Abgekoppelte Regionen - Zur Rolle des Länderfinanzausgleichs
Von Axel Troost
Auch und gerade in einem wohlhabenden Land wie Deutschland ist in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens hartnäckige, sich weiter verschärfende Ungleichheit festzustellen. Diese Ungleichheit bildet sich nicht nur auf individueller Ebene ab, sondern auch in strukturschwachen und strukturstarken Regionen.
Osten hinkt hinterher
Die Datenlage ist unumstritten: Der Osten der Republik konnte trotz aller wirtschaftlicher Entwicklung die Lücke zum Westen nicht schließen. Die Steuerkraft im Osten verbleibt nach wie vor bei 50 bis 60 Prozent des westdeutschen Durchschnitts. Im Jahresbericht 2014 räumte die Bundesregierung ein, dass die wirtschaftlich bedingten Unterschiede zwischen Ost und West auch ein Vierteljahrhundert nach der Vereinigung immer "noch erheblich" seien und eine Annäherung des materiellen Lebensniveaus fast zum Stillstand gekommen ist.
Vermehrt finden sich strukturschwache Regionen aber auch im Westen. Ganze Regionen wurden durch Strukturwandel von wirtschaftlicher Prosperität abgekoppelt, ihre Wirtschaftsstärke, Arbeitslosenraten und Steuerkraft sind nun gleichauf mit östlichen Flächenländern. Diese Unterschiede haben kaum etwas mit guter oder schlechter Standortpolitik zu tun: Denn große ökonomische Entwicklungslinien des Strukturwandels sind von einzelnen Länderregierungen kaum beeinflussbar. Warum sollten sich nach dem Ende von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet genau dort automatisch Zukunftsbranchen ansiedeln, wenn diese Unternehmen erfahrungsgemäß eher aus bestehenden Innovations-Netzwerken herauswachsen? Warum sollten ganze Branchen, wie das Verlags- und Bankenwesen, welche nach der Teilung aus dem Osten in den Westen umsiedelten, sich nun wieder an ihren ursprünglichen Standorten ansiedeln? Oder gar das Zugpferd Autoindustrie zusammen mit seinen Zulieferer-Clustern die eingesessenen Regionen verlassen? Für eine große Verlagerungs- und Gründungswelle von Unternehmen gleichmäßig im gesamten Bundesgebiet sind keine ausreichenden Anreize vorhanden, da einerseits der gesamtdeutsche Binnenmarkt von jedem Winkel in Deutschland aus erschlossen ist und andererseits auch Faktoren wie Subventionen, Lohngefälle et cetera zu niedrig ausfallen, um nachhaltig zu wirken.
Strukturschwäche schlägt sich in geringeren Steuereinnahmen nieder
Gäbe es keinen Ausgleich oder würde die finanzielle Spaltung der Republik sogar aktiv vorangetrieben durch einen Wettbewerbsföderalismus, drohten weitere Auseinanderentwicklungen. Bereits heute zeichnen sich aussterbende ländliche Regionen ab und eine erhöhte Binnenmigration in die Ballungszentren, welche mit ihrer Infrastruktur und Wohnungskapazität ebenfalls an ihre Grenzen stoßen. Und da diese Strukturschwäche sich auch in den jeweiligen Steuereinnahmen niederschlägt, könnten auch die grundgesetzlich garantierten einheitlichen Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet nicht mehr aufrechterhalten werden.
Der ebenfalls grundgesetzlich verankerte Länderfinanzausgleich soll deshalb gewährleisten, dass auch einnahmeschwache Bundesländer genügend Mittel zur Verfügung haben, um ihre föderalen Aufgaben in gleicher Qualität wie die finanziell gut gestellten Bundesländer ausführen zu können. Dies geschieht bisher über ein mehrstufiges Verfahren von horizontalen Überweisungen zwischen den Ländern und direkten Zuweisungen von Bundesmitteln.
»Strukturblinder« Länderfinanzausgleich
Da der bisherige Länderfinanzausgleich 2019 ausläuft, schlagen die 16 Bundesländer dem Bund aktuell vor, den Länderfinanzausgleich zwar technisch geändert, aber mit ähnlichen Ergebnissen (sowie einem guten Plus bei den Bundeszuweisungen an alle Länder) fortzuführen. Aus LINKER Sicht kann dies zwar nicht als längerfristig nachhaltige Lösung angesehen werden, aber für einen mittelfristigen Kompromiss (der bis 2030 angedacht ist) hätte es schlimmer kommen können.
Das Hauptproblem ist jedoch, dass der Länderfinanzausgleich nach diesem Vorschlag auch künftig "strukturblind" und sozial ungerecht bleibt: Zwar wird das geringere Steueraufkommen strukturschwacher Gebiete zu großen Teilen angeglichen, weiterhin gänzlich unberücksichtigt bleiben jedoch die höheren Ausgabenbedarfe, die sich aufgrund der dortigen überdurchschnittlichen Kosten für Arbeitslosigkeit, Armut und demografischem Wandel ergeben. Somit bleibt ärmeren Regionen und Kommunen weiterhin kaum Spielraum zur Gestaltung des kommunalen Zusammenlebens. Zudem werden sie auch weiterhin nicht in die Lage versetzt, aus eigener Kraft ihren immensen kommunalen Investitionsstau bei der verfallenden öffentlichen Infrastruktur abzubauen.
Es geht auch anders
Die LINKE fordert daher: Um einen gemeinsamen Standard bei der Daseinsfürsorge zu garantieren, sollte der Bund diejenigen Kosten vollständig übernehmen, welche von den Ländern und Kommunen selbst nicht beeinflusst werden können. Das betrifft vor allem die Sozialkosten – aktuell vordringlich die Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten – sowie den Strukturwandel. Dies würde auch der finanzpolitischen Eigenverantwortung der Bundesländer nicht widersprechen. Und es würden den Kommunen finanziell einen Spielraum freihalten, um Zukunftsinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur, die Kinderbetreuung sowie ganz generell in ein lebenswertes Gemeinwesen möglich zu machen.
Dieser Text ist erschienen in der Reihe „Ungleichheit in Deutschland“ der Linksfraktion im Deutschen Bundestag
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