014 / linksfraktion.de, 15.05.2014

An diesem Donnerstag beginnen unter dem Motto "Demokratie, Solidarität, Gemeinschaft" die europaweiten Blockupy-Aktionstage. In vielen europäischen Städten sind Aktionen geplant. Warum ist diese Bewegung aus Sicht der LINKEN wichtig?

Sabine Zimmermann: In den meisten Ländern Europas erleben wir einen Angriff auf Löhne, Sozialstaat und Demokratie. Für die Rettung der Banken und zur Bewältigung der Krisenkosten wird die Bevölkerung in Geiselhaft genommen. Oft stimmen sich die nationalen Regierungen dabei ab. Gegen dieses Europa von oben, gibt es viele Initiativen für ein soziales Europa von unten. Es ist wichtig, dass es auch einen gemeinsamen Protest gibt und die Menschen in den Krisenländern merken, dass sie nicht allein stehen.

Wo steht die Blockupy-Bewegung heute und was kann sie bewegen?

Andrej Hunko: Nach den Aktionen 2012 und 2013 sehe ich die Blockupy-Bewegung derzeit vor allem als einen enorm wichtigen Versuch, der neoliberalen Krisenpolitik eine wirklich europäische Vernetzung entgegenzusetzen. Denn während das Kapital und etablierte politische Akteure europaweit vorzüglich vernetzt sind, haben wir als Bewegung oft damit zu kämpfen, noch zu sehr auf nationaler oder sogar regionaler Ebene zu verharren. Das hat in der Regel weniger mit fehlendem Willen als mit fehlenden Ressourcen zu tun, ist aber sehr wichtig.

Ich denke, dass die Blockupy-Bewegung dieses Problem begriffen hat und deshalb sehr aktiv an der europäischen Vernetzung arbeitet. Selbstverständlich ist dies ein langwieriger Prozess, aber ich denke, dass der Weg der richtige ist: Einerseits mit Aktionstagen aktiv gegen die Krisenpolitik zu kämpfen und andererseits auf die Koordination mit politischen Akteure in ganz Europa zu setzen.

In Europa wird in gut einer Woche gewählt. So manche befürchten, dass rechtspopulistische Parteien großen Zulauf haben könnten. Am Freitag nehmen Sie im Rahme des Blockupy-Aktionstage an einer Veranstaltung mit dem Titel"RECHTSPOPULISMUS UND LOHNDUMPING – ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE?". Gibt es da einen Zusammenhang?

Sabine Zimmermann: In Zeiten der Krise versuchen rechte Kräften immer wieder, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu Sündenböcken zu machen, um von den wirklichen Krisenursachen abzulenken. Es wird gegen angebliche Armutszuwanderung Stimmung gemacht. Das reicht von der CSU über die FDP bis zur AfD. Medien wie die BILD-Zeitungen befördern das. Es sollte unsere Aufgabe sein, uns deutlich dagegen zu stellen und aufzuklären. Migranntinnen und Migranten erwirtschaften einen erheblichen Teil des Reichtums in Deutschland, arbeiten aber oft unter ihrer Qualifikation und zu Niedriglöhnen. Das ist der eigentliche Skandal. Menschen, die vor wirschaftlicher Not und Krieg flüchten müssen, brauchen unsere Solidarität.

In Deutschland arbeiten acht Millionen Menschen für einen Niedriglohn, aber Deutschland gilt als wettbewerbsfähig. Kanzlerin Merkel verkauft Deutschland deshalb als Modell für ganz Europa. Welche Folgen hätte das?

Andrej Hunko: Das Problem ist ja, dass Deutschland als Volkswirtschaft gerade wegen der Ausweitung des Niedriglohnsektors und der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes wettbewerbsfähiger geworden ist. Die Frage ist immer, wem dies nützt. Denn diese Wettbewerbsfähigkeit, die die Gewinne der Konzerne in die Höhe treibt, wird ja gerade mit den Einschnitten auf Seiten der Beschäftigten "erkauft". Gleichzeitig führt diese Entwicklung dazu, dass andere Länder durch die deutsche Wirtschaft niederkonkurriert werden – wir haben das in aller Deutlichkeit in Griechenland gesehen. Was die Kanzlerin vorantreibt ist die Ausweitung der Agenda 2010 auf Europa, man könnte sagen "Hartz für Alle". Die sozialen Folgen dieser Politik sind verheerend. Und im Endeffekt kann sie immer nur funktionieren, wenn es Verliererinnen und Verlierer gibt. Das sind einerseits die betroffenen Beschäftigten, Arbeitslosen und Rentner. Andererseits sind es die Länder innerhalb und außerhalb der EU, die mit diesem Tempo nicht mithalten können oder wollen.

