Für einen linken Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik

Von Axel Troost

03.02.2016 / 29.01.2016

Seit Anfang November 2015 haben die schwarz-roten Koalitionäre über die Ausgestaltung des Asylpakets II gestritten. Herausgekommen ist beim Dreiergipfel von Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) ein höchst problematischer Kompromiss zulasten des Grundrechtes auf Asyl und zulasten einer klugen Integrationspolitik. Vor allem die CSU hatte quergeschossen und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unter Druck gesetzt.

Die Politiker der etablierten Parteien behaupten: Das Asylpaket sei „ein wichtiger Teil unserer Gesamtstrategie, eine europäische Lösung zu suchen und das, was national notwendig ist, zu machen“. Die Menschen wüssten nun, dass die Große Koalition handlungsfähig sei. Man nehme die Menschen auf, die wirklich verfolgt würden, und gebe den andern das Signal: „Ihr könnt hier nicht bleiben“.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat die Beschlüsse der großen Koalition zurecht scharf kritisiert. Das seien ganz bittere Entscheidungen: mit der Ausweitung der vermeintlich sicheren Herkunftsländer werde vor allem die Abschiebepraxis erweitert; die Beschränkung beim Familiennachzug ist ein gravierender Eingriff in das Grundrecht auf das Zusammenleben als Familie; außerdem werde die Rechtsstellung der Asylsuchenden weiter eingeschränkt durch die Verlängerung der Aufenthaltsdauer in den Erstaufnahmestellen und durch die Ausweitung von Sachleistungen sowie die strenge Residenzpflicht. Abgelehnte Asylbewerber, die ausreisen müssen, dieser Pflicht aber nicht fristgerecht nachkommen, bekommen nur noch eingeschränkte Leistungen. Der Gipfel der bürokratischen Repression und Kleinkrämerei: Flüchtlinge müssen sich künftig an den Kosten von Sprach- und Integrationskursen mit zehn Euro im Monat beteiligen. Der Betrag wird ihnen von den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz abgezogen.

Die Koalitionäre feiern die Einigung als einen wichtigen Baustein für die Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Statt endlich eine europäische Einigung über die Flüchtlingsaufnahme herbeizuführen, statt Fluchtursachen zu bekämpfen und statt umfassende Hilfe mit dem UNHCR zu finanzieren, beschließt die Bundesregierung weitere Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl. Die wirklich wirksame Maßnahme – eine deutliche Ausweitung der Unterstützungszahlungen für die UN-Flüchtlingsorganisationen – wird überhaupt nicht erwähnt.

Immerhin gibt es einen Zeitplan für die Aufgaben der Integration: Bund und Länder wollen die Flüchtlinge in Deutschland nach einem gemeinsamen Plan integrieren. Eine Arbeitsgruppe soll sich dazu in den nächsten Wochen Eckpunkte überlegen und Ende März ein Konzept vorlegen. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer in Berlin bekannt gegeben.

Bei dem gemeinsamen Integrationsprogramm geht es auch um die Finanzen. Die Länder fordern zwischen 5 bis 7 Milliarden Euro vom Bund. Vor allem die SPD-Länder drängen auf ein neues milliardenschweres Integrationspaket des Bundes. Demnach müssten Länder und Kommunen beim Kita-Ausbau, bei zusätzlichen Lehrern und Schulsozialarbeitern, bei den Kosten der Unterkunft und beim „notwendigen Ausbau der Infrastruktur von Polizei und Justiz“ unterstützt werden, hieß es in einem Papier der SPD-Ministerpräsidentinnen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, Malu Dreyer und Hannelore Kraft. Der Bund solle zudem mehr Geld in geförderte Arbeitsgelegenheiten stecken und Einstiegsprogramme für die berufliche Orientierung und Ausbildung schaffen. Die errechneten Pauschalen des Bundes an die Länder und Kommunen reichten nicht aus.

In der Tat haben die Städte und Kommunen in letzter Konsequenz die unzureichenden Finanzen bei der Bewältigung der Flüchtlingsproblematik tragen müssen. Trotz guter Konjunkturlage, steigender Steuereinnahmen, günstiger Finanzierungskosten sowie kommunaler Rettungsschirme in acht Bundesländern ist die Gesamtverschuldung der deutschen Großstädte im vergangenen Jahr um gut 3 Prozent gestiegen – und damit deutlich stärker als noch im Vorjahr. Die Flüchtlingskrise bringt für viele Kommunen eine dreifache Belastung: Sie sind hoch verschuldet, müssen einen ausgeglichenen Haushalt erreichen und dann auch noch die Flüchtlinge unterbringen.

