Die politische Elite will den "Grexit"
Von Joachim Bischoff und Björn Radke
In den nächsten Wochen und Monaten steht die Linksregierung in Athen vor enormen finanziellen Zins- und Tilgungsverpflichtungen, die die laufende Wirtschaftsleistung Griechenlands deutlich überfordern. So werden im Juli und August insgesamt 6,7 Mrd. Euro an die EZB fällig. Die Regierung in Athen ringt seit ihrem Wahlsieg Ende Januar mit der Euro-Gruppe und dem IWF um die Reformauflagen für weitere Zahlungen von 7,2 Mrd. Euro aus dem zweiten Hilfsprogramm, das Ende Juni abläuft.
Der Druck auf die Regierung wächst. Allein die Kosten für die laufenden Verpflichtungen im eigenen Land, wie Staatsgehälter und Pensionen, betragen 2,4 Mrd. Euro. An den IWF werden am 1. Mai 203 Mio. Euro, am 12. Mai 770 Mio. Euro und im Juni noch einmal 1,6 Mrd. Euro fällig.
Das Bemühen der Regierung dort einen Zahlungsaufschub zu erreichen, ist von der IWF-Chefin Christine Lagarde schroff abgelehnt worden. »Uns hat noch nie eine entwickelte Volkswirtschaft um einen Zahlungsaufschub gebeten.« Und es sei mehr als 30 Jahre her, dass der IWF einem Entwicklungsland einen gewährt habe. Während die anderen Gläubiger inzwischen die Rückzahlung ihrer Kredite erst ab dem Jahr 2020 fordern, muss Griechenland die IWF-Kredite pünktlich bedienen.
Die Freigabe der noch offenen Tranchen aus dem letzten Finanzpaket für Griechenland durch die Euro-Gruppe beim Treffen der Euro-Finanzminister am 24. April in Riga würde für die griechische Regierung den notwendigen Spielraum für eine Belebung der Binnenökonomie schaffen. Von Seiten der europäischen Eliten wird erklärt, dass ein entsprechender Beschluss »schlicht unmöglich« sei. Hammerhart und unzweideutig geben sich dabei die Vertreter der Bundesregierung: »Falls sich irgendwo die Vorstellung festgesetzt hat, man könnte im April auszahlen, ich glaube, da liegt man falsch«, sagte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums. Niemand erwarte, dass es am 24.April eine Lösung geben werde, so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in New York. Er denke auch nicht, dass man in den nächsten Wochen eine Verständigung erzielen könne.
»Wir haben in Europa gute Gründe, ohne entsprechende Gegenleistungen keine Finanzhilfen bereitzustellen«, sagt Schäuble. »Und wir stellen keine Hilfe bereit, wenn ein Land diese nicht nutzt, sich selbst zu helfen.« Die kompromisslose Haltung wird u.a. damit begründet, dass er keine Ansteckungsgefahren für die Weltwirtschaft sehe, sollte Griechenland aus der Euro-Zone austreten.
Schäuble und die anderen neoliberalen Hardliner behaupten: Bis zum Regierungswechsel am Jahresanfang hätten sich die Wirtschaftsdaten in Griechenland nach langer Rezession wieder gut entwickelt. Es sei an Athen, den Weg aus der Schuldenkrise zu finden. Die ist schlicht falsch. Schon unter der konservativ-sozialistischen Regierung war der Übergang in einen neuen Schrumpfungsprozess programmiert: Die griechische Wirtschaft befand sich gegen Jahresende 2014 wieder auf dem Weg in eine Rezession: Im vierten Quartal 2014 schrumpfte die Wirtschaftsleistung um 0,4%.
Zum Vergleich: In den ersten drei Quartalen wuchs das Bruttoinlandsprodukt noch um 0,7%. Die negative Entwicklung hat sich in den ersten drei Monaten dieses Jahres fortgesetzt und wird wohl auch danach weitergehen, obwohl es dem wichtigsten Wirtschaftszweig – dem Tourismus – gerade ganz gut geht. Die Exporte sind zurückgegangen, die Industrieproduktion ist stark gesunken. Gleichzeitig ist auch die Arbeitslosigkeit wieder gestiegen. Die Banken klagen, dass die Zahl der faulen Kredite wieder zunimmt. Die griechische Wirtschaft wird erneut stranguliert.
Schäuble kritisierte erneut insgesamt die lockere Geldpolitik und schuldenfinanzierte Konjunkturspritzen. Nachhaltiges Wachstum werde nicht erreicht, indem die Volkswirtschaften noch mehr Schulden machen und eine immer expansivere Geldpolitik verfolgen. Dies habe in der Weltwirtschaft zu einem endlosen Kreislauf aus Kreditboom und Krisen geführt und sei eine der Hauptursachen für die Finanz- und Schuldenkrisen. Kein Anflug einer kritischen Reflexion auf die gescheiterte neoliberale Austeritätspolitik.
Die Weigerung von Euro-Gruppe und IWF, der griechischen Regierung entgegenzukommen wird immer wieder damit begründet, dass die Bereitschaft, Griechenland Kredite zu geben, von der erfolgreichen Umsetzung des Konsolidierungsprogramms abhänge. Die Euro-Finanzminister, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds verlangen Maßnahmen, die kurzfristig neue Einsparungen in Milliardenhöhe einbringen. Für dieses Jahr sei ein Betrag von 3,2 Mrd. Euro anvisiert.
Nur so könne die Regierung in Athen überhaupt das Ziel eines Primärüberschusses halten, dass also der Staat mehr einnimmt, als er ausgibt, wenn man die Rückzahlung der Schulden außer Acht lässt. Zentrale Verhandlungsthemen sind weiterhin Kürzungen bei den Renten und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie die Art und Weise, wie diese eingenommen wird.
