Deutsche Einheit: Noch bleibt viel zu tun

DGB klartext 29/2014

06.10.2014 / ww.dgb.de, 02.10.2014

25 Jahre nach dem Mauerfall stockt die Angleichung zwischen Ost und West. Bei Tariflöhnen ist die Lücke zwar fast geschlossen. Doch bei Investitionen am Bau, Forschung und Entwicklung verliert der Osten an Boden. Strukturschwache Regionen müssen auch nach 2019 gefördert werden, wenn Länderfinanzausgleich und Soli auslaufen, fordert der DGB. Alles andere würde die jetzigen Erfolge gefährden.

25 Jahre nach dem Mauerfall. Fragestunde zum Bericht „Deutsche Einheit 2014“ im Bundestag – und keiner geht hin? Im weiten Saal nur ein paar Dutzend Abgeordnete, von 311 Unionsabgeordneten nur zwei, die Regierungsbank fast leer. Nur Wirtschaftsstaatssekretärin Gleicke (SPD) beantwortet Fragen der Opposition. Desinteresse oder die Ruhe vor dem Sturm? Immerhin verhandeln Bund und Länder seit Wochen über die Zukunft des Finanzausgleichs. Die Bilanz des Solidarpaktes dürfte die Beantwortung der Frage, wie ab 2020 wirtschaftlich schwächere Regionen unterstützt werden, beeinflussen. Am Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland darf jedenfalls nicht gerüttelt werden. Als Beauftragte für den Aufbau Ost präsentiert Gleicke wie Ihre Vorgänger eine Erfolgsbilanz, bei der Vergleiche mit der Nachwendezeit hilfreich sind: die Innenstädte saniert, die Infrastruktur modern, die Lebensverhältnisse in Ost und West angenähert, die Umwelt erholt. Auch die Wirtschaft ist gewachsen: das BIP wurde mehr als verdoppelt, die Exportquote verdreifacht, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie.

Arbeitslosigkeit im Osten fast doppelt so hoch

Doch bleibt einiges noch zu tun: Die Arbeitslosigkeit ist mit 10,3 Prozent nach wie vor fast doppelt so hoch wie im Westen, die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich. Die BIP-Wachstumsrate ist seit 2005 geringer als in den alten Ländern. Das Steueraufkommen ist in den ostdeutschen Ländern mit 937 Euro erheblich niedriger als in den westdeutschen mit 1.817 Euro; selbst die Einnahmen der finanzschwachen Länder im Westen sind mit 1.508 Euro auf einem anderen Niveau.

Die Wirtschaftskraft hat sich zwar seit 1991 (43,3 Prozent) im Vergleich zum Westen erheblich erhöht – liegt immer noch bei nur 71 Prozent des Westniveaus. Die Tarifpolitik ist schon weiter: Die tariflichen Grundvergütungen liegen seit 2010 bei rund 97 Prozent des Westniveaus.

Die effektiven Bruttolöhne liegen allerdings nur bei 83 Prozent. Hier tut sich seit Jahren nichts, schon 1996 lagen sie bei 80 Prozent. Zudem wird eine Stunde pro Woche länger gearbeitet. Der Niedriglohnsektor ist im Osten erheblich größer. Für viele Unternehmen sind Tarife nur eine unverbindliche Orientierung. Der bundesweit einheitliche gesetzliche Mindestlohn und eine erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen sollten die Tarifbindung zukünftig erhöhen.

Mit aktiver Strukturpolitik gegensteuern

Schöne Ostseebäder und industriestarke Wachstumskerne im Süden sind Ausweis einer erfolgreichen Förderpolitik. Aber in den letzten Jahren ist dem Aufholprozess die Luft ausgegangen. Während sich die Ausrüstungsinvestitionen in Ost und West vergleichbar entwickelten, fallen die Investitionen in neue Bauten gegenüber dem Westen seit 2005 zurück. Gleiches gilt für das in Forschung und Entwicklung beschäftigte Personal. Eine aktive Strukturpolitik muss weiter gegensteuern, damit die kleinteilige Wirtschaftsstruktur überwunden werden kann. Betriebsräte und Gewerkschaften sind wichtige Akteure bei der Bildung von Kooperationen und Clustern zwischen Unternehmen und mit Forschungsinstituten. Wer die Unterstützung strukturschwacher Regionen über 2019 hinaus in Frage stellt, gefährdet alle bisherigen Erfolge.