Der stetige Anstieg der kommunalen Kassenkreditverschuldung ist Ausdruck einer strukturellen Unterfinanzierung vieler deutscher Kommunen. Diese wird vor allem durch Faktoren bestimmt, die von außen auf die Kommune einwirken und von ihr nur im geringen Maß beeinflusst werden können. Unter diesen Umständen ist der weitere Anstieg der Kassenkredite in vielen Kommunen wahrscheinlich, wenn für die Finanzprobleme keine grundsätzlichen und dauerhaften Lösungen gefunden werden.

Kommunen finanzieren sich aus einer Reihe von Einnahmen, um ihre vielfältigen Ausgaben zu decken. Reichen diese Einnahmen nicht aus, können Kommunen auch auf Darlehen zurückgreifen. Für den kurzfristigen Ausgleich von Haushaltsdefiziten stehen hierfür die Kassenkredite zur Verfügung. Die Kassenkredite sind mittlerweile fester Bestandteil der Finanzierung laufender Ausgaben. Aus finanzwirtschaftlicher Sicht ist dieser Zustand kritisch zu sehen, denn dem Kassenkredit steht (anders als dem Investitionskredit) keine Vermögensbildung gegenüber.

Mit konkreten Forderungen gehen daher der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB), der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag in die Arbeitsgruppe Integration. Die Kommunen möchten einen großen Kostenfaktor an den Bund abgeben: Die Unterbringungskosten für Flüchtlinge, die Hartz IV bekommen. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet für das laufende Jahr mit bis zu 460.000 neuen Hartz-IV-EmpfängerInnen wegen des Flüchtlingsstroms; 2019 könnten es schon eine Million sein. Für die Kommunen bedeutet das bislang, dass sie 70 Prozent der Kosten für deren Wohnungen tragen müssen.

Die Bundesagentur für Arbeit sollte Integrationshotspots schaffen, in denen Wirtschaft und Kommunen absprechen können, was vor Ort gebraucht und gefördert werden kann. Wir müssen das mit vernünftiger Qualifizierung und Arbeitsbeschaffung kombinieren

Ein weiteres Thema sind für Städte und Kommunen der Wohnungsbau und die Frage, wie die Anstrengungen von Bund und Ländern für mehr Wohnungen nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Menschen verstärkt werden können.

DIE LINKE unterstreicht: gerade in der Flüchtlingsfrage muss es um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, verstanden als gleiche Chancen für die Menschen in allen Regionen, gehen. Wir wollen nicht nur Politik für Flüchtlinge, sondern zugleich eine Verbesserung für die unteren, benachteiligten sozialen Schichten. Vor allem die BürgerInnen in den strukturschwachen Regionen brauchen eine sozial-ökonomische Perspektive. Wir fordern daher eine umfassende Investitionsinitiative zur Verbesserung des öffentlichen Kapitalstocks, eine grundlegende Neuordnung der Kommunalfinanzen und eine vorausschauende Strukturpolitik, um das wirtschaftliche Potenzial der Regionen zu nutzen.

Der Bund sollte durch eine Investitionsoffensive und ein danach anhaltendes höheres Niveau öffentlicher Investitionen das Notwendige mit dem Angenehmen verbinden, nämlich den öffentlichen Investitionsstau angehen, die öffentliche Infrastruktur wieder halbwegs auf Vordermann bringen und durch die entsprechenden öffentlichen Ausgaben auch zusätzliche Einkommen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schaffen. Dies würde den zum Glück langsam aufkeimenden Impuls einer steigenden privaten Konsumnachfrage stärken und könnte damit eventuell sogar die private Investitionstätigkeit der Unternehmen anregen. Um all das zu finanzieren, brauchen wir eine gründlich neue Verteilungspolitik, denn ohne ein Abschöpfen des immer größeren privaten Reichtums des oberen Viertels der Bevölkerung kann es keine wirkliche Sanierung der öffentlichen Finanzen und der öffentlichen Infrastruktur geben. Wir reden also keineswegs von Steuererhöhungen für die Normalverdiener, sondern im Gegenteil könnte eine robuste Besteuerung hoher Einkommen, Vermögen und Erbschaften sogar Spielräume für eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen ermöglichen.

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