Sie nehmen am Samstag im Rahmen der Blockupy-Aktionstage an Diskussion unter dem Titel "LOHNDUMPING IN EUROPA UND NRW – WIE KÖNNEN WIR GEMEINSAM KÄMPFEN?" Wie könnte es gehen?

Andrej Hunko: Wie ich schon eingangs gesagt habe, ist meiner Meinung nach von enormer Bedeutung, die europäische Vernetzung voranzutreiben. Um ein Beispiel zu nennen: Der Kampf gegen das Lohndumping in Deutschland ist eines der besten Mittel, um den verschärften Wettbewerbsdruck auf die Krisenländer zu mindern. Denn die Verschuldung ist das Spiegelbild der Stärke der deutschen Wirtschaft. Hier sehe ich Ansatzpunkte, um die Arbeitskämpfe in Deutschland mit der Politik gegen die Austeritätspolitik in anderen Teilen Europas zu verbinden. Ebenso müssen wir meiner Meinung nach die Zusammenarbeit von außerparlamentarischer Bewegung, Gewerkschaften und Vertreterinnen in den Parlamenten ausweiten und verbessern.

Sie sind arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion. Seit hat ein paar Tagen hat der Deutsche Gewerkschaftsbund mit Reiner Hoffmann einen neuen Chef. Er wird zitiert mit dem Satz: "Wenn es unseren Kollegen in Südeuropa schlecht geht, wird es uns auf Dauer auch schlecht gehen." Was halten Sie davon mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen in Europa?

Sabine Zimmermann: Diese Feststellung ist völlig richtig. Nehmen wir das Beispiel Mindestlohn: In sechs Ländern in Europa wurde der Mindestlohn in den letzten Jahren nicht erhöht, zum Teil gekürzt. Das macht es für uns nicht einfacher für einen höheren Mindestlohn in Deutschland zu streiten. Schaut man sich in einzelnen Ländern die Kürzungen in der Sozial- und Gesundheitspolitik an, so wird dort eine gefährliche Spirale nach unten in Gang gesetzt, die auch Druck auf unsere Standards ausüben wird. Es gibt also ein gemeinsames Interesse hier länderübergreifend aktiv zu werden. Die eigentliche Frage ist jedoch: Was können Linke und Gewerkschaften dagegen praktisch auf die Beine stellen? Hier passiert noch zu wenig.

Wie beurteilen Sie den Umgang der anderen Parteien im Bundestag mit dem Blockupy-Bündnis – wenn Sie zum Beispiel an die Vorfälle im vergangenen Jahr in Frankfurt denken?

Sabine Zimmermann: Es gibt bei den anderen Parteien wenig Interesse, den Blockupy-Protesten größere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn das Bündnis mobilisiert Menschen gegen die herrschende Krisen- und Kürzungspolitk in Europa, die in vielen Ländern zu dramatischer Verarmung führt. Für diese Art von "Rettungsprogrammen" haben aber Union, SPD und leider auch Grüne die Hand gehoben.

Es fällt relativ leicht, die Blockupy-Proteste zu ignorieren oder gar kriminalisieren, wenn sie auf ein kleines gesellschaftliches Spektrum gegrenzt sind. Es muss deshalb auch darum gehen, mehr gesellschaftlich relevante Kräfte wie Gewerkschaften oder Sozialverbände mit einzubeziehen.

Im Herbst 2014 soll die neue Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main eröffnet werden. Blockupy plant eine internationale Demonstration. Was versprechen Sie sich davon?

Andrej Hunko: Die Blockupy-Aktionstage jetzt und im Herbst sind natürlich wichtig, um die Bewegung öffentlich wahrnehmbar zu machen. Gleichzeitig wissen wir, dass eine Demonstration allein nicht ausreicht, um das System zu verändern. Es muss immer darum gehen, unsere Positionen gemeinsam und koordiniert auf die Straße zu tragen und dann die Vernetzung voranzutreiben. Beide Prozesse sind wichtig und ergänzen sich ständig. Die EZB als Teil der Troika ist eine der verantwortlichen Akteure für die aktuelle Krisenpolitik, von daher bietet sie sich als Symbol an, um gegen das Krisenregime zu protestieren. Darüber hinaus hat die demokratisch nicht kontrollierte EZB großen Einfluss auf die gesamte EU. Da sie vorranging auf Preisstabilität festgelegt ist, müssen andere Ziele wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zurückstehen.