Brennender Rassismus - Angriffe auf Flüchtlingsheime
Von Otto König und Richard Detje
Tröglitz ist kein Einzelfall. Vorgänge wie dort haben viele Orte. Im Dezember 2014 fackelten Neonazis im mittelfränkischen Vorra[1] einen renovierten Gasthof ab, der als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte. In Escheburg bei Lübeck brannte es im Februar 2015. Anfang März setzten Unbekannte im badischen Malterdingen ein Heim unter Wasser. In Dortmund gelang es Neonazis Ende März, in eine Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Wickede einzudringen.
Tröglitz liegt also nicht nur im Osten Deutschlands. Seit Monaten breitet sich bundesweit eine aggressive Bewegung gegen eine wachsende Zahl von Flüchtlingen in Deutschland aus. Laut »Pro Asyl« dokumentierten Beobachter im vergangenen Jahr 77 gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlinge und 153 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte, davon 35 Brandanschläge. Die Bundesregierung bestätigte auf eine Anfrage der Linken, dass allein im Jahr 2014 150 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte registriert wurden.[2] Schon 2013 hatte sich die Zahl mehr als verdoppelt: Wurden in 2012 noch 24 Angriffe gezählt, waren es im Jahr darauf schon 58.
Diese Angriffe erfolgen vor dem Hintergrund politischer Stimmungsmache gegen unerwünschte Migranten. So fällt die Verdoppelung der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2013 in eine Phase, in der die Bundesregierung den angeblichen »Missbrauch des Freizügigkeitsrechts« in der EU öffentlich anprangerte und scharfe Maßnahmen gegen die Einreise vor allem von Roma aus Südosteuropa ergriff. Im Übrigen ist der Zusammenhang zwischen staatlicher Hetze gegen Migranten und rassistischer Gewalt spätestens seit dem Pogrom von Rostock (1992) sowie dem Brandanschlag von Solingen (1993) offensichtlich. Damals wurde eine weitreichende Einschränkung des Asylrechts vollzogen.
Hinzu kommen systematische »Versäumnisse« trotz absehbar steigender Flüchtlingszahlen. Dazu gehören die finanzielle Überforderung von Kommunen unter dem Diktat der Schuldenbremse, fehlende Kommunikation und Aufklärung vor Ort, die Isolationslogik der Asylgesetze, die Stigmatisierung von vermeintlichen »Wohlfahrtsflüchtlingen« Nährstoff gibt.
Migrantenorganisationen und Konfliktforscher sehen die Zunahme von gewalttätigen Aktivitäten jedoch nicht nur im Zusammenhang mit gestiegenen Flüchtlingszahlen. So haben sich in fast allen Orten, in denen es zu Attacken kam, NPD-nahe »Bürgerinitiativen« breit gemacht. Der Slogan »Nein zum Heim« gehört zum Standardrepertoire der extremen Rechten – wie auch die angebliche »Islamisierung des Abendlandes«. Der Nährboden für die Attacken wurde in den zurückliegenden Monaten nicht zuletzt durch die Pegida-Bewegung bereitet, die den völkischen Rassismus diskursfähig machte, aber auch durch ausländerfeindliche Aussagen der AfD und der CSU; letztere vereinnahmte NPD-Parolen wie »Wir sind nicht das Sozialamt der Welt«.
Dass der Alltagsrassismus inzwischen weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist, belegen auch die aktuellen Ergebnisse der »Mitte«-Studie von Wissenschaftlern der Universität Leipzig, die seit 2002 rechtsextreme Einstellungen in Deutschland untersuchen.[3] Aktuellen Erhebungen zufolge bejahten in Mecklenburg-Vorpommern 32,8%, in Thüringen 30,9% und in Brandenburg 29,6% der Befragten »ausländerfeindliche Aussagen«. In allen drei Bundesländern beträgt der Ausländeranteil gerade mal 2%.
Westliche Länder wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg mit ca. 10% Ausländeranteil kommen auf eine Zustimmung von etwa einem Fünftel der Bevölkerung. Nach einer auf repräsentativen Befragungen basierenden Studie von 2014 war die Zustimmung nur in Sachsen-Anhalt mit 42,2% noch höher als in Bayern mit 33,1%. Das bestätigt erneut, dass zwischen fremdenfeindlichen Ressentiments und Alltagserfahrung kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Es ist widerwärtig. Auch nach dem Tröglitzer Brandanschlag zeigten sich Unions-Politiker reflexartig – wie in allen vorhergehenden Fallen – persönlich betroffen: »Das war ein feiger und furchtbarer Brandanschlag, der wütend, traurig und fassungslos macht«. Markige Worte wurden in Mikrofone gesprochen: »Wir werden keinen Schritt zurückweichen. Hier geht es nicht nur um Verbrechensbekämpfung, hier geht es um unsere Demokratie.« (Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt) Doch nach geraumer Zeit inszenieren sie sich erneut als Vollstrecker eines von ihnen ausgemachten Volkswillens, bedienen Stammtische mit dem Gerede von »Wirtschaftsflüchtlingen« und setzen weiter auf eine Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik.
