Niedrigzinsen: EZB-Kritiker sind selbst schuld
DGB klartext 15/2016
Früher war die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) ein heiliger Grundsatz für Konservative. Jetzt zeigt sich: Dieser Grundsatz gilt nur, solange er gegen fortschrittliche Forderungen vorgebracht werden kann – gegen den Ruf nach einer beschäftigungsorientierten Geldpolitik etwa. Sobald die EZB aber selbst den konservativen Kurs verlässt, ignorieren deutsche Politiker gerne deren Unabhängigkeit: Nicht nur Hinterbänkler aus den Reihen von CDU und CSU wettern seit Wochen gegen die expansive Geldpolitik und wollen den „Druck auf die EZB“ erhöhen. Selbst Bundesfinanzminister Schäuble wirbt lautstark für eine weltweite Erhö- hung der Leitzinsen und macht die EZB sogar für das Erstarken des Rechtspopulismus verantwortlich. Unterstützt von der Banken-Lobby macht sich die Union stark gegen eine angebliche „Enteignung der Sparer“.
Dabei sind diese konservativen EZB-Kritiker selbst schuld an den Niedrigzinsen. Die Politik der EZB ist nichts anderes als der – zunehmend verzweifelte – Versuch, die Fehler von Regierungen und EU-Kommission auszubügeln und die Eurozone trotz falscher Politik am Leben zu halten.
Vor allem deutsche Hardliner um Schäuble haben dafür gesorgt, dass europaweit Löhne gekürzt und Staatsausgaben gesenkt wurden. Nachfrage und Wirtschaftsleistung sind dadurch eingebrochen. Es gibt keinen Raum für Preissteigerungen mehr, eine Deflationsspirale droht: Wenn Preise fallen, sind Investitionen von heute bereits morgen weniger wert. Gleichzeitig werden Schulden teurer, die Schuldenlast nimmt zu. Insgesamt werden Kauf- und Investitionsentscheidungen in eine ungewisse Zukunft aufgeschoben, die Konjunktur flaut weiter ab. Die EZB hat die Aufgabe, eine Deflation zu verhindern, die Inflation bei knapp 2 Prozent zu halten, sie muss deshalb alles tun, um Investitionen anzuregen. Ihre Nullzins-Politik ist also die zwangsläufige Reaktion auf die falsche Wirtschafts- und Fiskalpolitik in Europa. Würden jetzt die Zinsen erhöht, träfe das insbesondere die Krisenländer hart. Die Eurozone wäre gefährdet.
Fest steht: Die Geldpolitik war in der Eurokrise der einzige Akteur, der die Lage nicht verschlimmert, sondern die Eurozone zusammengehalten hat. Nur die Ankündigung von EZB-Chef Draghi, unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, hat Spekulationen beendet, Vertrauen geschaffen, die Zinssätze in den Krisenländern sinken lassen und einen Kollaps verhindert (siehe Grafik).
Fest steht allerdings auch: Die Zentralbank ist mittlerweile an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen. Weitere geldpolitische Lockerungen – insbesondere Zinssenkungen – scheinen tatsächlich keine großen Wirkungen mehr zu zeigen. Das darf aber nicht heißen, die Situation mit Zinserhöhungen noch zu verschärfen.
Stattdessen müssen sich die EZB-Kritiker an die eigene Nase fassen und ihren unsinnigen Sparkurs aufgeben. Europa muss mit öffentlichen Investitionen aus der Krise wachsen. Dann können auch die Zinsen wieder steigen.