Ende März hat die Regierung die von den »Institutionen« vorgegebenen Annahmen auf Basis der korrigierten makroökonomischen Daten und Projektionen in einer Liste vorgelegt. Das Ziel dieses Dokuments sei es, die kurzfristige Finanzierung sicherzustellen und der griechischen Regierung Spielraum zu geben, ihre unmittelbaren Verpflichtungen zu erfüllen. Die offenen Tranchen in Höhe von 7,2 Mrd. Euro können freigegeben werden, wenn die Reformliste von den Geldgebern akzeptiert wird. Nicht vorgesehen sind weitere Kürzungen im griechischen Rentensystem, eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes, wohl aber 1,1 Mrd. Euro neuer Ausgaben zur Bekämpfung der humanitären Krise.
Der »Chef-Wirtschaftsweise« Christoph Schmidt kritisierte die neue Regierung in Athen für ihre Abkehr vom »Reform«kurs. Derzeit gebe es in dem Land zwar einen primären Haushaltsüberschuss und die Aussicht auf ein zartes Wachstum. Dem habe die Regierung aber »brutal den Stecker gezogen«. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble behauptet gar, Griechenland habe sich auf einem guten Weg befunden, an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen und im vergangenen Jahr einen Primärüberschuss eingefahren, aber »nun hat die neue Regierung ... all diese Zahlen zerstört«.
Auch diese Behauptung hält den Tatsachen nicht stand. Wie das griechische Statistikamt in einer ersten Schätzung mitteilte, betrug der Fehlbetrag im Haushalt (inkl. Zinsen und Schuldentilgung) des letzten Jahres 3,5% der Wirtschaftsleistung – die EU-Vorgabe von maximal 3% Defizit wurde damit verfehlt. Die bis Januar amtierende Regierung aus Konservativen und Sozialdemokraten hatte noch mit einem Defizit von nur 1,3% gerechnet, die EU-Kommission ging im März noch von einem Minus von 2,0% aus. Auch das Ziel für den Primärüberschuss von bisher 1,5% verfehlte Athen klar, er betrug im vergangenen Jahr nur 0,4%. Daher wird auch das Wachstum in den Jahren 2015 und 2016 deutlich geringer ausfallen.
Obwohl die Rahmendaten zeigen, dass sich die Annahmen von TROIKA bzw. »Institutionen« nicht bewahrheitet haben und der harte Austeritätskurs Griechenland in die »humanitäre Krise« geführt hat, besteht die Mehrheit der neoliberalen Eliten auf Beibehaltung dieses Kurses. Die ökonomischen Folgen werden für handhabbar gehalten. So konstatiert der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Ingo Kramer: »Ökonomisch wäre ein Grexit für Europa verkraftbar. Der Euro-Raum steht inzwischen wirtschaftlich besser da und hat Krisenmechanismen etabliert.« Und Bundesfinanzminister Schäuble sieht auch keine Gefahren für andere Euro-Länder durch die Griechenland-Krise mehr: »Es gibt keine Ansteckung«. Anzeichen für Marktturbulenzen gebe es nicht. »Die meisten Marktteilnehmer sagten uns, dass die Märkte bereits eingepreist haben, was auch immer passieren wird.«
Unions-Fraktionschef Volker Kauder untermauert noch einmal den harten Konfrontationskurs: »Wir reden momentan über den Abschluss des zweiten Programms.« Dafür müsse Athen aber endlich einen Reformplan vorlegen: »Wer hofft, Europa würde einknicken, liegt falsch. Wir werden keinen Deut von unseren Forderungen abweichen.« Die »Süddeutsche Zeitung« berichtet, dass zumindest die Bundesbank nicht mehr auf große »Reform«anstrengungen in Athen hofft. »Es wird enden mit dem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone«, prophezeit inzwischen gar ein hoher Brüsseler Beamter, »die Frage ist nur, wann«.
Mittlerweile schält sich immer deutlicher heraus, dass es bei dem Konflikt mit Griechenland um einen politischen Konflikt geht. So werden auch schon die unterschiedlichen Sichtweisen gesetzt. BDA-Chef Kramer warnt vor einem erzwungenen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone: »Politisch aber habe ich große Bedenken, ob ein Grexit für Europa zu schultern wäre und Griechenland helfen würde.« Europa wäre den Beweis schuldig geblieben, auch in schwierigen Zeiten solidarisch Probleme zu lösen.
Die neoliberalen Hardliner dagegen halten auch die politischen Folgen eines »Grexits« für beherrschbar. Ziel dieser Logik: »Der schlechteste und teuerste Weg wäre es, den Forderungen aus Athen nachzugeben, um den Grexit um jeden Preis zu verhindern; das können und dürfen die Mitgliedstaaten des Euro nicht zulassen.« Und die »Süddeutsche Zeitung« zitiert einen Notenbanker: »Die Währungsunion würde ohne den negativen Ausreißer Griechenland homogener und auf eine perfide Art gestärkt werden, weil alle anderen Staaten Reformen anpacken würden, um nicht dem griechischen Beispiel zu folgen.«
Die negativen Folgen würden demnach vorrangig auf Griechenland selbst beschränkt sein. Selbst wenn das mit einer weitgehenden Abschreibung von Krediten und Anleihen verbunden wäre, wird der Abschreckungseffekt von den Befürwortern des harten Kurses für entscheidender eingeschätzt. Es läuft also in den nächsten Wochen auf eine politische Entscheidung für einen »Grexit« hinaus, die nicht unbeeinflusst sein wird vom Ergebnis der Wahlen in Finnland und Großbritannien. Es geht mithin um weit mehr als die Wiederbelebung der griechischen Ökonomie.
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