Dabei sollte angesichts der NSU-Mordserie alles anders werden: Vom Bundespräsidenten Hans-Joachim Gauck abwärts versprachen Politiker die rückhaltlose Aufklärung rechtsextremer Straftaten sowie null Toleranz für Neonazis. Die Einlösung der Versprechen lässt bis heute auf sich warten. Stattdessen wird stillschweigend hingenommen, dass Neonazis ein Klima der Angst herbeiprügeln und »national befreite Zonen« und damit »Flüchtlingsfreie Zonen« ungestraft als Ziel verkünden.
Die anhaltende Praxis der Strafverfolgungsbehörden, auch bei eindeutigen Hinweisen rechte Tatmotive zu vernachlässigen oder gar zu ignorieren, trägt genauso mit dazu bei, das Ausmaß dieser rechtsextremen Gefahr zu verharmlosen, wie »Welt«-Chefredakteur Ulrich Clauß, der zwar konstatierte, dass in Tröglitz anfangs ein NPD-Kreistagsabgeordneter der geistige Brandstifter war, um dann aber festzustellen: »Der Treibstoff, den er entzündete, stand allerdings offen herum. Es ist ein Grundextremismus, gemischt mit Demokratieferne und Antiparlamentarismus, der dort – ebenso wie in Dresden und Leipzig – allzeit entzündbar scheint. Und diese Art Extremismus ist mal rot, mal braun, mal farblos.« (Die Welt vom 6.4.2015)
Rechtsextreme Gewalt sieht sich bestätigt, wenn sie nicht auf öffentliche Gegenwehr stößt. Deshalb waren und sind Gegendemos gegen Pegida-Aufmärsche unverzichtbar. Zivilcourage von vielen gegen den Hass der wenigen, das ist das Mittel, das wirkt. »Es mag noch nicht die große Mehrheit der Bevölkerung sein, die eine Willkommenskultur propagiert. Aber die Anhänger eines guten Willkommens für Flüchtlinge und Einwanderer sind gewiss zahlreicher als die Pegidisten, die sich, vergeblich, ein Deutschland der Fünfzigerjahre zurückwünschen«. (Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitunh vom 6.4.2015)
Tatsächlich hat sich die deutsche Gesellschaft verändert: Der Migrationshintergrund eines stattlichen Teils der Bevölkerung zeigt sich nicht mehr im Hintergrund. Integration ist besonders im Ruhrgebiet und in den Großstädten keine verschämte Angelegenheit mehr. Zur Integration und zu einer menschenwürdigen Zukunft gehört auch, dass die Gesellschaft insgesamt die menschenverachtende Hetze der »ausländerfeindlichen Bagage« zurückweist.
Das enthebt nicht die staatlichen Institutionen, das NPD-Verbotsverfahren zu beschleunigen, ein entschlosseneres Vorgehen gegen rechte Untergrundorganisationen und gegen kameradschaftliche Gruppierungen zu praktizieren. Natürlich ist mit einem NPD-Verbot rassistisches Denken nicht zu unterbinden. Um Rassismus und Gewalt zu bekämpfen, muss der Kampf mit Aufklärung und Information, aber auch mit Investitionen in eine Gesellschaft geführt werden, in der soziale Integration der einen nicht gegen die anderer ausgespielt werden kann. Und: Deutschland braucht ein klares politisches Ja zur Zuwanderung. Sie ist eine demografische Chance, eine kulturelle Bereicherung und eine humanitäre Pflicht.
[1] Vgl. Otto König/Richard Detje: Pegida – Protest gegen Flüchtlinge und Muslime. Willkommens»Un«Kultur in Deutschland, auf Sozialismus Aktuell 18.12.2014.
[2] Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Fraktion Die Linke zu »Proteste gegen und Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im vierten Quartal 2014«, BT-Drucksache 18/3964.
[3] Vgl. Oliver Decker/ Johannes Kiess/Elmar Brähler (Hrsg.): Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus. Gießen 2015.
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